EU bereitet massive Zölle auf US-Produkte vor
Die Europäische Union hat angekündigt, im Falle eines Scheiterns der Handelsgespräche mit den USA Importzölle auf US-Waren im Wert von 95 Milliarden Euro zu erheben. Betroffen wären unter anderem Bourbon, Flugzeuge, Autos sowie Nahrungsmittel.
Diese Maßnahme ist Teil einer umfassenden Strategie, mit der die EU auf die von den USA verhängten 25-Prozent-Zölle auf weltweite Autoexporte reagiert. Gleichzeitig erwägt die Kommission Exportkontrollen auf EU-Seite, unter anderem bei Altmetallen sowie Zusatzstoffen für Lebensmittel und Getränke im Umfang von 4,4 Milliarden Euro.
Bisher konzentriert sich die EU auf US-Waren, doch laut Kommissionskreisen ist es weiterhin denkbar, auch Dienstleistungen wie Technologie oder Film ins Visier zu nehmen. Wäre das das Ende von Hollywood?
Ein hochrangiger EU-Beamter betonte jedoch, dass die neue Zollliste keine formale Eskalation darstelle und keine eins-zu-eins-Reaktion auf die US-Maßnahmen sei.
Die geplanten Zölle kämen zu einer bereits bestehenden, derzeit bis Mitte Juli ausgesetzten Liste im Umfang von 21 Milliarden Euro hinzu. Diese umfasst Waren wie Baseballkappen, Sojabohnen und Orangensaft.
Details zur neuen Liste – auch Boeing betroffen
Die neue Entwurfs-Liste der EU-Kommission, die in dieser Woche zur Beratung an die Mitgliedstaaten gesendet wurde, umfasst mehr als 6.000 Produkte, darunter Tampons, Achterbahnen, Weihnachtsbäume und Armbanduhren – ebenso wie Lebensmittel wie Oliven, Süßkartoffeln und Hummer.
Der Schwerpunkt liegt auf Industriegütern: 12,3 Milliarden Euro bei Autos und Autoteilen, 12,9 Milliarden Euro bei Chemikalien sowie 10 Milliarden Euro bei Medizinprodukten wie Spritzen.
Auch Agrarprodukte im Wert von 6,4 Milliarden Euro sollen betroffen sein. Zudem machen Flugzeuge rund ein Zehntel der Liste aus – ein Volumen von bis zu 10,5 Milliarden Euro.
Dies könnte direkte Auswirkungen auf die Boeing-Bestellungen der Ryanair-Gruppe haben. Deren CEO Michael O’Leary hatte kürzlich erklärt, man werde die Bestellungen „sicherlich überdenken“, sollte es zu Preissteigerungen durch Zölle kommen.
Keine Entscheidung über Zollhöhe – Konsultation läuft
Die EU hat bisher noch keine konkrete Zollhöhe festgelegt. Ziel sei es jedoch, das Wettbewerbsumfeld gegenüber den bestehenden US-Zöllen von 10 bis 25 Prozent auf EU-Waren auszugleichen.
Regierungen, Unternehmen und Bürger der EU haben nun einen Monat Zeit, um Rückmeldungen zur Liste zu geben. Änderungen sind in diesem Zeitraum noch möglich.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, die EU sei trotz der Androhung von Vergeltungsmaßnahmen weiterhin an einer verhandelten Lösung interessiert:
„Wir glauben, dass es gute Abkommen geben kann – zum Nutzen der Verbraucher und Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks.“ Zugleich müsse man jedoch auf alle Szenarien vorbereitet sein.
Rücksicht auf Irland, Frankreich und Italien – aber Druck aus den USA wächst
Die Kommission hat bislang davon abgesehen, Milchprodukte wie Butter und Käse ins Visier zu nehmen – auch um Vergeltungsmaßnahmen gegen wichtige Exporteure wie Irland, Frankreich und Italien zu vermeiden.
Auch der Pharmasektor bleibt vorerst unberührt, da die USA in diesem Bereich noch keine Maßnahmen ergriffen haben. Allerdings hat US-Präsident Donald Trump in den kommenden zwei Wochen neue Schritte gegen ausländische Pharmaimporte angekündigt und entsprechende Dekrete zur Rückverlagerung der Produktion unterzeichnet.
Spirituosenhersteller in Europa dürften enttäuscht sein: Bourbon wurde wieder in die Liste aufgenommen, obwohl Irland und andere Länder sich zuvor erfolgreich für dessen Entfernung eingesetzt hatten.
Nun zielt die EU auf 1,3 Milliarden Euro an US-Bier, Wein und Spirituosen. Trump hatte bereits mit Importsteuern von bis zu 200 Prozent auf EU-Alkoholprodukte gedroht, falls die EU ihrerseits US-Produkte ins Visier nimmt.
Exportkontrollen und WTO-Klage als zusätzliche Hebel
Die Kommission hat die Mitgliedstaaten zudem aufgefordert, über Exportkontrollen bei Produkten wie Eisen, Stahl, Aluminium sowie aromatischen Substanzen nachzudenken – etwa alkoholische Aromen für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie.
Die neue Liste geht deutlich über die zuvor geplanten 21 Milliarden Euro hinaus, deren Umsetzung bis Juli ausgesetzt wurde. Diese erste Liste war eine Reaktion auf die US-Stahl- und Aluminiumzölle.
Gleichzeitig laufen weiter intensive Gespräche mit Washington. Die EU hatte angeboten, mehr US-Gas und Sojabohnen zu kaufen und Industriezölle auf null zu senken – unter der Bedingung, dass die USA im Gegenzug ebenso verfahren.
Deutschland im Fokus: Transatlantischer Handelskrieg mit weitreichenden Folgen
Für Deutschland steht bei diesem Konflikt viel auf dem Spiel. Als Exportnation mit hoher Abhängigkeit von der US-Nachfrage könnten neue Zölle tiefgreifende Folgen für deutsche Schlüsselindustrien wie den Fahrzeugbau, die Chemie- und Pharmaindustrie haben. Gleichzeitig ist die Bundesrepublik aber auch ein Schwergewicht innerhalb der EU und wird bei der weiteren Ausgestaltung der Maßnahmen eine zentrale Rolle spielen müssen.
Ein wirtschaftlicher Schlagabtausch mit den USA würde nicht nur die Außenhandelsbilanz Deutschlands belasten, sondern auch politische Spannungen innerhalb der EU verschärfen – zwischen Mitgliedstaaten, die eher auf Konfrontation setzen, und jenen, die weiterhin kompromissbereit bleiben wollen.
Fazit: Der Showdown naht – und Europa rüstet sich
Was sich zwischen Brüssel und Washington abzeichnet, ist mehr als nur ein wirtschaftlicher Streit. Es ist ein geopolitisches Ringen um Marktanteile, Einfluss und technologische Vorherrschaft. Die EU zeigt mit der neuen Zollliste, dass sie nicht gewillt ist, tatenlos zuzusehen, wie die USA mit Strafzöllen die transatlantischen Handelsbeziehungen dominieren.