MAN setzt auf Elektro-Lkw: flexible Produktion und starke Ladeinfrastruktur
In einer Zeit, in der Umweltvorschriften die Lkw-Hersteller in Richtung Elektromobilität drängen, sich die Kunden jedoch meist davor sträuben, ist es schwer, die richtige Strategie zu finden. MAN Truck & Bus hat sich auf die neuen Zeiten so vorbereitet, dass die Einführung der Elektro-Lkw mit möglichst geringen Verlusten gelingt und das Unternehmen jederzeit auf steigende oder stark sinkende Nachfrage reagieren kann.
Am Stadtrand von München, genauer gesagt im Audi-Testzentrum, wurde die gesamte Elektro-Lkw-Flotte von MAN vorgestellt. In Gesprächen mit Experten der Marke zeigte sich: Trotz der positiven Grundstimmung bleibt der deutsche Hersteller vorsichtig und pragmatisch. Der Ansatz: Elektrifizierung entschlossen, aber mit Bedacht – damit die Marktverluste weniger schmerzhaft ausfallen, als wenn man unvorbereitet in die Transformation ginge.
Parallele Produktion mit Diesel-Lkw
Die Serienproduktion von Elektro-Lkw hat MAN in diesem Jahr im Hauptwerk in München aufgenommen – parallel zur Fertigung von Dieselfahrzeugen und auf denselben Bändern. „Das ist möglich, weil wir die Lkw von Anfang an so konzipiert haben, dass sowohl Elektromotoren als auch Batterien unabhängig von der Konfiguration verbaut werden können. Das Verhältnis von Diesel- zu Elektroproduktion können wir täglich flexibel von null bis hundert Prozent anpassen. Auch die Achsen sind für beide Systeme identisch ausgelegt. Batterien und Motoren fertigen wir lokal im Werk Nürnberg“, erklärt Gregor Jentzsch, Pressesprecher für Lkw bei MAN Truck & Bus.
In Nürnberg können auf 17.000 Quadratmetern bis zu 50.000 Batteriesätze pro Jahr produziert werden – mit Option auf eine Erweiterung auf 100.000 Einheiten bis 2030. Das Werk verfügt über mehr als 50 automatisierte und manuelle Montagestationen sowie sieben Prüfstände für Qualitätskontrollen. MAN hat rund 400 Millionen Euro in die Entwicklung seiner Elektro-Lkw investiert und plant bereits eine weitere Milliarde Euro für die Umrüstung der europäischen Werke, vor allem in Deutschland. Die derzeitige Produktionskapazität in München liegt bei rund 100 Lkw pro Tag, ein Fahrzeug benötigt etwa acht Stunden Fertigungszeit. Für den sicheren Übergang wurden mehr als 5.000 Mitarbeiter im Umgang mit Hochvolttechnik geschult.
Elektro-Lkw mit Nebenabtrieb für Aufbauten
„Bei der Entwicklung mussten wir viele Faktoren berücksichtigen, um Kunden die Arbeit so leicht wie möglich zu machen“, so Jentzsch. „Wir haben deshalb ein ePTO-System (elektrischer Nebenabtrieb) integriert, mit dem die Elektro-Lkw direkt aus der Batterie verschiedenste Aufbauten wie Kühlaggregate, Kräne, Betonmischer, Kipper oder Kommunaltechnik betreiben können.“ Diese Lösung erleichtert den Einsatz, da jede Art von Aufbau direkt an den Batteriesatz angeschlossen werden kann. Zudem erhalten Aufbauhersteller Zugang zur Steuerungselektronik, sodass sich verschiedene Systeme problemlos anschließen und über die Fahrerkabine oder digitale Schnittstellen bedienen lassen. Der elektrische Nebenabtrieb leistet mehrere Hundert Kilowatt – vergleichbar mit den mechanischen Abtrieben der Dieselmodelle.
Für Käufer ist entscheidend, die passende Kombination aus Antrieb und Batteriemodulen zu wählen. „Nicht jeder Kunde benötigt sieben Batteriesätze mit netto 560 kWh Kapazität, die Reichweiten von über 500 Kilometern ermöglichen. Gewicht und Kosten sind erheblich, und die meisten Transporteure fahren keine derart langen Distanzen“, betont Jentzsch.
Nachträgliche Batterieaufrüstung nicht sinnvoll
Kann man Batterien später nachrüsten? „Nein, das ist zu komplex und zu teuer. Es erfordert zusätzliche Elektronik und Kühlsysteme“, so Jentzsch. Kunden, die auf Elektroautobahnen setzen, erhalten Unterstützung über die App MAN Charge & Go. Sie bietet Zugang zu 700 Ladestationen in Europa zu einem einheitlichen Preis von 40 Cent je Kilowattstunde oder weniger. Ab Anfang kommenden Jahres soll zudem ein Netz von MCS-Schnellladestationen mit 750 kW Ladeleistung aufgebaut werden – speziell für Langstreckenfahrer. Innerhalb einer 45-minütigen Pause lässt sich so die Reichweite um rund 400 Kilometer erhöhen (10 bis 80 Prozent Ladezustand). Zusätzlich hat MAN eine Partnerschaft mit E.ON geschlossen, um in Deutschland ein Netz öffentlicher Schnelllader (400 kW CCS, erweiterbar auf MCS) an rund 125 Standorten zu errichten.
Darüber hinaus entwickelte MAN die mobile Batterieeinheit Smart Charging Cube. Mit einer Kapazität von 500 bis 1.100 kWh und bis zu vier Ladeanschlüssen (400 kW, MCS-kompatibel) ist sie für entlegene Standorte geeignet. Sie ermöglicht Solarstromnutzung, bidirektionales Laden und Lastspitzenmanagement. Das System richtet sich exklusiv an MAN-Kunden, die eine flexible, leistungsstarke und schnelle Ladeoption für ihre Elektro-Lkw benötigen – auch dort, wo keine feste Infrastruktur vorhanden ist.
Der Cube erfordert keine Bauarbeiten: keine Erdarbeiten, keine besonderen Installationen. Er kann in Depots, Servicebasen, auf Baustellen oder anderen abgelegenen Standorten eingesetzt werden. Der Netzanschluss ist flexibel (32 bis 630 Ampere), sodass sich das Gerät an lokale Gegebenheiten anpasst. Je nach Konfiguration unterstützt ein Cube bis zu vier Ladepunkte mit einer Gesamtleistung von 400 kW. Zudem kann die Einheit als externer Energiespeicher eine separate MCS-Schnellladestation versorgen – und damit Megawatt-Laden (1.000 kW) für besonders leistungsstarke Elektro-Lkw ermöglichen.
MAN will mit Elektro-Lkw den Markt erobern
MAN verfolgt beim Einstieg in die Elektromobilität eine Doppelstrategie: flexible Produktion auf bestehenden Linien und ein umfassendes Ökosystem aus Ladeinfrastruktur, Nebenabtrieben und mobilen Lösungen. Damit will der Hersteller den Übergang für Kunden so reibungslos wie möglich gestalten. Ob sich Elektro-Lkw in großem Maßstab durchsetzen, hängt jedoch weniger von der Technik als vom Tempo der Nachfrage und den politischen Rahmenbedingungen ab.

