Unternehmen

Der Fall Pirelli: Beginn einer europäischen Gegenoffensive gegen Chinas Wirtschaftsmacht?

Der Entzug chinesischer Kontrolle bei Pirelli markiert einen Wendepunkt: Europa ringt um Souveränität – zwischen amerikanischem Druck und Pekings Investitionsmacht.
30.04.2025 15:55
Aktualisiert: 30.04.2025 16:02
Lesezeit: 2 min
Der Fall Pirelli: Beginn einer europäischen Gegenoffensive gegen Chinas Wirtschaftsmacht?
Pirelli als geopolitisches Spielfeld: Der Machtkampf zwischen Rom und Peking um industrielle Kontrolle spitzt sich zu. (Foto: dpa) Foto: Valdrin Xhemaj

Der Machtkampf um den traditionsreichen italienischen Reifenhersteller Pirelli nimmt eine neue, brisante Wendung – und könnte sich als Blaupause für ein neues europäisches Vorgehen gegen die wirtschaftliche Einflussnahme Chinas entpuppen.

Amerikas rote Linien zwingen Europa zum Handeln

Offiziell heißt es, der chinesische Einfluss erschwere Pirellis Geschäfte in den USA. In Wahrheit aber steckt mehr dahinter: Es geht um nicht weniger als die Frage, wem Europas strategische Unternehmen künftig noch gehören dürfen – und wem nicht.

Mit dem Entzug der beherrschenden Stellung der chinesischen Holding MPI Italy (im Kern: der Staatskonzern Sinochem) zieht der Vorstand von Pirelli eine klare rote Linie. Die chinesischen Vertreter im Aufsichtsrat stimmten dagegen – vergeblich. Der Einfluss aus Peking soll offenbar Schritt für Schritt zurückgedrängt werden.

Denn eines ist klar: Für Unternehmen mit chinesischem Eigentum wird der Zugang zum US-Markt zunehmend zur Mission Impossible. Washington – zuerst unter Biden, künftig wohl noch rigoroser unter Trump – macht keinen Hehl daraus, dass Unternehmen mit chinesischer Beteiligung in strategischen Sektoren wie Automotive, Halbleiter oder Telekommunikation schlicht nicht erwünscht sind. Wer unter chinesischer Kontrolle steht, wird von der US-Wirtschaft entkoppelt – mit teils dramatischen Folgen für Absatzmärkte, Investitionsentscheidungen und Innovationspartnerschaften.

Auch für Pirelli ist der Zugang zum amerikanischen Markt essenziell. Und genau hier liegt das Dilemma: Ein europäisches Unternehmen, das sich nicht klar gegen chinesische Übernahmeversuche zur Wehr setzt, wird in den USA nicht als Partner, sondern als Risiko eingestuft.

Melonis Regierung als Vorreiter einer neuen Industriestrategie

Der Fall Pirelli ist daher auch ein Lehrstück für eine neue wirtschaftspolitische Realität in Europa. Die Regierung Meloni, die sich im internationalen Vergleich zunehmend als wirtschaftspolitisch selbstbewusste Kraft positioniert, zieht erstmals konsequent die Notbremse. Mit dem Einsatz der sogenannten goldenen Macht – einem Instrument, das gezielte staatliche Eingriffe in Schlüsselindustrien erlaubt – setzte sie ein starkes Zeichen: Italiens strategische Interessen stehen über fremden Eigentümeransprüchen.

Die Gesetzesverschärfungen aus dem Jahr 2023 ermöglichen der Regierung in Rom, tief in die Entscheidungsstrukturen privater Unternehmen einzugreifen. Eine 80-Prozent-Mehrheit im Vorstand ist nun nötig, um zentrale Weichenstellungen bei Pirelli vorzunehmen. Für die chinesische Seite bedeutet das faktisch ein Vetorecht gegen sich selbst – und für die italienische Politik ein Werkzeug, um die Kontrolle zurückzugewinnen.

Europa zwischen Peking und Washington: Die Zeit der Unentschlossenheit ist vorbei

Der Streit bei Pirelli könnte sich als Testfall für ganz Europa erweisen. Denn auch in anderen EU-Staaten wächst das Misstrauen gegenüber der oft intransparenten, aber strategisch agierenden chinesischen Investitionspolitik. Slowenien hat bereits Schutzmaßnahmen im Investitionsrecht verankert, Frankreich und Deutschland debattieren über ähnliche Maßnahmen. Überall zeigt sich: Der naive Glaube an den "freien Markt" weicht einer nüchternen Analyse geopolitischer Realitäten.

Letztlich steht Europa vor einer Entscheidung: Will man weiter zulassen, dass Schlüsselindustrien schleichend unter chinesische Kontrolle geraten – und dadurch erpressbar werden? Oder findet der Kontinent zu einer eigenständigen Industriepolitik zurück, die den Namen auch verdient?

Der Machtkampf bei Pirelli ist kein Einzelfall. Er ist ein Signal. Und vielleicht – der erste Dominostein.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Der deutsche Markt konzentriert sich auf neue Optionen für XRP- und DOGE-Inhaber: Erzielen Sie stabile Renditen aus Krypto-Assets durch Quid Miner!

Für deutsche Anleger mit Ripple (XRP) oder Dogecoin (DOGE) hat die jüngste Volatilität am Kryptowährungsmarkt die Herausforderungen der...

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt H&K-Aktie: Rüstungsboom lässt Aufträge bei Heckler & Koch explodieren
04.07.2025

Heckler & Koch blickt auf eine Vergangenheit voller Skandale – und auf eine glänzende Gegenwart und Zukunft. Der Traditionshersteller...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Euro-Aufwertung: Sind jetzt Firmengewinne in Gefahr?
04.07.2025

Der starke Euro wird für Europas Konzerne zur Falle: Umsätze schrumpfen, Margen brechen ein – besonders für Firmen mit US-Geschäft...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Facebook greift auf Ihre Fotos zu – viele merken es nicht
04.07.2025

Eine neue Funktion erlaubt Facebook, alle Fotos vom Handy hochzuladen. Die meisten Nutzer merken nicht, was sie wirklich akzeptieren. Wie...

DWN
Finanzen
Finanzen Flat Capital-Aktie: Trotz Beteiligungen an OpenAI und SpaceX überbewertet?
04.07.2025

Flat Capital lockt mit Beteiligungen an OpenAI, SpaceX und Co. Doch die Risiken steigen, Insider warnen. Ist die Flat Capital-Aktie...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Stromsteuersenkung: Wirtschaftsverbände kritisieren Merz für gebrochene Zusage
04.07.2025

Die Entscheidung der Bundesregierung zur Stromsteuersenkung sorgt für Aufruhr. Wirtschaftsverbände fühlen sich übergangen und werfen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft China-Zölle auf EU-Weinbrand kommen nun doch – das sind die Folgen
04.07.2025

China erhebt neue Zölle auf EU-Weinbrand – und das mitten im Handelsstreit mit Brüssel. Betroffen sind vor allem französische...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gaspreise steigen wieder: Was das für Verbraucher und Unternehmen bedeutet
04.07.2025

Nach einem deutlichen Preisrückgang ziehen die europäischen Gaspreise wieder an. Was das für Verbraucher und Unternehmen bedeutet –...

DWN
Panorama
Panorama Schwerer Flixbus-Unfall auf der A19 bei Röbel: Was wir wissen und was nicht
04.07.2025

Ein Flixbus kippt mitten in der Nacht auf der A19 bei Röbel um. Dutzende Menschen sind betroffen, ein Mann kämpft ums Überleben. Noch...