„Unvernünftiges Privileg“ in Gefahr
Wenn Kenneth Rogoff spricht, hört die Finanzwelt genau hin. Der ehemalige IWF-Chefökonom und Harvard-Professor hat Krisen wie die globale Finanzkrise 2008, die Euro-Krise und das Immobilienbeben in China mit bemerkenswerter Präzision vorausgesehen. Nun richtet er den Blick auf ein drohendes Szenario, das in den Zentren der Macht bislang oft verdrängt wird: den Niedergang des US-Dollars als globale Leitwährung – mit potenziell dramatischen Folgen für die Weltwirtschaft.
Der US-Dollar dominiert das internationale Finanzsystem seit dem Zweiten Weltkrieg – mit all den Vorteilen, die damit einhergehen. Er ist an 90 Prozent aller globalen Devisentransaktionen beteiligt und macht rund 60 Prozent der weltweiten Zentralbankreserven aus. Doch dieses "unvernünftige Privileg", wie es der französische Finanzminister Giscard d’Estaing einst nannte, wankt.
Trump als Brandbeschleuniger eines schleichenden Verfalls
Laut Rogoff habe die globale Bedeutung des Dollars bereits 2015 ihren Höhepunkt erreicht – noch bevor Donald Trump das erste Mal Präsident wurde. Doch unter Trump, besonders in dessen zweiter Amtszeit, habe sich der Niedergang massiv beschleunigt.
„Donald Trump ist ein Beschleuniger. Die Entwicklungen gehen derzeit viel schneller voran, als ich es mir hätte vorstellen können“, so Rogoff im Interview mit der dänischen Wirtschaftszeitung Børsen.
Finanzmärkte unter Druck – Vertrauen schwindet
Die Folgen sind bereits sichtbar: Der Dollar verlor in den letzten Monaten deutlich an Wert, obwohl Zinsen in den USA steigen – ein Paradoxon, das viele Volkswirte irritiert. Doch für Rogoff ist die Erklärung einfach: „Es ist eine Erosion des Vertrauens in die Vereinigten Staaten, die nicht verschwinden wird.“
Das Vertrauen bröckelt – und mit ihm der Zinssatz-Vorteil
Rogoff warnt: Sobald der Dollar nicht mehr als globale Reservewährung dominiert, verlieren die USA einen ihrer größten wirtschaftlichen Vorteile – extrem niedrige Zinsen für Staat und Unternehmen. Aktuell zahlt die US-Regierung rund 0,5 bis 1 Prozentpunkte weniger als andere Länder. Doch dieser Spielraum schwindet.
„Es verschärft eine unhaltbare Situation. Es wird die Zinsen erhöhen und den Tag, an dem die Krise zuschlägt, näher rücken lassen.“
Dollar als Risikofaktor für die globale Ordnung
Rogoff vergleicht die Situation mit einem bevorstehenden Herzinfarkt: "Sie können lange mit hohem Cholesterin leben – aber irgendwann kommt der Zusammenbruch." Dass die USA derzeit jährlich mehr für Schuldzinsen als für ihre Verteidigung ausgeben, sei ein deutliches Warnsignal.
Die politische Klasse in den USA: Unfähig zur Kurskorrektur
Dabei sieht Rogoff das Problem nicht allein bei Trump: „Ich war ein doppelter Hasser. Beide Kandidaten – Trump wie Harris – waren historisch schwach.“ Besonders fatal sei, dass weder Demokraten noch Republikaner eine Strategie zur Defizitreduzierung hätten.
Zölle, politische Einflussnahme auf die Zentralbank und ein beispielloser Mangel an wirtschaftlicher Kompetenz gefährden laut Rogoff die Stabilität der US-Währung massiv.
Der globale Umbruch: Vom Dollar zur Tripolarität
Die Zukunft sieht Rogoff in einem „tripolaren System“: Der Dollar bleibt wichtig, aber der Euro und der chinesische Yuan gewinnen rapide an Gewicht. China werde den Yuan stärker internationalisieren, Europa könne seine Rolle festigen – vorausgesetzt, es entwickelt militärische Schlagkraft und politische Geschlossenheit.
Trump als Katalysator für Europas Stärke
„Donald Trump ist wahrscheinlich das Beste, was dem Euro-Projekt seit langem passiert ist“, sagt Rogoff. Denn: Je unzuverlässiger die USA, desto größer die Chance für Europa, wirtschaftlich wie geopolitisch an Einfluss zu gewinnen.
Was auf uns zukommt: Volatilität, Ungewissheit, Systemwechsel
Der Weg zu einer neuen Welt-Finanzordnung wird holprig. Rogoff prognostiziert ein Jahrzehnt massiver Schwankungen bei Zinsen, Währungen und Kapitalströmen.
„Wenn der Welt in Zukunft das Geld ausgeht, muss es nicht mehr nur um Dollars gehen.“
Das Dollar-Zeitalter nähert sich dem Ende – mit offenem Ausgang
Der schleichende Machtverlust des Dollars ist für Kenneth Rogoff keine Frage des Ob, sondern des Wann. Was folgt, ist eine Neuverteilung der globalen finanziellen Kräfte – mit ungewissen Folgen für die USA, aber auch für Europa und China.
Eine Schuldenkrise, so Rogoff, sei nicht nur denkbar – sie sei sehr, sehr wahrscheinlich.