Wie viel Kraft hat der Börsenbulle noch?
Die globalen Aktienmärkte waren bis zur jüngsten Erholung bereits auf halbem Weg in eine Korrektur und zu einem Viertel in Richtung eines Bärenmarkts. Seit März 2009 erleben die weltweiten Börsen, abgesehen von zwei kurzen Panikphasen während der Pandemie und des Ukrainekriegs, eine der längsten Wachstumsperioden ihrer Geschichte.
Die Kursrückgänge im November bei Technologiewerten haben jedoch die Frage aufgeworfen, ob sich das Momentum allmählich erschöpft. Der MSCI ACWI verlor vom Rekord am 29. Oktober bis zur Vorwoche etwas mehr als fünf Prozent und erreichte damit die Hälfte einer typischen Korrektur oder ein Viertel eines Bärenmarkts.
Die jüngsten Schwankungen verstärken die Debatte, ob der jahrelange Aufwärtstrend an sein Ende kommen könnte. Gleichzeitig zeigt ein Blick in die Historie, dass Bullenmärkte stabiler werden, je länger sie bestehen. Dennoch sind Bewertungen, Zinsniveaus und das wirtschaftliche Umfeld entscheidender als die bloße Dauer eines Trends.
Warum junge Bullenmärkte anfälliger sind
Anleger erwarten bei langen Aufschwüngen oft eine baldige Wende. Eine Analyse der Ökonomen Asger Lunde und Allan Timmermann zeigt jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit eines Endes sinkt, je länger ein Bullenmarkt andauert. Bei Bärenmärkten verhält es sich umgekehrt. Junge Bullenmärkte sind also anfälliger für schnelle Richtungswechsel als etablierte Aufwärtstrends.
Dennoch weisen erfahrene Marktbeobachter darauf hin, dass die Dauer allein keine statistische Aussagekraft besitzt. Wichtiger sind Bewertungen, Zinsen und makroökonomische Rahmenbedingungen. Slowenische Finanzexperten ordnen diese Faktoren ein und erläutern, wie sie die aktuelle Situation einschätzen.
Wie alt ist der aktuelle Bullenmarkt?
Nach Definition gilt jeder Aufwärtstrend ohne zwanzigprozentigen Rückgang als Bullenmarkt. Da frühere Korrekturen länger dauerten, interpretieren manche Experten den aktuellen Trend als seit 2009 laufend. Den pandemiebedingten Absturz blenden viele aus, da er nur 33 Tage dauerte und damit der kürzeste Rückgang dieser Größenordnung im US-Markt war. Nur drei historische Bärenmärkte waren kürzer als einhundert Tage.
Eine Analyse von Bloomberg Intelligence aus dem Jahr 2021 deutete ebenfalls auf einen durchgehenden Bullenmarkt seit 2009 hin. Sie zog Parallelen zu früheren langen Marktphasen seit 1911 und kam zum Schluss, dass zwischenzeitliche Korrekturen seit 2009 zur Stabilität beigetragen hätten. Der aktuelle Trend wirke im historischen Vergleich ausgeprägter, ohne ein baldiges Ende zu erzwingen.
Einordnung des jüngsten Trendwendepunkts
Viele Finanzexperten setzen den Beginn des heutigen Bullenmarkts dennoch auf Oktober 2022. Technisch bestätigt sich ein neuer Trend, wenn ein Index um zwanzig Prozent vom Tiefpunkt steigt. Für MSCI, ACWI und S&P 500 war dies im Juni 2023 der Fall, auch wenn viele Beobachter den Wendepunkt früher ansetzen. In Euro und inklusive Dividenden hat der MSCI ACWI seit Oktober 2022 rund 62 Prozent zugelegt und damit eine jährliche Rendite von 15 Prozent erzielt.
Analyst Lojze Kozole betont, dass Aktienmärkte langfristig eine natürliche Wachstumstendenz haben, da Gewinne steigen, Innovationen die Produktivität erhöhen und nominale Werte mit der Inflation wachsen. Über längere Zeiträume betrachtet seien Märkte daher fast dauerhaft im Aufwärtstrend.
