Panorama

Internationaler Kampf gegen Enkeltrick-Betrüger

Hunderttausende Euro übergeben verängstigte Menschen an professionelle Betrügerbanden, die sie mit erfundenen Geschichten unter Druck setzen. Die deutsche Polizei ist dabei auf Europas Hilfe angewiesen.
11.06.2025 09:34
Lesezeit: 3 min
Internationaler Kampf gegen Enkeltrick-Betrüger
"Hallo Papa, mein Handy ist ziemlich nass geworden und meine simkarte wird nicht mehr erkannt" steht in der Nachricht. Als nächstes wird der Betrüger, der sich hier als Kind des Betroffenen ausgibt, um Geld bitten. Mit solchen und ähnlichen Fake-Messages oder auch Schockanrufen erbeuten Banden Millionen Euro - meist von leichtgläubigen Senioren. (Foto: dpa) Foto: Fernando Gutierrez-Juarez

Europaweiter Betrug mit Schockanrufen

Der großangelegte Betrug an alten Menschen mit Schockanrufen und dem sogenannten Enkeltrick weitet sich in Europa aus – und die deutsche Polizei vernetzt sich im Kampf gegen die Täter zunehmend international. Von Mittwoch bis Freitag treffen sich auf Einladung des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) Staatsanwälte sowie Kriminalpolizisten aus den sechzehn Bundesländern, vom Bundeskriminalamt (BKA) und aus Polen, der Slowakei, Tschechien, Österreich, Schweiz, Großbritannien und Serbien.

Die Konferenz in Teltow (Brandenburg) ist Teil des von der EU geförderten Projekts ISF Lumen (lateinisch: Licht) gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität.

Was ist der sogenannte Enkeltrick oder Schockanruf?

Bei dieser seit vielen Jahren bekannten Betrugsmasche geben sich die Täter am Telefon als Verwandte, Polizisten oder Anwälte aus. Mit frei erfundenen Geschichten versuchen sie, ältere Menschen zu Geldzahlungen zu bewegen. Oft berichten die Täter weinend von Unfällen, in die angeblich Verwandte verwickelt seien, und fordern Zehntausende Euro für Kautionen. Sie geben sich als Polizisten aus, um Geld aus der Wohnung zu "sichern". Auch Chat-Nachrichten werden verschickt, um Kontakt zu potenziellen Opfern aufzunehmen.

Wie viele Taten gibt es?

Nach der Kriminalitätsstatistik des BKA wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 6.656 solcher Fälle gemeldet. Davon seien 1.527 aufgeklärt worden. Fast 1.100 Verdächtige ermittelte die Polizei. Hinzu kamen 3.904 Fälle falscher Polizisten und knapp 1.600 weitere Fälle anderer falscher Amtsträger. Die Schadenssumme liegt im mehrstelligen Millionenbereich. Experten gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus, weil viele Opfer nicht zur Polizei gehen.

Wer sind die Opfer?

Die Täter nehmen in der Regel ältere Menschen ins Visier. Anhand früher geläufiger Vornamen wählen sie Telefonnummern aus Telefonbüchern. Die Opfer verlieren häufig erhebliche Geldbeträge, die sie mühsam erspart haben. Hinzu kommen seelische Belastungen und Schamgefühle, weil sie solchen Betrügern auf den Leim gegangen sind.

Tragische Beispiele betrogener älterer Menschen gibt es viele. Im Februar teilte die Polizei in Potsdam mit, ein Betrüger habe einer Seniorin Geld und Wertgegenstände im Wert von 220.000 Euro entwendet. Die Täter gaukelten der Frau am Telefon vor, ihr Sohn habe einen tödlichen Unfall verursacht und benötige eine Kaution. In Halle (Saale) erbeuteten Kriminelle 230.000 Euro von einem 88-Jährigen. In Bayern verhinderte eine Bankangestellte, dass eine Kundin eine fünfstellige Summe abhob und an Telefon-Betrüger übergab.

