Politik

Für einen Kampfjet braucht es 400 Kilogramm seltene Erden: Europa im Wettbewerb mit China und den USA

Seltene Erden sind zu einem entscheidenden Faktor in globalen Machtspielen geworden und beeinflussen Industrie, Verteidigung und Hightech. Kann Europa angesichts der Dominanz Chinas und des wachsenden US-Ausbaus seine strategische Unabhängigkeit sichern?
15.11.2025 11:00
Lesezeit: 5 min
Für einen Kampfjet braucht es 400 Kilogramm seltene Erden: Europa im Wettbewerb mit China und den USA
Seltene Erden werden für Europa zunehmend zum strategischen Schlüssel in Industrie und Verteidigung (Foto: dpa) Foto: Str

Seltene Erden im geopolitischen Zentrum

Sie tragen lange, ungewöhnliche Namen wie Neodym oder Praseodym. Noch vor wenigen Jahren kannten die meisten Menschen ihre Existenz nicht. Doch inzwischen stehen 17 seltene Erden im Mittelpunkt eines geopolitischen Dramas mit potenziell weitreichenden Konsequenzen. Nach der Abhängigkeit von russischem Gas ist es nun der Rohstoffbereich der seltenen Erden, der zu einem Problem für den Westen geworden ist. Diesmal ist es China, das seine Machtstellung ausnutzt. Seltene Erden sind zu einem zentralen Baustein im Machtspiel zwischen den USA und China geworden, und der Druck wirkt auch auf Dänemark und Europa.

„Wir erleben einen systemischen Wandel in der Art und Weise, wie Länder zusammenarbeiten und sich gleichzeitig behindern“, erklärte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, auf dem Berlin Global Dialogue. Mit einem klaren Seitenhieb auf China betonte sie, dass die Abhängigkeit täglich dazu genutzt werde, anderen Ländern und ihren Industrien einen „Würgegriff“ aufzuerlegen. In ihrer Rede wies sie darauf hin, dass Chinas Exportbeschränkungen für seltene Erden ein erhebliches Risiko darstellen, das direkte Auswirkungen auf europäische Unternehmen hat. Betroffen seien die Automobilindustrie, industrielle Motoren, Verteidigung, Luftfahrt, KI-Chips und Rechenzentren.

Europas Herausforderungen und US-Investitionen

Währenddessen baut die USA ihre eigene Produktion von seltenen Erden und den dazugehörigen Magneten für industrielle Anwendungen massiv aus. Die Regierung unter Donald Trump investiert Milliarden US-Dollar, und im Juli wurde eine potenziell bahnbrechende Vereinbarung getroffen. „Wenn man sich das vergangene Jahr anschaut, liegt der Schwerpunkt eindeutig auf dem Aufbau von Kapazitäten und Investitionen in seltene Erden in den USA“, erklärt Ryan Castilloux, Geologe, MBA-Absolvent und Gründer des kanadischen Analysehauses Adamas Intelligence, das Daten und Marktanalysen zu seltenen Erden liefert.

„In der EU passiert auch etwas, aber nicht viel. Das führt zu einem Rückstand an Risiken und Abhängigkeiten, den man dringend adressieren muss“, ergänzt er in einem Videointerview mit der Børsen. Eine Analyse der Denkfabrik CSIS kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Die USA führen das Rennen um Alternativen zu China an, gefolgt von Australien, Saudi-Arabien und Kanada. Die EU taucht in der Analyse gar nicht auf.

Für Dänemark und die übrigen EU-Staaten bedeutet das, dass sie statt von China möglicherweise von den seltenen Erden der USA abhängig werden. „Die Situation in der EU ist sogar noch ernster als in den USA. Europa importiert etwa dreimal so viel wie die USA. Die Kapazität, die aufgebaut oder gesichert werden muss, um Abhängigkeit zu vermeiden, ist enorm“, betont Castilloux. Ursula von der Leyen kündigte in Berlin neue Initiativen an, die darauf abzielen, diese Abhängigkeiten zu reduzieren.

Hoher Bedarf in Industrie und Verteidigung

Ein Blick auf den Markt für seltene Erden zeigt deren zentrale Rolle in vielen Industriezweigen, darunter Automobilbau, Klima- und Verteidigungstechnik. Für ein einziges Kampfflugzeug werden etwa 400 Kilogramm dieser Metalle benötigt, für ein militärisches U-Boot mehr als 4000 Kilogramm.

Die weltweite Marktgröße wird derzeit auf rund zehn Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt, doch das Volumen wird voraussichtlich stark steigen. „Es ist kein großer Markt im Vergleich zu Kupfer oder Nickel, aber entscheidend, weil er die Produktion in Industrien im Wert von Billionen US-Dollar ermöglicht“, erläutert Castilloux. Außerhalb Chinas ist die Lage angespannt. Peking hat den Schritt getan, den viele befürchtet hatten, aber zu vermeiden hofften.

Chinas politische Dominanz

China dominiert den Bereich der seltenen Erden: Schätzungen zufolge entfallen 60 bis 70 Prozent der weltweiten Förderung, 90 Prozent der Verarbeitung und 98 Prozent der Magnetproduktion auf das Land. Diese Dominanz nutzt China inzwischen als politisches Instrument. Im April wurden erstmals Exportbeschränkungen für sieben seltene Erden eingeführt. Laut Castilloux hat dies bereits die globalen Lieferketten erheblich gestört, da Endverbraucher nicht die benötigten Mengen erhalten und unsicher über die zukünftige Versorgung sind.

