Arbeitsmarkt auf Talfahrt: Unternehmen bremsen Neueinstellungen
Stellenstreichungen größerer Unternehmen sorgen in der aktuellen Wirtschaftskrise regelmäßig für Schlagzeilen. Gefühlt vergeht derzeit kaum ein Tag, an dem ein Unternehmen ankündigt, Stellen zu streichen. Die Folge: Auch das Stellenangebot in Deutschland sinkt deutlich.
Im zweiten Quartal 2025 verzeichnete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nur noch 1,06 Millionen offene Stellen – ein Rückgang um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Konjunkturflaute trifft Unternehmen spürbar, besonders in Ostdeutschland. Und mit ihr verändert sich die Beweglichkeit des gesamten Arbeitsmarkts.
Schrumpfender Stellenmarkt
Noch Ende 2022 lag die Zahl offener Stellen laut IAB bei rund 2 Millionen – seither hat sich das Angebot fast halbiert. In Ostdeutschland gingen die Zahlen besonders stark zurück: Dort wurden im zweiten Quartal 2025 nur noch 184.200 offene Stellen gezählt, im Westen rund 873.500. Laut IAB-Forscher Alexander Kubis sei der Zusammenhang mit der konjunkturellen Entwicklung eindeutig: „Die wirtschaftliche Flaute hinterlässt auch im ersten Halbjahr 2025 seine Spuren am Arbeitsmarkt.“
Der Rückgang lässt darauf schließen, dass viele Unternehmen derzeit vorsichtiger agieren. Zwar liefert das IAB keine Angaben zu konkreten Einstellungsstopps – aber der deutliche Rückgang offener Stellen deutet auf verzögerte oder ausgesetzte Neueinstellungen hin. Bei sinkender Planungssicherheit werden Investitionen häufiger verschoben – das wirkt sich direkt auf den Personalbedarf aus.
Mehr Arbeitslose – weniger Bewegung
Laut IAB kamen im zweiten Quartal 2025 durchschnittlich 277 Arbeitslose auf 100 offene Stellen – das sind 72 mehr als im Vorjahreszeitraum. In Ostdeutschland lag die Relation bei 367, in Westdeutschland bei 258. Auffällig ist: Die Zahl der Arbeitslosen selbst ist laut IAB nur leicht gestiegen. Der Hauptgrund für die veränderte Relation ist der Rückgang der offenen Stellen. Das verschiebt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage – ohne dass es gleichzeitig zu großen Entlassungswellen kommt.
Die IAB-Zahlen zeigen zwar keine branchenspezifische Aufschlüsselung, aber der flächendeckende Rückgang lässt auf eine generelle Zurückhaltung schließen – auch in Bereichen, in denen der Personalbedarf zuletzt stabil war.
Unternehmen agieren zurückhaltend
Viele Arbeitgeber scheinen derzeit Personalentscheidungen hinauszuzögern – nicht aus Mangel an Bedarf, sondern aus Unsicherheit. Der Rückgang offener Stellen deutet auf eine Phase des Abwartens hin. Konkrete Aussagen zu Einstellungsstopps oder Vertragsverzicht enthält die Erhebung nicht, solche Muster sind aber in der Konjunktur typischerweise Teil defensiver Personalstrategien.
Dabei ist Vorsicht nicht ohne Risiko: Wer heute bei Einstellungen bremst, riskiert langfristig den Anschluss – denn gut qualifizierte Fachkräfte bleiben auch in wirtschaftlich schwächeren Phasen mobil.
Beschäftigte zwischen Zurückhaltung und Frust
Auch auf der Arbeitnehmerseite zeigt sich eine Veränderung. Viele Beschäftigte bleiben in ihrer aktuellen Position, anstatt sich neu zu orientieren. Zwar enthält die IAB-Erhebung hierzu keine Verhaltensdaten – doch aus dem Bewerbermarkt ist zunehmend von Verzögerungen, Funkstille und eingefrorenen Auswahlprozessen die Rede.
