Wirtschaft

Finanzmärkte aktuell: Wie KI das Wachstum treibt und Europa an Bedeutung gewinnt

Die Finanzmärkte zeigen derzeit ein komplexes Bild aus Chancen und Unsicherheit. Technologische Innovationen dominieren weiter, während klassische Anlageklassen wieder an Bedeutung gewinnen. Europäische Aktien rücken stärker in den Fokus. Für Deutschland ergeben sich daraus sowohl Chancen als auch Risiken.
21.10.2025 15:21
Lesezeit: 5 min
Finanzmärkte aktuell: Wie KI das Wachstum treibt und Europa an Bedeutung gewinnt
Europa stärkt seine Position an den Finanzmärkten, während KI weiter für Wachstum sorgt (Foto: dpa) Foto: Alicia Windzio

Wie KI das Wachstum treibt und Europa an Bedeutung gewinnt

Der sogenannte Angstindex hat in dieser Woche den höchsten Stand der vergangenen sechs Monate erreicht. An den Finanzmärkten markierte der Start in die neue Handelswoche zugleich den Beginn des vierten Jahres eines Bullenmarkts, das seit Herbst 2022 bereits zahlreiche Anlageklassen zu neuen Rekorden geführt hat. Ein wesentlicher Faktor für diese Entwicklung ist die im November 2022 vorgestellte Technologie ChatGPT, die insbesondere Technologiewerten erheblichen Auftrieb verliehen hat. In den USA sorgte Präsident Donald Trump mit einer vorsichtigen Beruhigung der Handelskonflikte für eine gewisse Entspannung an den Märkten, während Analysten betonen, dass die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China in den kommenden Wochen entscheidend für die weitere Marktentwicklung sein werden.

Bullenmarkt erreicht viertes Jahr trotz steigender Volatilität

Trotz eines Rückgangs des Anteils steigender Aktien im S&P 500 von 77 Prozent Anfang Juli auf 57 Prozent zu Beginn dieser Woche steigt der Index weiterhin, was die Bedeutung einzelner Technologiewerte für das Gesamtwachstum verdeutlicht. Experten wie Adam Turnquist von LPL Financial weisen darauf hin, dass sich der Anteil fallender Aktien im selben Zeitraum von 23 auf 44 Prozent erhöht hat, was die Marktbreite insgesamt belastet und die Abhängigkeit vom Erfolg weniger Branchen verstärkt.

In der kommenden Woche rücken die Quartalsberichte großer Unternehmen in den Vordergrund, wobei Netflix am Dienstag und Tesla am Mittwoch ihre Ergebnisse veröffentlichen werden. Gleichzeitig steht die Veröffentlichung der US-Inflationsdaten an, deren Termin aufgrund einer teilweisen Stilllegung der US-Regierung verschoben wurde.

Die Finanzmärkte haben sich in der vergangenen Woche unterschiedlich entwickelt. Der S&P 500 legte um 1,7 Prozent zu, der Nasdaq gewann 2,1 Prozent, während der Dow Jones um 1,6 Prozent stieg. Der Eurostoxx 600 verzeichnete ein moderates Plus von 0,25 Prozent, während der MSCI World Index um 1,3 Prozent zulegte. Gold, das als klassischer sicherer Hafen gilt, kletterte um 5,7 Prozent auf 4.249 US-Dollar pro Unze, während Bitcoin 7 Prozent verlor und bei 107.168 US-Dollar notierte. Diese Entwicklungen verdeutlichen die gegenläufigen Strömungen an den Märkten, in denen traditionelle Anlageklassen wie Gold wieder an Bedeutung gewinnen, während spekulative Kryptowährungen deutlich volatiler reagieren.

Künstliche Intelligenz ist noch kein Finanzblasenphänomen

Die Technologie rund um Künstliche Intelligenz erlebt derzeit einen massiven Aufschwung, doch nach Einschätzung von Howard Marks, Mitbegründer von Oaktree Capital Management, hat dieser Boom an den Finanzmärkten noch nicht das Stadium einer Blase erreicht. Marks, der für seine präzisen Analysen von Marktzyklen und Anlegerpsychologie bekannt ist, erklärt, dass die Begeisterung für KI-Aktien zwar offensichtlich sei, sich die Marktstimmung jedoch bislang nicht in die Euphorie gewandelt habe, die eine echte Blasenbildung charakterisiert. Eine Blase beginne dort, wo rationale Bewertungen vollständig durch eine vorübergehende Manie ersetzt würden, und diese Phase sei derzeit noch nicht erreicht.

Marks zieht Parallelen zum Internetboom der späten 1990er Jahre, als die Überzeugung, dass das Internet die Welt grundlegend verändern werde, weit verbreitet war. Zwar habe sich das Internet tatsächlich stark entwickelt, dennoch seien viele der damals an die Börse gegangenen Internet- und E-Commerce-Unternehmen später nahezu wertlos geworden. Marks betont, dass sich Blasen stets nach denselben psychologischen Mustern entwickeln, wobei Anleger erwarten, dass aktuelle Marktführer ihre Dominanz behalten, Nachzügler aufholen und selbst riskante Investments lohnenswert erscheinen.

