Die Zeit drängt. Seit Wochen suchen Sascha Klement und Moritz von Grotthuss nach eingängigen Namen und verfügbaren Domains für ihr Start-up. Doch die zündende Idee für den passenden Namen fehlt bislang. Es sind nur noch 48 Stunden bis zum entscheidenden Notartermin, da erreicht Moritz von Grotthuss eine Nachricht seines Geschäftspartners: Ein Foto des Magazins „Barefoot“. Es ist der entscheidende Hinweis für den Namen, den ihr Start-up heute trägt: Bareways.
Bareways bedeutet so viel wie „nackte Straßen“. „Der Name geht auf den Ursprung unseres Unternehmens zurück“, erklärt Moritz von Grotthuss. „Damals haben wir eine Navigationslösung für nicht asphaltierte Straßen entwickelt.“ Damit die Wettervorhersage zur gewünschten Route passte, kombinierte Bareways zahlreiche Datenquellen und leitete daraus Handlungsempfehlungen ab. Dafür sammelt das Start-up mit Sitz in Lübeck Daten von Wetterdiensten, Satellitenaufnahmen, Straßenbehörden, um die Befahrbarkeit von Straßen besser bestimmen zu können.
Heute zählt Bareways Unternehmen wie Porsche zu seinen Kunden. „Wir entwickeln Location Services für Automotive, also alles, was mit Örtlichkeit zu tun hat. Und das ist in erster Linie Navigation“, erklärt Moritz von Grotthuss. Die herkömmlichen Navigationssysteme wie Google Maps liefern den gleichen Service für alle Autofahrer überall auf der Welt, egal ob in Brasilien, Lettland oder den USA. „Sie werden immer auf der schnellsten Route von A nach B navigiert“, so von Grotthuss. Diese Art von Navigation sei auf Effektivität und Standardisierung ausgelegt. So funktioniere sie hervorragend. „Wenn Sie aber lieber an der Küste entlang oder durch die Berge fahren wollen, können Sie dies nur durch das Definieren von Zwischenzielen innerhalb der Route.“
Big Data, künstliche Intelligenz und Machine Learning aus Lübeck
Bareways entwickelt individualisierte Navigationslösungen, zugeschnitten auf den Fahrzeughersteller. „Ein Sportwagenfahrer erhält andere Routenvorschläge als der Family Van-Fahrer“, erklärt von Grotthuss. „Wenn wir mit einem Luxus-Fahrzeughersteller zusammenarbeiten, dann reden wir über Michelin-Restaurants und Whisky-Distillerien entlang der Route. Bei einem Motorradhersteller können es auch Zeltplätze und Badeseen sein.“
Für die Erstellung der individualisierten Routen wertet Bareways Big-Data mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und Machine Learning aus. Als Start-up stehen dem Unternehmen nur begrenzte finanzielle Mittel zur Gewinnung der Daten zur Verfügung. „Wir können weder zehntausend Fahrzeuge in die Welt schicken und alles filmen lassen, noch können wir die nötigen Daten kaufen.“ Bareways geht daher einen anderen Weg: „Wir reichern Open Street Map massiv mit Daten von Straßen, Höhen, Wetter, Verkehr, Öffnungszeiten, Restaurants, Hotels, Kunst und vielem mehr an. Zunächst mit Standardalgorithmen, aber auch mit Hilfe künstlicher Intelligenz erstellen wir Analysen, finden Koordinaten und stellen eine Individualisierung her. So liefern wir dem Kunden das für ihn bestmögliche Ergebnis.“
Die großen Konkurrenten wie Google Maps und Mapbox stammen aus den USA, doch keines der Unternehmen liefert eine individualisierte B2B-Version zugeschnitten auf die Brand des Automobilherstellers wie Bareways. Calimoto aus Potsdam hat eine B2C-Lösung für Motorradfahrer entwickelt.
Sascha Klement und Moritz von Grotthuss haben Bareways im Jahr 2017 gegründet. Es ist bereits die zweite Zusammenarbeit. Im Jahr 2011 hatte Sascha Klement bei Gestigon eine Software zur Gestensteuerung mitentwickelt. Kunden waren unter anderem Audi, VW und Renault, die die Software zur Steuerung von Infotainment-Systemen eingesetzt haben. Moritz von Grotthuss stieß 2012 dazu.
Nach dem Verkauf von Gestigon an den französischen Automobilzulieferer Valeo gründeten Sascha Klement und Moritz von Grotthuss 2019 Bareways. Sowohl die Kontakte als auch das Wissen waren ausschlaggebend dafür, der Automobilbranche treu zu bleiben. Während der Informatiker Klement die Organisation und IT verantwortet, kümmert sich der Jurist von Grotthuss um das Netzwerk des Unternehmens. „Ich bin der Außenminister von Bareways“, sagt er. Mit fast 10.000 Kontakten bei LinkedIn sorgt er für die notwendige Außenwirkung des Unternehmens. „Ich beantworte Fragen, mache Vorschläge, bringe mich selbst aktiv ein.“
Das Ziel: Aus zwei Kunden zwanzig machen
Gemeinsam kümmern sich die Geschäftspartner um Mitarbeiter und Bewerbungen. Derzeit arbeiten 15 Softwareentwickler für das Unternehmen. An Bewerbungen von Ingenieuren und Informatikern mangelt es nicht. „Wir ziehen es vor, angestellte Mitarbeiter fortzubilden als neuen hinterherzurennen“, erklärt von Grotthuss. „Bevor wir den Falschen einstellen, stellen wir lieber gar niemanden ein.“
Fast sechs Jahre brauchte das Produkt bis zur Marktreife. „Unser Ziel ist es, aus zwei Kunden zwanzig zu machen“, so formuliert von Grotthuss den Anspruch für die kommenden Jahre. Die schlechten Prognosen für die Automobilindustrie sowie die angekündigten Zölle der US-Regierung könnten auch negative Auswirkungen auf Unternehmen wie Bareways haben. Das will Moritz von Grotthuss nicht ausschließen. „Als westlicher Automobilhersteller muss ich mir die Frage stellen, wie ich mich von der chinesischen Konkurrenz absetzen kann“, so von Grotthuss. „Man kann Motoren mit mehr PS ausstatten, den Verbrauch reduzieren, den Innenraum mit Leder ausstatten – doch das alles kostet sehr viel Geld.“ Die Lösung sieht der Unternehmer in anderen Komponenten: „Autos anhand von digitalen Services zu differenzieren ist eine der preisgünstigsten Möglichkeiten.“
Derzeit arbeitet Bareways an einer Navigationslösung für einen japanischen Automobilhersteller. Ein sogenanntes Scenic Routing für die Kirschblüte im Land soll entwickelt werden. Dafür sammelt Bareways Mengen an Daten: In welchem Tal blüht wann welcher Baum bei welchen Temperaturen? Wo macht man die schönsten Fotos? Im Ergebnis erhält der Autofahrer die ideale Route, um die Kirschblüte in ihrer vollen Pracht erleben zu können. Und der Automobilhersteller überzeugt einen Fahrer vom einzigartigen Navigationssystem in seinen Fahrzeugen.