Wer sind die Täter?

Bei den Tätern handelt es sich laut Polizei überwiegend um organisierte Familienstrukturen, häufig mit Wurzeln in Osteuropa. Sie agieren meist aus dem Ausland. In den Ländern, in denen die Opfer leben, setzen sie weitere Komplizen ein, die Bargeld oder Schmuck persönlich entgegennehmen.

"Die Triebfeder der Täter sind Geld, Macht und Luxus: teure Mode, Schmuck, Limousinen und Sportwagen, Reisen in Luxushotels. Das ist wichtig und muss finanziert werden", sagt Kriminalhauptkommissar Sebastian Höhlich vom Berliner LKA der dpa. "Durch die Erfolge werden die Gruppen größer. Es gibt viel Nachwuchs, die Familien sind kinderreich. Das ist eine Kriminalitätsform, die weitergegeben wird und bei der schon junge Familienmitglieder einbezogen werden."

Den ganzen Tag über würden Telefonnummern angerufen, schildert Höhlich das Vorgehen. Wenn bei dreißig Anrufen aufgelegt werde, komme es beim einunddreißigsten Anruf zum Gespräch. "Wir hatten schon Menschen, die sind dreimal Opfer eines solchen Enkeltrick-Betrugs geworden."

Warum arbeiten die Täter immer internationaler?

Inzwischen werde europaweit gegen die Netzwerke der Kriminellen ermittelt, so Höhlich. "Etwa 25 Länder sind inzwischen betroffen. Weil der Verfolgungsdruck durch die Polizei größer geworden ist, expandieren die Täter."

Dank der seit sieben Jahren laufenden engen Zusammenarbeit mit der Polizei in Polen seien viele Banden zerschlagen worden. "Nun gibt es die Taten auch in Ungarn, in der Slowakei, Tschechien, Bulgarien, auch in Großbritannien, den Niederlanden und Italien. Die Täter sind gut vernetzt, also müssen wir uns auch gut vernetzen. Nur im internationalen Verbund kann man sie bekämpfen."

Was ist das Ziel der aktuellen Konferenz der Polizeibehörden?

Die betroffenen Staaten müssten gemeinsame Strategien zur Bekämpfung der Kriminellen entwickeln, sagte Höhlich. "Es gibt verschiedene Rechtssysteme und wir müssen unser Vorgehen gemeinsam anpassen." Der politische Wille zur Bekämpfung dieser Kriminalität sei nicht in allen Staaten gleich ausgeprägt. Die überwiegend älteren Opfer hätten nicht überall eine starke Lobby. "Aber es tut sich viel und ich bin ganz optimistisch."

Wie geht die Polizei national und international vor?

In Deutschland funktioniere die Kooperation zwischen den Bundesländern inzwischen sehr gut, wie große länderübergreifende Einsätze mit Überwachungen und Festnahmen zeigten. Ende 2024 gingen etwa unter Federführung des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg Polizeibehörden aus acht Staaten und von Europol gegen Enkeltrick-Betrüger vor.

Die Polizei hörte wochenlang die Kommunikation der mutmaßlichen Betrüger ab und hob in Polen drei Callcenter aus. Zwanzig Verdächtige wurden festgenommen. Bundesweit seien knapp 400 Enkeltricktaten und ein Schaden von fünf Millionen Euro verhindert worden, hieß es.

Wie ist die Lage in Berlin?

"Wir haben hier inzwischen große Erfolge und einen massiven Rückgang der Taten zu verbuchen. 2024 waren es 50 Prozent weniger als im Vorjahr. Auch im laufenden Jahr gab es erneut deutlich weniger Fälle", sagte Höhlich. "Wir haben einige Callcenter zerschlagen. Das merken wir signifikant an den Fallzahlen. Man muss den Verfolgungsdruck hochhalten. Wenn man nachlässt, gehen die Fallzahlen wieder hoch. Die Täter bekommen das sofort mit."

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