Wem gehört die Zukunft dieses Landes?
Wenn wir durch Deutschland gehen – durch seine Städte, seine Einkaufsstraßen, seine Büroviertel –, dann begegnet uns überall Kapital. In Form von Immobilien und Unternehmensbeteiligungen, von Konsumtempeln, Maschinenparks und Geldhäusern. Kapital, das sich oft leise, fast unsichtbar verteilt hat, aber dennoch mit gewaltiger Kraft wirkt. Es bestimmt, wer gestalten kann. Wer entscheiden darf. Wer besitzt – und wer nicht.
Kapital ist Macht. Und Macht braucht Kontrolle. Deshalb stellen wir in der Juli-Ausgabe unseres Magazins die fundamentale Frage: Wem gehört Deutschland? Und noch zugespitzter: Wer kontrolliert dieses Land wirklich – ökonomisch, politisch, kulturell?
Der stille Wandel
Viele Jahre lang lebten wir in der Annahme, Deutschland sei ein Land der Leistungsträger, der Tüchtigen, der sozialen Mobilität. Doch unter der Oberfläche dieses Narrativs hat sich etwas verschoben. Kapital hat sich konzentriert. Einfluss hat sich verfestigt. Und mit jeder Generation, die ihr Vermögen nicht mehr erarbeitet, sondern erbt, verliert der Leistungsgedanke weiter an Boden. Das ist kein moralisches Urteil – es ist eine Beobachtung. Eine stille, aber weitreichende Veränderung in der Ordnung unseres Landes.
Ein Land, in dem immer größere Vermögen durch Herkunft statt durch eigenes Schaffen weitergegeben werden, wird zu einem Land mit abnehmender Chancengleichheit. Die soziale Marktwirtschaft, einst ein Versprechen auf Aufstieg durch Einsatz, wird brüchig – und mit ihr das Vertrauen in ihre Gerechtigkeit.
Zwischen Besitz und Ohnmacht
Das Spannungsverhältnis zwischen Kapital und Demokratie wird spürbarer. Immer mehr Menschen empfinden, dass politische Prozesse sie nicht mehr erreichen, dass ihre Stimme nicht mehr zählt. Gleichzeitig sehen sie, wie Kapitalströme um die Welt kreisen, wie Großinvestoren aus dem Ausland über Unternehmen entscheiden, wie Infrastruktur verkauft, Einfluss gekauft und Eigentum konzentriert wird. Dieses Gefühl der Ohnmacht ist gefährlich. Es führt zu Rückzug, zu Misstrauen, zu innerer Abkehr von einer Ordnung, die weiterhin Sicherheit verspricht.
Wer besitzt, hat Einfluss. Wer nichts besitzt, hat kaum Mittel zur Mitgestaltung. Das ist keine neue Erkenntnis, aber sie hat heute eine neue Dimension. Denn Kapital ist nicht mehr nur inländisch verankert, es ist global vernetzt. Deutsche Leitunternehmen gehören nicht mehr dem Land, dessen Namen sie tragen. Immobilienpreise werden von anonymen Fonds mitbestimmt, nicht mehr vom Einkommen der Nachbarschaft. Und politische Maßnahmen laufen oft der Entwicklung hinterher, statt sie zu gestalten.
Das Erbe der Boomjahre – und seine Schatten
Deutschland ist reich, aber dieser Reichtum ist ungleich verteilt. Die Generation der Babyboomer steht an der Spitze einer Entwicklung, die aus jahrzehntelangem Wachstum, stabilen Erwerbsbiografien und klugen Investitionsfenstern ein enormes Vermögen geschaffen hat. Doch was wird daraus? Wird dieser Reichtum als Impuls für die nächste Generation genutzt oder als Bollwerk gegen Veränderung? Ein gewaltiger Vermögenstransfer steht bevor. Milliarden werden vererbt, verschenkt, überführt in neue Hände – meist in vertraute, familiäre Strukturen. Das ist legitim. Aber es wirft Fragen auf: Welche Verantwortung haben Erben? Welche Erwartungen darf die Gesellschaft stellen? Und wie verhindern wir, dass die Dynamik des Besitzes zur Erstarrung der Gesellschaft führt?
Eines der auffälligsten Merkmale des deutschen Kapitalmodells ist sein historisch gewachsenes Misstrauen gegenüber Eigentum – insbesondere in Form von Aktien oder unternehmerischer Beteiligung. Deutschland spart, aber es investiert nicht. Es besitzt, aber es verwaltet nicht. Und so kommt es, dass unser Land zwar reich ist, aber mit angezogener Handbremse. Statt unternehmerisch zu denken, dominiert die Vorsicht. Statt Eigentum als Teilhabe zu begreifen, dominiert die Distanz. Die Folge: Der DAX wächst, aber die Deutschen profitieren kaum. Unternehmen blühen auf, doch die Dividenden fließen ins Ausland. Deutschland wird von internationalen Investoren entdeckt, doch bleibt selbst Zuschauer seiner wirtschaftlichen Erzählung.
Kapitalflüsse als geopolitisches Werkzeug
Kapital kennt keine Nationalfarben – aber es kennt strategische Interessen. Die großen Investoren aus China, den Golfstaaten oder den USA verfolgen nicht nur Renditeziele, sondern oft auch politische Agenden. Wer in Infrastruktur investiert, wer sich an Schlüsselindustrien beteiligt, wer Technologiepartner wird, gestaltet mit – ob offen oder im Hintergrund. Deutschland hat diese Realität lange verdrängt. Heute wird sie sichtbar. Unsere politische Ordnung steht damit vor einem Dilemma: Sie muss Offenheit und Wettbewerbsfähigkeit mit Souveränität und Schutz kritischer Infrastruktur in Einklang bringen. Eine schwierige Gratwanderung – zumal die gesetzlichen Instrumente oft zu spät greifen oder gar nicht vorhanden sind. Doch wer naiv bleibt, verliert am Ende nicht nur Eigentum – sondern Gestaltungsspielraum.
Trotz aller Herausforderungen zeigt sich auch: Deutschland steht an einem Wendepunkt – und dieser bietet Chancen. Die junge Generation hat die Möglichkeit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen: eine andere Spar- und Investitionskultur zu entwickeln, Vermögen nicht nur zu bewahren, sondern zu nutzen – für Innovation, Teilhabe und nachhaltigen Fortschritt. Es braucht Mut zur Aktie, Mut zum Eigentum, Mut zur Gestaltung.
Doch dieser Mut braucht auch politische Rahmenbedingungen, die Fairness ermöglichen. Eine Debatte über gerechte Erbschaftsmodelle, über neue Formen der Vermögensbildung und über eine echte Beteiligungskultur ist überfällig. Eigentum darf nicht nur ein Ergebnis von Herkunft sein – es muss wieder Ziel und Möglichkeit sein für alle, die etwas aufbauen wollen.
Wem gehört Deutschland? Eine offene Frage
Dieses Magazin will nicht mit dem Finger zeigen. Es will öffnen – für einen ehrlichen Blick auf Eigentum, Macht und Verantwortung. Für ein Land, das sich selbst zutraut, Antworten auf die großen Fragen zu finden: Wie organisieren wir Eigentum in einer globalen Wirtschaft? Wie sichern wir Kontrolle in einer Zeit grenzenloser Kapitalströme? Und wie schaffen wir eine Ordnung, in der Leistung weiterhin zählt?
Ihr Markus Gentner
DWN-Chefredakteur