Was für eine Fortsetzung des Bullenmarkts spricht
Mehrere slowenische Finanzexperten bleiben optimistisch. Kozole sieht trotz hoher Bewertungen und Risiken weiteres Potenzial. Erwartete Zinssenkungen in den USA und starke Unternehmensgewinne wirkten unterstützend. Zudem liegen mehr als siebentausend Milliarden Dollar in US-Geldmarktfonds, die bei fallenden Zinsen Kapital in Richtung Aktienmärkte lenken könnten.
Aleš Lokar von Generali Investments sieht ebenfalls Spielraum für steigende Kurse. Der KI-getriebene Trend habe zwar an Dynamik verloren, sei aber weiterhin vorhanden. Zinssenkungen und lockere Fiskalpolitik sorgten für reichlich Liquidität, was historisch häufig zu breiten Marktanstiegen geführt habe. Zugleich warnt Lokar, dass steigende Vermögenspreise teilweise Ausdruck eines Wertverlusts der Währungen sein könnten.
Matic Volf von NLB Skladi bezeichnet den Bullenmarkt als mittel bis fortgeschritten. Auch in dieser Phase gebe es Chancen für zusätzliche Investitionen. Korrekturen wie im Frühjahr oder im November seien typisch für ein Umfeld, in dem algorithmisches Handeln schnelle Ausschläge verursache. Anleger sollten daher langfristig orientiert bleiben und kein kurzfristiges Markttiming versuchen.
Volf betont, dass die weitere Entwicklung davon abhängt, ob positive Faktoren wie KI-Effekte oder neue Technologien stärker wirken als Inflationsrisiken oder geopolitische Schocks. Lockerere Geldpolitik und solide Gewinne stützten den Trend weiter, doch die Phase einfacher Kursanstiege sei vorbei.
Welche Argumente hingegen für Vorsicht sprechen
Hohe Bewertungen vor allem in den USA sind ein deutliches Warnsignal. US-Aktien notieren derzeit bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 25 und damit deutlich über dem 30-Jahres-Durchschnitt. Das Shiller-CAPE liegt aktuell bei rund 40, während der historische Mittelwert bei 16 steht. Diese Niveaus traten in der Vergangenheit häufig vor größeren Marktkorrekturen auf.
Hinzu kommt die starke Konzentration der Kursgewinne auf wenige Technologiekonzerne wie Nvidia und die übrigen Mitglieder der Magnificent Seven. Ihre Dominanz belastet die Marktbreite und erinnert an späte Phasen früherer Bullenmärkte. Breite Segmente tun sich derzeit deutlich schwerer.
Auch legendäre Investoren wie Warren Buffett und Ray Dalio mahnen zur Vorsicht. Buffett hält rekordhohe Cashbestände, während Dalio vor hohen Schulden, Inflation und geopolitischen Konflikten warnt. Michael Burry wiederum sieht in der künstlichen Intelligenz potenziellen Nährboden für eine neue Spekulationsblase.
Wie Anleger handeln sollten
Laut Aleš Lokar sollten Anleger vor allem besonnen agieren. Sie sollten nicht davon ausgehen, die besten Titel zuverlässig identifizieren zu können, da politische Entscheidungen Kursentwicklungen schnell verändern. Eine breite Mischung aus Aktien, Rohstoffen, Immobilien und weiteren Sachwerten kann helfen, Kaufkraftverluste abzufedern.
Volf empfiehlt in dieser Marktphase eine sorgfältige Titelauswahl und aktives Portfoliomanagement. Anleger sollten ihr Vermögen so strukturieren, dass Rendite und Risiko im Einklang mit ihrem finanziellen Profil bleiben. Nach starken Anstiegen könne eine Umschichtung in defensivere Anlagen sinnvoll sein, während größere Rückgänge genutzt werden könnten, um den Aktienanteil zu erhöhen.
Kozole mahnt, die jüngsten Rückgänge gelassen zu betrachten. Kurzfristige Schwankungen änderten wenig am langfristigen Trend und sollten Anleger nicht zu übereilten Entscheidungen verleiten.
Marktentwicklung und Bedeutung für Deutschland
Für Deutschland zeigt sich, dass heimische Anleger stärker auf internationale Entwicklungen achten müssen. Globale Liquidität, technologische Trends und geopolitische Risiken beeinflussen zunehmend auch deutsche Vermögenswerte. Unternehmen und Sparer sollten ihre Strategien daher enger mit globalen Marktzyklen abstimmen.

