Wirtschaft

EU macht Transport zum Luxusgut: Straßengebühren steigen ins Unermessliche

Immer mehr Mautstraßen, explodierende Gebühren und neue CO₂-Abgaben: Für Spediteure in Europa wird die Fahrt zur Kostenfalle. Experten warnen – billiger wird es nie wieder.
07.10.2025 05:47
Lesezeit: 4 min
EU macht Transport zum Luxusgut: Straßengebühren steigen ins Unermessliche
Immer mehr Kilometer kostenpflichtig: Europas Fernstraßen werden für Spediteure zur teuren Belastungsprobe. (Foto: dpa | Martin Schutt) Foto: Martin Schutt

Maut, CO₂-Abgaben und Systemwechsel treiben Europas Transportbranche in die Enge

Mehr mautpflichtige Straßen und höhere Gebühren – so fassen Experten zusammen, was Transportunternehmen in den kommenden Jahren auf den Straßen der Europäischen Union (EU) erwartet. Dennoch beruhigen sie: Veränderungen wird es viele geben, doch starke Erschütterungen sind nicht zu befürchten. „Seit vielen Jahren geschieht etwas, das für die Spediteure längst keine Neuigkeit mehr ist: Die Maut steigt Jahr für Jahr, und das Netz der gebührenpflichtigen Straßen wächst kontinuierlich“, sagt Artūras Michejenka, Leiter des Unternehmens „DKV Mobility“ für die baltischen Staaten. Er erinnert sich daran, wie er einst im Gespräch mit Spediteuren scherzte, dass die Straßenmaut, gerechnet pro gefahrenem Kilometer, irgendwann wichtiger sein werde als der Kraftstoffpreis. Damals war der Einfluss des Kraftstoffs fast viermal höher, inzwischen habe sich das Verhältnis, so Michejenka, ausgeglichen. „Der Kraftstoffpreis blieb relativ stabil, Technologien ermöglichten eine Reduzierung des Verbrauchs, während die Mautsätze stark gestiegen sind. Und auch wenn der Treibstoffverbrauch weiter sinken wird – billiger wird die Straßenmaut niemals“, betont er.

Gründe für steigende Kosten

An Ursachen für diese Entwicklung mangelt es nicht. Zunächst, so Michejenka, müsse die Infrastruktur der EU-Straßen erneuert werden, weil sie verschlissen sei. „Sie haben gesehen, wie schön die deutschen Autobahnen einst waren, und jetzt müssen praktisch alle repariert werden“, erklärt er. Ein weiterer Grund ist die sogenannte Eurovignetten-Richtlinie, die bereits 1999 festlegte, was in der EU als zeit- oder entfernungsabhängige Straßenmaut gilt. Auch wenn die Mitgliedstaaten ihre Modelle selbst wählten, müssen bis 2030 alle auf ein entfernungsabhängiges System umstellen. „Wenn sich das Modell von zeitbasiert auf kilometerbasiert ändert, steigen die Kosten für Spediteure um ein Vielfaches. Vignetten sind sehr billig und decken die Infrastrukturkosten oft gar nicht“, erläutert Michejenka. Das Beispiel Dänemark zeigt dies am deutlichsten. Laut der International Road Transport Union (IRU) stiegen nach der Abschaffung der Vignetten und der Einführung einer Kilometermaut die Abgaben für Spediteure um mehrere Hundert Prozent. Ein Unternehmen mit 75.000 km Fahrleistung muss nun 500 Prozent mehr zahlen als zuvor. Zudem schreibt die seit 2022 geltende Richtlinie vor, dass bei der Berechnung auch der CO₂-Ausstoß des Fahrzeugs berücksichtigt wird. „Jedes Land entscheidet selbst, wie stark es die Gebühren anhebt. Deutschland hat den drastischsten Weg gewählt“, erinnert sich Michejenka an Dezember 2023, als dort die Maut um 78 Prozent stieg. Er betont, dass die Emissionskomponente in den kommenden fünf Jahren in allen EU-Ländern eingeführt werde. Eine zeitweilige Ausnahme seien nur große Länder wie Frankreich. „Dort betreiben Konzessionäre die Straßennetze, die nicht gezwungen werden können, die Emissionskomponente einzuführen. Doch die Verträge laufen aus. Billiger wird es in Europa auf keinen Fall“, ist Michejenka überzeugt.

