Euphorie zur Eröffnung des Hamburger Überseequartiers
Dienstagnachmittag in der Hamburger Hafencity. Kreischende Teenager strömen an Absperrgittern und ungläubig dreinschauenden Sicherheitsleuten vorbei. Der Ansturm stockt im Schatten zweier nagelneuer Hochhäuser, die sich in den leicht bewölkten hanseatischen Himmel schrauben. Langsamer nun, in stiller Vorfreude auf das, was nun kommt, schieben sich die Massen weiter durch ein Eingangstor, über dem in rot leuchtenden Gothic-Lettern ein Schriftzug prangt: „Westfield“.
Es sind Szenen vom 8. April dieses Jahres. Nach acht Jahren Bauzeit öffnete das Westfield-Überseequartier in der Hamburger Hafencity zum ersten Mal seine Pforten. Zehntausende Besucher, Medienvertreter sowie Lokalprominenz aus Politik und Wirtschaft wollten sich den Jungfern-Gang im neueröffneten Einkaufscenter nicht entgehen lassen. Das Überseequartier repräsentiert nicht nur eines der größten Shopping-Malls des Landes, sondern auch so etwas wie die Renaissance des einstigen Sorgensegments der Immobilienbranche.
Hamburger Westfield-Überseequartier: Kein gewöhnliches Einkaufszentrum
Die Euphorie zum Start der neuen XXL-Mall dürfte daher beim französischen Investor Unibail-Rodamco-Westfield (URW) für eine gewisse Genugtuung gesorgt haben. Schließlich war der Weg bis zur Eröffnung zäh. Baupannen, Skandale und Unfälle kosteten Menschenleben, miese Publicity und ließen die Kosten explodieren, die mit 2,45 Milliarden Euro das Budget der Elbphilharmonie locker in den Schatten stellen.
Dafür, dass die Begeisterung anhält, soll das beinahe unerschöpfliche Angebot des Überseequartiers sorgen – ein riesiges Einkaufs-, Sport- und Amüsement-Programm. In Zahlen ausgedrückt: Auf 419.000 Quadratmeter und 14 Gebäude erstreckt sich ein Mischnutzungskonzept mit 600 Wohnungen, 4000 Büroarbeitsplätzen, drei Hotels, einem Kino mit zehn Sälen, Kunstausstellungsräumen, 40 Restaurants und über 170 Geschäftseinheiten. Auf den Einzelhandel entfallen aber 80.000 Quadratmeter, daneben gibt es Gastronomie, Unterhaltung und medizinische Versorgung. Kurzum: Das Hamburger Westfield-Überseequartier ist weit mehr als nur ein Einkaufszentrum.
Nur so erklären sich wohl die anachronistisch anmutenden Jubelschreie vor der Eröffnung eines vermeintlichen Einkaufscenters. Denn die Boomjahre von Shopping-Malls in den Nuller- und Zehnerjahren, in denen deutschlandweit zu Hochzeiten pro Jahr rund 50 Center eröffnet wurden, sind längst vorbei. Seither drücken schwindende Besucherzahlen und Leerstand auf das Geschäft.
Immobilienexpertin: „Malls von heute müssen Alltagsbedürfnisse miteinbeziehen“
Doch in der Post-Pandemie-Zeiten drängt nun ein neues Konzept auf den Markt, das sich von der Idee des reinen Shopping-Tempels verabschiedet hat. Sandra Ludwig, EMEA Head Retail Investment beim Immobilienberater JLL, hat hierin einen paneuropäischen Trend ausgemacht: „Der Wandel hin zum Erlebniseinzelhandel hat sich schon seit Jahren abgezeichnet, aber jetzt sehen wir tatsächlich, wie er an vielen Orten in Europa Fahrt aufnimmt”
Gemeint sind multifunktionale Einkaufs- und Erlebniswelten wie das Überseequartier in Hamburg, das Livat Hammersmith in London oder das La Part-Dieu in Lyon. Gemeinsam ist ihnen ein neues Konzept, das auf dichtem Raum neben Einkaufsmöglichkeiten ein Freizeit- und Amüsement-Rundumpaket inklusive sozialer Begegnungsstätten bieten soll. Auch die Besucherinnen und Besucher des neuen Hamburger Shopping-Eldorados sollen möglichst lange auf dem Areal an der Nordelbe verweilen. Dafür ist ein räumlich ansprechendes und abwechslungsreiches Angebot erforderlich, das – so JLL – die „Einbeziehung der Alltagsbedürfnisse“ der Menschen berücksichtigt.