Gold als selten rationaler Bestandteil im Portfolio

Jamie Dimon, Vorstandsvorsitzender der US-Großbank JPMorgan, bezeichnete die aktuelle Situation als eine der seltenen Gelegenheiten, in denen Gold im Portfolio eine rationale Ergänzung darstellt. Dimon erklärte, dass er selbst derzeit kein Gold kaufe, da dessen Lagerung rund vier Prozent koste, die aktuelle Marktlage jedoch das Potenzial biete, dass der Goldpreis auf 5.000 oder sogar 10.000 US-Dollar steigen könne. Gold hat seit Jahresbeginn 58 Prozent an Wert gewonnen und zählt neben KI-Aktien zu den stärksten Anlageklassen. Der Preisanstieg wird von mehreren Faktoren begünstigt, darunter die US-Zollpolitik, ein rückläufiges Vertrauen in den US-Dollar, die teilweise Stilllegung amerikanischer Regierungsstellen, die Erwartung sinkender Leitzinsen, massive Käufe durch Zentralbanken und eine wachsende Nachfrage nach Portfolio-Diversifizierung angesichts steigender Vermögenspreise. Dimon betont zudem, dass die hohen Bewertungen vieler Anlageklassen mittlerweile nahezu alle Marktsegmente beeinflussen und die Nachfrage nach sicheren Anlagen wie Gold zusätzlich stützen.

Europas Aktien holen auf

Strategen der Deutschen Bank haben ihre Einschätzung für europäische Aktien nach oben korrigiert und empfehlen, deren Anteil im Portfolio zu erhöhen. Europa wird nun als „übergewichtet“ betrachtet, wobei das Kursziel des STOXX-600-Index bis Ende des kommenden Jahres bei 650 Punkten liegt, was einem Anstieg von rund 15 Prozent gegenüber dem aktuellen Niveau entspricht. Die Analysten begründen ihre Einschätzung mit niedrigen Bewertungen europäischer Aktien, einem soliden fiskalischen Umfeld und der Tatsache, dass die hohen Bewertungen in den USA den relativen Reiz europäischer Aktien erhöhen. Veränderungen bei Verschuldung, Marktkonzentration und Risikoprofilen eröffnen laut den Analysten die Möglichkeit, dass europäische Aktien künftig wieder an Attraktivität gewinnen. Die Deutsche Bank geht davon aus, dass die Phase, in der Europa über mehr als fünfzehn Jahre den USA hinterherhinkte, bald enden könnte, und verweist darauf, dass diese Entwicklung auch innerhalb Europas genau beobachtet wird, da sie die Position des Kontinents im globalen Kapitalmarkt entscheidend verändern könnte.

Nur begrenztes Potenzial für europäische Aktien

Nicht alle Finanzinstitute teilen den Optimismus der Deutschen Bank. Trotz eines Zuwachses des STOXX-600-Index um mehr als elf Prozent seit Jahresbeginn sehen Strategen von Citigroup und Societe Generale das Wachstumspotenzial europäischer Aktien als weitgehend ausgeschöpft. Beata Manthey von Citigroup prognostiziert lediglich eine schwache Entwicklung, da jüngste Nachrichten aus China und die laufende Berichtssaison für zusätzliche Volatilität sorgen könnten. Entsprechend erwarten die Analysten, dass der Index bis Jahresende nur leicht auf 570 Punkte steigen wird. Die Experten von Societe Generale sind noch pessimistischer und sehen einen Rückgang des Index auf 530 Punkte. Politische und geopolitische Unsicherheiten sowie schwächere Unternehmenszahlen im dritten Quartal tragen zu dieser skeptischen Einschätzung bei. Erst im Jahr 2026 wird laut den Analysten eine Erholung möglich sein, gestützt durch fiskalische Maßnahmen und eine weiterhin lockere Geldpolitik. Diese divergierenden Einschätzungen verdeutlichen, wie unterschiedlich die Perspektiven auf den europäischen Markt bleiben, auch wenn die langfristige Tendenz zur Stabilisierung erkennbar ist.

Luxusbranche kämpft mit strukturellen Problemen

Der europäische Luxussektor verzeichnete in dieser Woche kurzfristig einen Aufschwung, wobei Unternehmen wie LVMH, Kering, Hermès und Christian Dior von einer Erholung der Nachfrage in den USA und China profitierten. LVMH erreichte den größten Kursanstieg seit 25 Jahren, was Hoffnungen auf ein Ende der Stagnation im Luxussegment nährt. Analysten der Privatbank Berenberg bleiben jedoch skeptisch. Sie sehen die Branche an einem Wendepunkt, da strukturelle Nachfrageschwächen bestehen und der mehr als drei Jahrzehnte andauernde Superzyklus des Luxus voraussichtlich abgeschlossen ist. Berenberg unterscheidet zwischen Käufern, die aufgrund ihres Vermögens entscheiden, und jenen, deren Kaufentscheidungen von Einkommen abhängen. Besonders die zweite Gruppe dürfte aufgrund steigender Inflation, wachsender Lebenshaltungskosten und Sorgen über Arbeitsplatzverluste durch Künstliche Intelligenz negativ beeinflusst werden. Diese Faktoren gefährden zentrale Wachstumstreiber des Sektors und verdeutlichen die Herausforderungen für den europäischen Luxusmarkt.

Europas Aufholpotenzial und die Bedeutung für deutsche Unternehmen

Die aktuelle Marktlage zeigt ein zwiegespaltenes Bild, in dem technologische Innovationen und Unternehmen im Bereich Künstliche Intelligenz weiterhin dominieren, während gleichzeitig in Europa der Wunsch nach Stabilität und Aufholpotenzial gegenüber den USA wächst. Für Deutschland, als wirtschaftlich führendes Land in Europa, ergeben sich daraus sowohl Chancen als auch Risiken. Ein stärkerer europäischer Aktienmarkt könnte die Kapitalströme innerhalb der EU festigen und die Abhängigkeit von den USA verringern, gleichzeitig wird sich zeigen müssen, ob deutsche Unternehmen von der möglichen Renaissance europäischer Märkte profitieren oder durch strukturelle Schwächen gebremst werden. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu beurteilen, ob Europa seine neue Stärke langfristig behaupten kann und Deutschland dabei eine zentrale Rolle spielen wird.

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Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

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