Politik

Bürgergeld statt Vollzeitarbeit: Ehrliche Arbeit lohnt sich nicht mehr in Deutschland - Warum eine Reform überfällig ist

Bürgergeld-Bezieher haben laut einer Studie im Schnitt 500 Euro weniger im Geldbeutel als jemand, der in Deutschland Vollzeit arbeitet. Ein ausreichender Lohnabstand sei damit gegeben, behauptet die gewerkschaftsnahe Hans-Böcker-Stiftung. Doch der schmilzt gewaltig in Regionen mit hohen Mieten. Warum die schwarzrote Regierung mit dem lukrativen Bürgergeld Wählerstimmen sichert und so Arbeitsanreize abschafft.
25.08.2025 21:03
Lesezeit: 4 min
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Bürgergeld statt Vollzeitarbeit: Ehrliche Arbeit lohnt sich nicht mehr in Deutschland - Warum eine Reform überfällig ist
Lukratives Bürgergeld: Im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs müssen die Kosten für eine Unterkunft nicht „angemessen“ sein. Das Jobcenter zahlt folglich 12 Monate die Miete weiter. (Foto: dpa) Foto: Robert Michael

Studie errechnet Lohnabstand: Bürgergeld in Deutschland – lohnt sich Arbeit überhaupt noch?

Unabhängig von der Konstellation im privaten Haushalt und der jeweiligen Region in Deutschland besteht zwischen dem Bürgergeld-Bezug und einem Vollzeit-Job zum Mindestlohn ein Lohnabstand von zirka 500 Euro im Monat. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böcker-Stiftung.

Nach den Modellrechnungen würde etwa ein alleinstehender Mann, der zum Mindestlohn von derzeit 12,82 Euro Vollzeit arbeitet, exakt 557 Euro mehr verdienen als im Bürgergeld-Bezug. Einem erwachsenen Single wird im Jahr 2025 ein Regelbedarf von 563 Euro als Bürgergeld zugebilligt. Im Falle eines Paares ohne Kinder sind es jeweils 506 Euro.

Im Fall einer alleinerziehenden Frau mit einem Kind im Alter von fünf Jahren liegt der Lohnabstand bei einer Vollzeit-Tätigkeit zum Mindestlohn bei 749 Euro, laut WSI-Modellrechnung:

Da die Frau Anspruch auf 255 Euro Kindergeld, 193 Euro Kinderzuschlag, 221 Euro Wohngeld und 227 Euro Unterhaltsvorschuss hätte, erhöhe sich ihr Haushaltseinkommen auf 2.532 Euro – vorausgesetzt, sie nimmt diese Leistungen in Anspruch. Wenn sie hingegen bei gleicher Miete Bürgergeld beziehen würde, reduziere sich das verfügbare Haushaltseinkommen auf 1.783 Euro. Fazit: Mit einer Vollzeit-Tätigkeit würde die Alleinerziehende laut der WSI-Studie über 749 Euro mehr verfügen als im Bürgergeld.

Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem Alleinverdiener komme auf 660 Euro mehr als mit dem Bürgergeld. Bei Kindern richtet sich die Höhe des Regelbedarfs nach dem Alter: Kinder unter sechs Jahren erhalten 357 Euro, während Kindern der Altersgruppen sechs bis 13 sowie 14 bis 17 Jahre mit 390 und 471 Euro mehr zugestanden wird.

379 Euro Unterschied zur Vollzeitarbeit? Ein Armutszeugnis für Deutschland

Allerdings und das ist der entscheidende Faktor, gibt es aufgrund der hohen Mieten in Deutschland auch kleinere Lohnabstände: Den kleinsten Lohnabstand hat der Landkreis München mit nur 379 Euro, gefolgt von Dachau mit 438 Euro und der Stadt München mit 444 Euro Lohnabstand.

Zu diesen regionalen Unterschieden führt die Erstattung der Wohnkosten für Bürgergeldempfänger: Denn zusätzlich zum Bürgergeld wird darüber hinaus meistens ein Mehrbedarf anerkannt und der bedeutet, dass auch die Kosten der Unterkunft (Kaltmiete) nach einer Karenzzeit von einem Jahr in „angemessener Höhe“ übernommen werden – inklusive Heiz- und die Betriebskosten. Doch im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs müssen die Kosten für eine Unterkunft nicht „angemessen“ sein. Sprich: 12 Monate lang bezahlt das Jobcenter einfach so die Miete weiter.

Auch Ökonomen haben bereits auf einen möglicherweise zu geringen Lohnabstand hingewiesen, der den Anreiz zur Arbeitsaufnahme verringern könnte. Das WSI kontert diese These. Sie lässt allerdings Antworten auf die Frage offen, ob ein Lohnabstand von nur 379 Euro in teuren Wohngegenden wie München groß genug ist, um dem Bürgergeld nicht doch den Vorzug vor einer Beschäftigung zu geben.