Solche Entwicklungen untergraben das Vertrauen in faire Chancen – und sie treffen vor allem diejenigen, die sich zuletzt an eine offene, bewerberfreundliche Kultur gewöhnt hatten. Wer heute wechselt, tut das seltener aus Karriereambitionen, sondern häufiger aus Notwendigkeit.
IAB: Ein Arbeitsmarkt unter Druck
Die aktuellen Daten des IAB zeigen deutlich: Der Arbeitsmarkt verliert an Bewegung. Zwar ist von einem Einbruch keine Rede, aber von einer strukturellen Abschwächung. Besonders kritisch: Die regionalen Unterschiede verschärfen sich wieder. Die „Schere“ zwischen Ost und West, von der IAB-Forscher Kubis spricht, öffnet sich – und mit ihr drohen altbekannte Disparitäten zurückzukehren.
Auch zeigt der Rückgang an offenen Stellen gegenüber dem Vorjahr, dass nahezu alle Wirtschaftsbereiche betroffen sind – besonders kleine und mittelgroße Betriebe. Das Verhältnis von Arbeitslosen zu offenen Stellen ist gegenüber dem Vorjahresquartal weiter gestiegen und liegt im zweiten Quartal 2025 bei einem Wert von 2,8. Dieser Anstieg ist sowohl eine Folge der gesunkenen Zahl an offenen Stellen als auch der gestiegenen Arbeitslosigkeit und spiegelt eine deutliche Abnahme der Arbeitsmarktanspannung wider.
Nahles: Bürgergeldreform wird Arbeitslosigkeit nicht reduzieren
Die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, hat die Bundesregierung zu einem stärkeren Fokus auf Künstliche Intelligenz (KI) in der Arbeitswelt aufgefordert. Verschärfungen beim Bürgergeld allein hält sie nicht für ausreichend, um die Zahl der Arbeitslosen zu reduzieren, sagte sie im Gespräch mit WELT TV. „Ich finde das auch richtig, dass wir beispielsweise die Mitwirkungspflichten nochmal nachschärfen. Aber was dazukommen muss, ist natürlich ein Arbeitsmarkt, der aufnahmefähig ist. Wir haben momentan eine Situation, dass die Arbeitslosen so schlechte Chancen haben, wie wir sie selbst in der Corona-Pandemie nicht hatten.“
Mit Blick auf die Arbeitslosenzahlen, die einen geringeren Herbstrückgang aufzeigen als gewöhnlich, sagte Nahles: „Es fehlt uns momentan wirklich noch der konjunkturelle Rückenwind, um jetzt wirklich eine Kehrtwende ausrufen zu können. Die haben wir noch nicht erreicht.“ Dabei seien die angekündigten Stellenstreichungen der großen Konzerne wie Lufthansa oder Bosch noch nicht einmal das größte Problem, da die zumindest durch Altersregelungen oder Abfindungsprogramme aufgefangen würden. „Mich beunruhigen eher die steigenden Zahlen von Insolvenzen, die kleinen Zulieferer, die wirklich dann keine Luft mehr haben und denen die Puste ausgeht.“
Im August hatte die Zahl der Arbeitslosen erstmals seit Februar 2015 einen Wert jenseits der Drei-Millionen-Marke erreicht.
Stellenmarkt schrumpft: Weniger Stellen, mehr Arbeitslose
Deindustrialisierung, Stellenabbau, KI und Demografie: Der Arbeitsmarkt in Deutschland befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Die Erwerbsbevölkerung in Deutschland wird in den nächsten Jahren demografiebedingt schrumpfen – insbesondere durch den Renteneintritt der Babyboomer-Generation bis zum Jahr 2035. Auf der anderen Seite sorgt die anhaltende Rezession in Deutschland dafür, dass der Bedarf an Arbeitskräften konjunkturbedingt sinkt. Bereits im zweiten Quartal dieses Jahres gibt es einen Rückgang zum Vorjahresquartal um 21 Prozent! Die Wirtschaftskrise hinterlässt am Arbeitsmarkt bei der betrieblichen Nachfrage nach Arbeitskräften deutliche Spuren.



