Warren Buffet: Ein Konzern, gebaut auf einem Mann
Am Wochenende hat Warren Buffett seinen Rückzug angekündigt – mit 94 Jahren und nach sechs Jahrzehnten an der Spitze von Berkshire Hathaway. Eine Nachricht, die nicht nur eine Ära an der Wall Street beendet, sondern auch fundamentale Fragen aufwirft: Wie geht es weiter mit einem der letzten großen Konglomerate westlicher Prägung?
Unter Buffetts Führung wuchs Berkshire Hathaway von einer gescheiterten Textilfirma zu einem globalen Investmentkoloss im Wert von über 1,1 Billionen Dollar. Die Erfolgsbilanz ist beispiellos: +5.500.000 Prozent Rendite seit 1964, während der S&P 500 im gleichen Zeitraum „nur“ rund 39.000 Prozent zulegte. Kein Hedgefonds, kein Private-Equity-Gigant, kein Silicon-Valley-Star konnte auf lange Sicht mithalten.
Doch nun geht der Mann, der als lebende Institution galt. Und mit ihm verschwindet das wohl letzte Stück des traditionellen Value-Investings in Reinform.
Greg Abel übernimmt – doch ist er wirklich Buffett?
Der designierte Nachfolger, Greg Abel, war bisher für den Energiearm des Konzerns verantwortlich und gilt als fähiger Manager und nüchterner Zahlenmensch. Doch das reicht vielen Anlegern nicht. Die Märkte reagierten verhalten bis kritisch: Die Aktie fiel nach der Ankündigung um über 5 Prozent. Anleger sorgen sich: Was bleibt von Berkshire ohne Buffetts Instinkt, Charisma und jahrzehntelange Disziplin?
„Ich glaube nicht, dass irgendjemand das Buffett-Alpha replizieren kann“, sagte Wharton-Professor Jeremy Siegel. Und genau das ist der Punkt: Berkshire Hathaway war mehr als ein Konglomerat – es war Buffett.
Die stille Gefahr: Der schleichende Wandel
Noch lautet die offizielle Linie: Kontinuität. Kein Strategiewechsel, keine Aufspaltung. Doch intern dürfte das Ringen bereits begonnen haben – nicht nur um Kapitalallokation, sondern um Grundprinzipien. Buffett weigerte sich standhaft, Dividenden auszuzahlen. Das könnte sich nun ändern. Hedgefonds-Manager Bill Ackman erwartet genau das: „Sie werden beginnen, Kapital an die Aktionäre zurückzugeben.“
Eine Kehrtwende also? Die Schweizer UBS glaubt nicht daran. Sie gab eine Kaufempfehlung aus und lobte die Diversifikation als strukturellen Vorteil. Doch wie lange hält ein Konstrukt, das auf einem einzigen Kopf gebaut wurde, wenn dieser Kopf fehlt?
Gefahr oder Gelegenheit?
Die Analysten von Keefe Bruyette & Woods erhöhten zwar ihr Kursziel für die A-Aktie – doch das Rating blieb neutral. Kein starker Impuls also. Und das ist bezeichnend. Denn Buffett war mehr als CEO: Er war Garant, Gallionsfigur und geduldiger Navigator durch die Stürme der Finanzwelt.
Jetzt stellt sich die Frage: Wird Berkshire Hathaway zum Opfer seines eigenen Erfolgs – oder gelingt die Transformation zu einem neuen Typus Konzern? Ohne Mythos, dafür mit System?
Fazit: Buffett geht – und mit ihm die letzte Bastion langfristigen Investierens
Berkshire Hathaway hat das Potenzial, sich unter Greg Abel neu zu erfinden – aber das Unternehmen steht an einem Scheideweg. Der Aktienkurs, die Kapitalstrategie und der Umgang mit den 150 Milliarden Dollar an Barreserven werden zeigen, ob Abels Team mehr ist als eine gut organisierte Verwaltungseinheit. Die Investoren werden genau hinschauen. Denn nun beginnt das wahre Stresstest-Kapitel des Berkshire-Mythos.
Die Ära Buffett ist vorbei. Die Ära der Klarheit – vielleicht auch.