Im Oktober kündigte Peking weitere Maßnahmen an, darunter die Ausweitung der Beschränkungen auf zwölf Metalle, neue Exportauflagen für Produkte mit seltenen Erden und ein Verbot von Exportgenehmigungen für Firmen mit militärischem Bezug. Castilloux sieht die Maßnahmen vor allem als Verhandlungsstrategie. Ähnlich wie Trump in Handelsfragen setzte China seine Drohkulisse ein, ohne die Maßnahmen sofort konsequent umzusetzen.

Auswirkungen und internationale Reaktionen

Bei einem Gipfeltreffen in Südkorea einigten sich Donald Trump und Xi Jinping auf eine einjährige Verschiebung der jüngsten Exportbeschränkungen. Auch die EU ist Teil der Vereinbarung, wie die Kommission bestätigte. Dennoch ist der Schaden laut Castilloux bereits angerichtet. Die Industrie speichert Erfahrungen fünf bis sieben Jahre. Auch wenn sich die Zusammenarbeit künftig wieder normalisieren sollte, hat Chinas Schritt die Bemühungen zur Schaffung alternativer Lieferketten erheblich beschleunigt.

Die US-Regierung investiert inzwischen massiv in den Aufbau einer heimischen Produktion. So hat das Verteidigungsministerium 400 Millionen US-Dollar in das Unternehmen MP Materials gesteckt und garantiert einen Mindestpreis für eines der begehrtesten Magnetprodukte über zehn Jahre. Der Fokus liegt klar auf der Versorgung der Verteidigungsindustrie.

Strategische Langfristplanung Chinas

Bereits 1987 erkannte der damalige chinesische Präsident Deng Xiaoping das Potenzial der seltenen Erden für Chinas globale Rolle: „Der Nahe Osten hat Öl. Wir haben seltene Erden.“ Über drei Jahrzehnte investierte China konsequent in Bergbau und Aufarbeitung, oft unter Inkaufnahme hoher Umweltbelastungen.

Die Industrie wurde in wenigen großen, häufig staatlichen Unternehmen gebündelt. Westliche Länder hatten die Produktion dieser Rohstoffe weitgehend ausgelagert. Dass China seine Position nun strategisch ausnutzt, überrascht daher wenig. Zugleich sind die chinesischen Führungskräfte sich der Risiken bewusst, die ein solcher Einsatz politischer Macht birgt.

Wende in den USA

Mitte des Sommers 2025 investierte das US-Verteidigungsministerium in MP Materials, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Dies hat das Bild für Investoren deutlich verändert. „Jetzt liegt der Fokus auf dem Aufbau von Lieferketten, die wirtschaftlichen Fragen kommen danach“, erklärt Castilloux.

Ähnliche Mechanismen gelten für die Vereinbarung zwischen den USA und Australien, die Preisgarantien vorsieht. Die Investitionen erscheinen hoch, werden aber als notwendig erachtet, um die Basis für eine starke Automobil-, Klima- und Verteidigungsindustrie zu sichern.

Europas Aufholbedarf

In der EU begann der Kampf gegen Abhängigkeit im September 2022 mit der Ankündigung des Critical Raw Materials Act, der im Frühjahr 2024 in Kraft trat. Ziel ist es, die Eigenproduktion, Verarbeitung und Wiederverwertung von seltenen Erden und Mineralien zu stärken. Trotz genehmigter Projekte für finanzielle Unterstützung und vereinfachte Genehmigungsverfahren hält Castilloux die EU-Maßnahmen für zu zurückhaltend. Ursula von der Leyen kündigte in Berlin weitere Schritte an. Die neue Initiative „Resource EU“ zielt darauf ab, kurzfristig, mittelfristig und langfristig alternative Quellen für die europäische Industrie zu sichern.

Auf dem EU-Gipfel im Oktober wurde klargestellt, dass die Kommission alle handelsrechtlichen Mittel einsetzen soll, um China bei Handelskonflikten entgegenzutreten. Auch die Möglichkeit, ausländische Investitionen zu blockieren und den Marktzugang zu beschränken, wurde diskutiert.

Risiken einer neuen Abhängigkeit

Ob die EU ähnlich entschlossen handeln kann wie die USA, ist unklar. Analysten warnen, dass Europa möglicherweise eine neue Abhängigkeit von den USA statt von China aufbauen könnte. Ryan Castilloux betont, dass die USA bis 2030 in der Lage sein könnten, die Eigenversorgung für die am häufigsten genutzten seltenen Erden und Magnete sicherzustellen.

Ein Beispiel ist das Unternehmen Pensana, das geplante Erweiterungen in Großbritannien zurückstellt und stattdessen die USA bevorzugt. „Wenn wir in einer Welt leben, in der Verbündete auch wirklich Verbündete sind, ist es vielleicht gar nicht schlecht, dass die USA große Kapazitäten aufbauen, die auch Europa versorgen“, so Castilloux.

Deutschlands strategische Chancen

Deutschland ist als industrielle Schlüsselregion besonders betroffen. Die Automobilindustrie, die Luft- und Raumfahrt sowie die Elektro- und Maschinenbauindustrie sind auf stabile Lieferketten angewiesen.

Die EU-Initiativen könnten mittelfristig die Abhängigkeit von China reduzieren, doch Deutschland muss parallel eigene strategische Maßnahmen prüfen. Investitionen in heimische Verarbeitungskapazitäten und stärkere Kooperationen innerhalb Europas sind notwendig, um die industrielle Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern.

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