Wirtschaft

Fachkräftemangel trotz Zuwanderung: Warum gibt es 3 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss?

Fast 3 Millionen junge Erwachsene in Deutschland haben keinen Berufsabschluss – das zeigt der aktuelle Berufsbildungsbericht. Tendenz steigend! Parallel dazu sinkt die Ausbildungsbeteiligung der Unternehmen seit dem Corona-Lockdown – ein selbst verursachter Teufelskreis mit fatalen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft.
19.05.2025 19:58
Lesezeit: 3 min
Fachkräftemangel trotz Zuwanderung: Warum gibt es 3 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss?
Viele junge Menschen entscheiden sich nach der Schule für ungelernte Hilfsjobs. Der Lohn ist kurzfristig höher – Azubis im ersten Ausbildungsjahr verdienen mindestens 680 Euro monatlich, während Hilfsarbeiter durchschnittlich mehr als das Doppelte bekommen können. (Foto: dpa) Foto: Jens Büttner

Deutschland steuert auf einen bildungspolitischen Kollaps zu: Trotz Fachkräftemangels schaffen Millionen junge Menschen keinen Berufsabschluss. Gleichzeitig fehlen bundesweit über 530.000 qualifizierte Arbeitskräfte. Eine toxische Kombination, die den Wirtschaftsstandort Deutschland massiv gefährdet.

Berufsbildungsbericht 2024: 2,9 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss

So bleiben auch im vergangenen Jahr 2,9 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsabschluss. So viele wie nie im zuvor. 2019 waren es noch 2,16 Millionen. Das geht aus dem Entwurf des Berufsbildungsberichts für die Bundesregierung hervor.

Jugendliche ohne Schulabschluss: Ausbildungslücke wächst rasant

Jährlich verlassen 47.500 Jugendliche die Schule ohne Hauptschulabschluss – das entspricht sechs Prozent aller Schulabgänger. Ohne dieses Fundament sinken die Chancen auf einen Ausbildungsvertrag dramatisch. Drei Viertel der jungen Menschen ohne Berufsabschluss haben auch keinen Schulabschluss.

„Der Abschluss hat in Deutschland einen sehr hohen Signalwert“, erklärt IAB-Professor Enzo Weber gegenüber n-tv.de. Doch während die Wirtschaft händeringend nach Fachkräften sucht, bleiben 73.000 Ausbildungsplätze unbesetzt – mehr als ein Drittel aller angebotenen Stellen. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer berichtet, dass jeder zweite Ausbildungsbetrieb zu wenige Azubis findet. Viele Unternehmen erhalten nicht einmal eine Bewerbung.

Deutschland: Mehr junge Menschen in der Warteschleife

Wie der vorläufige Berufsbildungsbericht weiter deutlich macht, schaffen auch immer weniger junge Menschen einen direkten Einstieg in eine Ausbildung. So sind im vergangenen Jahr insgesamt 259.00 junge Menschen nach der allgemeinbindenden Schule in den sogenannten Übergangsbereich eingemündet. Das waren 8.170 mehr als im Vorjahr, heißt es im Bericht.

Ursachen: Zuwanderung und Ausbildungsabbruch

Ein wesentlicher Faktor für die steigende Zahl junger Menschen ohne Ausbildung ist die Zuwanderung. Etwa 45 Prozent der 20- bis 34-jährigen Geflüchteten aus Asylherkunftsländern haben keinen Berufsabschluss. Dass der erneute Zuwachs des Übergangsbereichs auch im Zusammenhang mit Zuwanderung steht, bestätigt auch der Bericht: Insbesondere durch junge Ukrainerinnen und Ukrainer, die etwa in Berufsvorbereitungsjahren die Sprache weiter erlernen.

Der Bericht zeigt auch, dass die Ausbildungsbeteiligung der Unternehmen leicht auf 18,8 (Vorjahr: 18,9) Prozent gesunken ist und die Vertragslösungsquote leicht auf 29,7 (Vorjahr: 29,5) Prozent gestiegen ist. Das heißt: fast jeder Dritte löst seinen Ausbildungsvertrag auf.

Azubimangel: Hilfsjobs sind kurzfristig attraktiver

Ein weiterer Grund für den Azubimangel: Viele junge Menschen entscheiden sich nach der Schule für ungelernte Hilfsjobs. Der Lohn ist kurzfristig höher – Azubis im ersten Ausbildungsjahr verdienen mindestens 680 Euro monatlich, während Hilfsarbeiter durchschnittlich mehr als das Doppelte bekommen können. Eine fatale Entscheidung, wie Arbeitsmarktexperte Weber warnt: „Für Helfertätigkeiten wird sich die Arbeitsmarktlage verschlechtern.“

Handwerk wirbt intensiv um Nachwuchs

Die Experten sind sich einig: Es braucht niederschwellige Angebote, bei denen parallel zum Job Module in einer flexiblen Ausbildung absolviert werden können. Berufsberatung und Berufsorientierung müssen ausgebaut werden. Betriebe sollten in Schulen und auf Messen präsenter sein und praktische Eindrücke durch Betriebsbesichtigungen, Schülerprojekte und Praktika ermöglichen.

Angesichts dieser Schieflage wirbt das Handwerk seit Jahren mit zahlreichen Maßnahmen für die duale Ausbildung. Zuletzt hat der Zentralverband des Deutschen Handwerks auf die vielen Aktionen des Handwerks im Rahmen des Sommers der Berufsbildung 2025 hingewiesen, die von Mai bis Oktober stattfinden. Darunter etwa Praktikumswochen oder Ausbildungsmessen.

DGB fordert Aktionsprogramm für Menschen ohne Abschluss

Für die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Elke Hannack, sind die diesjährigen Zahlen nicht hinnehmbar. „In Zeiten, in denen fehlende Fachkräfte immer öfter als Konjunkturbremse genannt werden, können wir es uns nicht leisten, Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss zu lassen“, sagte sie. Es brauche ein Aktionsprogramm für Menschen ohne Berufsabschluss.

Fazit: Demografischer Wandel verschärft die Krise

Die Situation wird sich weiter zuspitzen. „Über die nächsten 15 Jahre verlieren wir aus Alterungsgründen sieben Millionen Erwerbspersonen“, warnt Weber. Gleichzeitig erfordern Digitalisierung, KI-Einsatz und grüne Technologien hochqualifizierte Fachkräfte. Für über drei Viertel der Arbeitsplätze in Deutschland ist eine entsprechende Ausbildung notwendig. Diese Entwicklung bedroht nicht nur den Wirtschaftsstandort, sondern die gesamte gesellschaftliche Stabilität.

Bildungsgerechtigkeit muss endlich zur nationalen Priorität werden. Nur wenn Wirtschaft, Politik und Bildungseinrichtungen gemeinsam handeln, kann der drohende Fachkräftekollaps noch abgewendet werden. Die Zeit drängt – jeder junge Mensch ohne Ausbildung ist eine verpasste Chance für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.

 

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Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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