Polen führt CO₂-Komponente ein

Ein nächster Schritt steht in Polen an. Dort zahlen Spediteure zwar schon lange Maut, doch ab Juli 2026 soll auch der CO₂-Ausstoß in die Berechnung einfließen. Wie stark die Abgabe steigt, ist noch unklar. Michejenka vermutet, dass die Behörden diese Information bewusst zurückhalten. „Vielleicht will man alles erst kurz vor Inkrafttreten verkünden, um Reaktionen gering zu halten. So machte es etwa Österreich. In Deutschland war es dagegen fast komisch – alle wussten Bescheid und bereiteten sich vor, noch bevor es eine offizielle Verordnung gab“, erzählt er. Seit Anfang dieses Jahres nutzt Polen das digitale System „e-Toll“. Laut IRU stiegen die Kosten dadurch bereits um rund 5,3 Prozent. Ein ähnlicher Anstieg wird auch bei der Einführung der CO₂-Komponente erwartet. Zusätzlich sollen 5.000 km weiterer Straßen mautpflichtig werden, auch solche außerhalb des TEN-T-Netzes. „Ein Erdbeben wird das nicht auslösen, nur etwa 20 Prozent unserer Spediteure sind in Polen aktiv. Aber ein Teil wird die höheren Kosten deutlich spüren“, sagt Michejenka.

Niederlande schaffen Vignetten ab

Auch die Niederlande stellen von einer zeitbasierten auf eine kilometerbasierte Maut um. Unter dem Namen „Vrachtwagenheffing“ wird sie ab Juli 2026 fällig. Laut IRU soll die Abgabe rund 2.000 km Autobahnen betreffen und jährlich 1 Mrd. Euro in die Staatskasse bringen. Philomena Bachmann, Vertreterin des Maut- und Tankkartenanbieters „UTA Edenred“, erklärte auf einem IRU-Seminar, dass täglich bis zu 100.000 Lkw in den Niederlanden mautpflichtig sein könnten, davon 75.000 im Inland, 25.000 im internationalen Verkehr. Die Erfassung erfolgt satellitengestützt. Durchschnittlich kostet jeder gefahrene Kilometer 0,186 Euro. Da die Eurovignette entfällt, muss jeder Lkw ein Mautgerät an Bord haben. Die Einnahmen sollen für Subventionen nachhaltiger Transportlösungen genutzt werden, etwa für Elektro- und Wasserstoff-Lkw oder den Ausbau von Lade- und Tankinfrastruktur.

Schweizer Dilemma

In der Schweiz wird diskutiert, ob ab 2027 die Maut erhöht wird, um Transporte auf die Schiene zu verlagern, oder ob sie niedrig bleibt, um die Wettbewerbsfähigkeit der Straßenspediteure zu sichern. Laut „Transporto Europa“ könnte die Route Basel–Chiasso auf bis zu 344 CHF (367 Euro) steigen, derzeit zahlen Spediteure 280–290 CHF (299–310 Euro). Dadurch ließen sich jährlich 68 Mio. CHF (72 Mio. Euro) zusätzlich einnehmen, die überwiegend in die Bahn fließen könnten. Ab 2029 sollen zudem auch Elektro-Lkw und Fahrzeuge nach Euro-VI-Standard stärker belastet werden. Die Straßenverkehrsvereinigung ASTAG kritisierte die Pläne als „Witz“ und warnte vor einer zusätzlichen Belastung für ohnehin angeschlagene Unternehmen.

Weitere Länder folgen

Michejenka erwartet, dass in den kommenden Jahren viele EU-Staaten Kilometermaut-Systeme einführen oder ihr Netz ausweiten. Dänemark will sein mautpflichtiges Straßennetz von derzeit 10.000 auf 75.000 km bis 2028 vergrößern. Italien plant, die Vorgaben der EU-Kommission umzusetzen und in Sizilien das EETS-System einzuführen. Auch Spanien und Rumänien kündigten Umstellungen an. In Frankreich soll die Kilometermaut ab 2027 zunächst in Elsass und Grand Est starten.

2G-Netz wird abgeschaltet

Ein weiterer Faktor ist die Abschaltung des 2G-Mobilfunknetzes. „Das wirkt banal, betrifft aber viele Telematiksysteme. Ohne 2G werden Geräte funktionslos – und damit auch die Mautzahlung“, warnt Michejenka. Spediteure müssten ihre Systeme modernisieren, was erhebliche Kosten verursache. Die Schweiz stellt bereits 2026 um, die Niederlande folgen 2028. Deutschland, Frankreich, Belgien und Norwegen wollen 2G bis 2026/27 abschalten.

Litauen hinkt hinterher

Auch Litauen will die Kilometermaut einführen. Doch die Ausschreibungen für das „E-Tolling“-System stecken seit Jahren in juristischen Auseinandersetzungen. Nach Angaben des Verkehrsministeriums soll die neue Maut 2026 oder 2027 starten. Offiziell ist der 1. Januar 2026 als Beginn vorgesehen – für eine Verschiebung wäre eine Abstimmung im Parlament nötig.

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