Brüssel ringt um den größten Finanzrahmen in der Geschichte der Europäischen Union
Normalerweise sorgt EU-Gesetzgebung kaum für Gesprächsstoff. Doch wenn es um zwei Billionen Euro geht, horchen selbst jene auf, die den Brüsseler Mechanismen sonst wenig Aufmerksamkeit schenken. Die massiven Regional- und Agrarsubventionen, die bisher als Grundpfeiler des europäischen Zusammenhalts galten, könnten diese Woche den gesamten Haushaltsplan der Union ins Wanken bringen. Nicht durch euroskeptische Kräfte, wie man erwarten könnte, sondern durch einen Konflikt im politischen Zentrum Europas.
Am Montag trafen sich die Spitzen der drei wichtigsten EU-Institutionen: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsidentin und dänische Premierministerin Mette Frederiksen sowie Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, um den eskalierenden Streit über die Agrarsubventionen zu entschärfen.
Der im Sommer vorgestellte Mehrjahreshaushalt 2028-2034 sollte mit einem Rekordvolumen aufwarten, allerdings ohne eine gesonderte Ausgabenlinie für die Gemeinsame Agrarpolitik (CAP). Stattdessen wollte die Kommission die Förderstrukturen zusammenführen und flexibler gestalten. Besonders Abgeordnete aus ländlichen Regionen befürchten nun, dass die Mittel künftig stärker in die Hauptstädte und zentralen Verwaltungen fließen und die Peripherie weniger Geld erhält.
Von der Leyen lenkt ein: Bauern und Regionen erhalten Zugeständnisse
Da auch das EU-Parlament, in dem von der Leyen bereits mehrere Misstrauensanträge überstanden hat, dem Budget zustimmen muss, bereitet die Kommission ein beispielloses Zugeständnis in einer frühen Phase des Haushaltsprozesses vor. Laut den Plattformen Politico und Euractiv ist die Kommission bereit, in den Haushaltsentwurf eine Verpflichtung aufzunehmen, wonach die Mitgliedstaaten mindestens zehn Prozent ihrer nationalen Mittel direkt für ländliche Gebiete reservieren müssen. Zudem sollen lokale Verwaltungen (insbesondere Bürgermeister und Gemeinderäte) künftig mehr Mitspracherecht bei der Verteilung von EU-Fördermitteln erhalten.
Hintergrund des Streits ist die Entscheidung, die bisherigen Struktur- und Agrarfonds in einem gemeinsamen Topf zu bündeln. Der neue Fonds, genannt „Partnerships Fund“, soll laut Plan 895 Milliarden Euro umfassen. Bauernverbände kritisieren, dass die für Landwirtschaft vorgesehenen 300 Milliarden Euro real einem Kürzungsniveau von rund 20 Prozent entsprechen. In einem Schreiben an Frederiksen und Metsola erklärte von der Leyen, sie habe die „Bedenken der Abgeordneten gehört“. Die EU wolle deshalb zusätzlich zu den ohnehin eingeplanten 300 Milliarden Euro die Ausgaben für ländliche Regionen um zehn Prozent erhöhen. Die zusätzlichen Mittel sollen gezielt klimafreundliche Investitionen von Landwirten und Forstbetrieben fördern. „Insgesamt wird dies dazu führen, dass die für Agrarprogramme vorgesehenen Ressourcen den bisherigen Mindestbetrag übersteigen, um sicherzustellen, dass ländliche Regionen wirtschaftlich und sozial florieren“, hieß es in einer begleitenden Mitteilung der Kommission.
Widerstand im EU-Parlament und wachsende politische Risiken
Doch das Entgegenkommen der Kommission reicht vielen Parlamentariern nicht. Insbesondere die Sozialdemokratische Fraktion, die zweitgrößte im EU-Parlament, hält die Änderungen für unzureichend. Am Mittwoch werden die Abgeordneten über den Haushaltsentwurf debattieren. Sollte kein Kompromiss gefunden werden, droht von der Leyens eigene Zentristenkoalition, den gesamten Zwei-Billionen-Euro-Plan zu blockieren.
Auch die Mitgliedstaaten teilen viele der Bedenken. Beim EU-Gipfel im kommenden Monat sollen die Regierungschefs über die Grundlinien des Haushalts verhandeln. Die Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten ist ebenso erforderlich wie die Zustimmung des Parlaments. Ein Abschluss vor Ende 2025 gilt als unwahrscheinlich, da Irland dann die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Die irische Abgeordnete Nina Carberry (Fine Gael) lobte das Einlenken der Kommission zwar als „wichtigen Schritt in die richtige Richtung“, mahnte aber, dass noch „ein weiter Weg“ bis zu einer tragfähigen Lösung bleibe.
Besonders heikel wird die Lage durch die bevorstehende Präsidentschaftswahl in Frankreich spätestens 2027. Sollte Emmanuel Macron abgelöst werden, könnte ein weniger EU-freundlicher Präsident die Agrarpolitik neu ausrichten – ein Szenario, das angesichts des politischen Gewichts der französischen Bauern massive Auswirkungen auf die gesamte EU-Haushaltsarchitektur hätte.
Der EU-Haushalt wackelt
Deutschland ist der größte Nettozahler in der EU und zugleich Hauptprofiteur der Agrar- und Regionalförderungen durch deutsche Landwirte und ostdeutsche Regionen. Eine Kürzung oder Umstrukturierung des Agrarbudgets könnte sowohl Bundesländer wie Bayern, Niedersachsen und Brandenburg treffen als auch die deutsche Lebensmittelindustrie, die eng in EU-Subventionsketten eingebunden ist. Zudem drohen politische Spannungen innerhalb der Bundesregierung: Während Finanzminister Christian Lindner auf Haushaltsdisziplin pocht, warnt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir vor einem Rückbau der EU-Förderpolitik. Der Streit in Brüssel könnte damit auch in Berlin zu einer neuen Koalitionsprobe werden.
Die EU steht vor einem gefährlichen Balanceakt: Zwischen der Forderung nach Haushaltsdisziplin und dem Druck der Agrarlobbys droht der nächste EU-Haushalt schon vor Beginn der Verhandlungen zu scheitern. Ursula von der Leyen versucht, Bauern, Regionen und Parlament zu besänftigen, doch jeder Kompromiss schwächt ihre Position. Die Haushaltsdebatte zeigt, wie fragil das politische Zentrum der EU geworden ist, während nationale Interessen wieder an Gewicht gewinnen.