Gewerbemarkt 2024: Einstiges Sorgensegment mit hohen Transaktionsvolumen und Spitzenrenditen
Investoren jedenfalls haben das Momentum für die gestiegene Nachfrage nach Shopping- und Erlebniswelten längst erkannt. So stieg 2024 laut dem Immobilien-Dienstleister CBRE der Anteil der Transaktionsvolumen im Segment Shopping-Center innerhalb des Einzelhandelsmarktes um 9 auf insgesamt 15 Prozent. Eine satte Steigerung, die jedoch im Vergleich zu klassischen Handelsimmobilien in A-Lagen (Plus 27 Prozent) moderat ausfiel.
Ein Blick auf die eingefahrenen Spitzenrenditen im selben Zeitraum zeigt jedoch: Shopping-Center an B-Standorten (7,5 Prozent) und A-Standorten (5,9 Prozent) hatten im letzten Jahr die Nase vorn vor allen anderen Einzelhandelsflächen. Doch Shopping-Center ist nicht gleich Shopping-Center. Die Trennlinie verläuft zwischen dem Konzept des Hamburger Überseequartiers und dem seiner Vorgänger, den ein bisschen spröde und aus der Zeit gefallenen reinen Einkaufszentren.
„Die Renditeschere bei Shopping-Centern in verschiedenen Lagen hat sich 2024 weiter geöffnet. Dieser qualitätsbedingte Renditeunterschied ist beispielhaft für das gesamte Segment und zeigte sich vielerorts auch jenseits der Spitzenrenditen“, erklärt Anne Gimpel, Immobilienanalystin bei CBRE in Deutschland. Bezeichnend dafür ist, dass der Übersee-Investor URW einerseits Milliarden in sein neues Hamburger Gewerbeobjekt steckt und sich gleichzeitig von anderen trennt. So prüft das Unternehmen laut einem Bericht der Immobilien Zeitung (IZ) den Verkauf seiner Anteile an Einkaufszentren wie dem „Minto“ in Mönchengladbach, den „Höfen am Brühl“ in Leipzig oder den „Gropius-Passagen“ in Berlin. Häuser, die aufgrund ihrer monofunktionalen Ausrichtung den Anschluss an den Wandel des Segments verpasst haben.
Hamburger Westfield-Überseequartier: Konkurrenz oder Bereicherung für die Innenstadt?
Für den Einzelhandel bedeutet der Trend hin zu XXL-Malls als Erlebniswelten ein weiteres Absatzhemmnis in einem ohnehin schon angespannten Marktumfeld. Wie in anderen A-Lagen ist auch in der Hamburger Mönckebergstraße und am Jungfernstieg eine hohe Fluktuation von Geschäften und Leerständen nicht zuletzt durch den florierenden Online-Handel zu beobachten. Von nicht wenigen Kaufleuten der Hamburger City wird das „Westfield“ daher auch als existenzbedrohend wahrgenommen, zumal viele Ketten wie Pull & Bear, Deichmann oder Calzedonia bereits Filialen in der nahegelegenen Fußgängerzone haben.
Brigitte Nolte vom Handelsverband Nord sieht daher harte Zeiten für die Hamburger City aufziehen: „Die Kaufkraft reicht natürlich nicht aus, um an beiden Standorten die nötigen Umsätze zu erzielen. Wir werden eine Kaufkraft-Verlagerung haben“, so die Verbandchefin gegenüber dem NDR. Doch die Herausforderung bietet auch Chancen für die Innenstadt, ein Gegenkonzept aufzustellen, das die Attraktivität der Fußgängerzone erhöht. Dann dürften sie auch von den Touristen profitieren, die das Überseequartier als neuer Shopping-Magnet anzieht.