Diese Studie jedenfalls bestätigt: Vollzeit zum Mindestlohn bringt in teuren Regionen teils nur 379 Euro mehr als Bürgergeld. So groß ist im ungünstigsten Fall der Unterschied, wenn man Vollzeit zum Mindestlohn (12,82 Euro) arbeitet und kein Bürgergeld bezieht. Und selbst wenn der Regelfall laut Hans-Böckler-Stiftung bei etwa 500 bis 600 Euro liegt, sind das bei einer 38 Stundenwoche nur rund 2,30 Euro pro Stunde mehr fürs Arbeiten.

Bürgergeldzahlungen erreichen Rekordwerte

Gleichzeitig steigen nicht nur die Wohnkosten, sondern auch die Anzahl der Bürgergeldempfänger: Die Bundesrepublik hat im vergangenen Jahr 46,9 Milliarden Euro für Bürgergeld-Zahlungen ausgegeben. Das waren rund vier Milliarden Euro mehr als 2023. Der Anstieg betrug demnach zirka 9,3 Prozent. Das geht aus einer Antwort des Bundessozialministeriums auf eine kleine Anfrage der AfD hervor.

Insgesamt gab es im Jahr 2024 etwa 5,5 Millionen Menschen, die Bürgergeld bezogen. Von den Leistungen entfielen 2024 insgesamt 24,7 Milliarden Euro (52,6 Prozent) auf deutsche Empfänger und 22,2 Milliarden Euro (47,4 Prozent) auf ausländische Empfänger, obwohl die nur etwa 17 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.

Knapp vier Millionen Bürgergeld-Bezieher waren sogenannte erwerbsfähige Personen, also Menschen, die grundsätzlich in der Lage sind, mindestens drei Stunden am Tag zu arbeiten.

Bürgergeld statt Anstellung: Reformvorschläge im Herbst erwartet

Wegen der explodierenden Kosten und weiter steigenden Empfängerzahlen dringt vor allem der Unionsteil der Bundesregierung auf eine Bürgergeld-Reform. Die Sozialleistung habe ein Ungerechtigkeitsgefühl in der arbeitenden Bevölkerung ausgelöst, weil sich der Eindruck verbreitet habe, es handele sich um eine Form des bedingungslosen Grundeinkommens und sei eine Wahlleistung, so die Union.

Die SPD hat sich im Koalitionsvertrag allerdings nur auf maßvolle Korrekturen eingelassen. Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hatte etwa auf den Missbrauch des Bürgergelds durch kriminelle Clans hingewiesen, die sie bekämpfen wolle. Im Herbst will Bas ihre Reformvorschläge vorlegen. Eine Senkung der Regelsätze ist dabei nicht vorgesehen.

Wohnkosten-Wahnsinn mit dem Bürgergeld

CDU-Chef Friedrich Merz fordert eine Kürzung und Deckelung der staatlichen Mietzuschüsse. Merz begründet seine Vorschläge damit, dass in manchen Großstädten Bürgergeld-Empfänger bis zu 20 Euro pro Quadratmeter als Zuschuss erhalten. Bei 100 Quadratmetern wären das 2.000 Euro monatlich – eine Summe, die sich viele Arbeitnehmerfamilien nicht leisten könnten. Diese Ungleichheit wolle er beseitigen und so auch Spannungen in der Gesellschaft abbauen.

Auch Holger Schäfer vom Institut der Deutschen Wirtschaft sieht „für viele keine ausreichende Motivation, um sich beruflich zu engagieren“ und warnt bei bild.de: „Theoretisch wäre denkbar, dass jemand in der Villa am Starnberger See wohnt und das auch vom Jobcenter finanziert bekommt.“ Schäfer sieht dringenden Reformbedarf, insbesondere beim Sanktionssystem und den Unterkunftskosten-Regelungen. Die Aufgabe bestehe darin, ein System zu entwickeln, das Bedürftige ausreichend unterstützt, aber auch Arbeitsanreize schafft.

Fazit: Übernahme der Wohnkosten schafft Arbeitsanreize ab

Mit den aktuellen Regelungen kann es passieren, dass ein Bürgergeldempfänger womöglich in einer größeren Wohnung wohnt und die vom Jobcenter bezahlt bekommt, als der Nachbar, der arbeitet, Steuern zahlt und dieses Bürgergeld mit seinen Steuern finanziert. Das ist bizarr und ungerecht. Warum sollte der Bürgergeldempfänger wieder arbeiten gehen? Klar ist: Die Wohnkostenfrage bleibt in Zeiten knapper Kassen und einer schwächelnden Wirtschaft sozialer Sprengstoff. Zumal Wohnraum für alle zu knapp und viel zu teuer ist – ob für Bürgergeld-Bezieher oder Vollzeitbeschäftigte.

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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