Finnlands Ex-Präsident warnt vor schnellem Frieden in der Ukraine
Sauli Niinistö war zwölf Jahre lang Präsident Finnlands und galt in dieser Zeit als das Staatsoberhaupt mit dem engsten Zugang zu Wladimir Putin. An einen schnellen Frieden in der Ukraine glaubt er nicht. Anfang 2022 riefen Staats- und Regierungschefs wie Emmanuel Macron und Joe Biden bei ihm an, um besser einschätzen zu können, ob Russland tatsächlich in die Ukraine einmarschieren würde.
Heute sitzt Niinistö in einem abgeschirmten Bereich des H. C. Andersen Schlosses in den Tivoli-Gärten in Kopenhagen. Von dort aus verfolgt er die Entwicklungen aus der Distanz, stützt seine Einschätzungen aber weiterhin auf seine langjährige persönliche Erfahrung mit Putin.
Sauli Niinistös besonderes Verhältnis zu Putin
Über viele Jahre stand Niinistö in regelmäßigem persönlichen Kontakt mit dem russischen Präsidenten. Beide spielten gemeinsam Eishockey. Putin überreichte ihm mehrfach Geschenke, die jeweils eine Anspielung auf die schwierige russisch-finnische Geschichte enthielten.
Bei einem Gipfeltreffen 2012 servierte Putin Madeirawein aus dem Jahr 1845 und sprach darüber, wie gut es damals gewesen sei. Niinistö bemerkte, dass nur er aus der alten Flasche eingeschenkt bekam. In seinen Erinnerungen beschreibt er das als bewusste Erinnerung an die Zeit, als Finnland ein Großfürstentum im Russischen Reich war.
Vom Präsidenten zum Mahner an der Seitenlinie
Bis zum 1. März des vergangenen Jahres war Niinistö Präsident Finnlands und wurde wegen seines Zugangs zum Kreml oft als „Putin-Flüsterer“ bezeichnet. Putin nutzte ihn zeitweise, um anderen Staats- und Regierungschefs die Sicht Moskaus zu erläutern.
Heute, mit 77 Jahren, kommentiert Niinistö die Lage von außen. Die jüngsten diplomatischen Aktivitäten weltweit ändern seine Einschätzung nicht. Nach seiner Auffassung verfolgt Putin weiterhin das Ziel, die Ukraine so weit wie möglich in eine Abhängigkeit von Russland zu bringen.
Putins Obsession mit der Ukraine
Niinistö registrierte bereits vor einigen Jahren Veränderungen im Auftreten des russischen Präsidenten. Putin sei entschlossener geworden und stärker auf seine Ziele fixiert.
Auf die Frage, ob Putin jetzt das umsetze, was er sich seit Langem vorgenommen habe, antwortet Niinistö: „Ja, er hat eine Obsession mit der Ukraine, die im Laufe der Jahre gewachsen ist. Ich sah die Anfänge bereits in den 2010er Jahren. Seitdem ist seine Besessenheit stärker geworden. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem nur Macht Putin stoppen kann.“
Gleichzeitig weist er auf den russisch-amerikanischen 28-Punkte-Plan hin, der zuletzt international große Aufmerksamkeit erhalten hat. Nach öffentlich bekannten Informationen wurde der Text auf russischer Seite in Zusammenarbeit mit Steve Witkoff, Donald Trumps Sondergesandten für Russland, formuliert.
Ein Friedensplan zulasten der Ukraine
„Vielleicht wäre dieser Plan für Präsident Putin akzeptabel. Für die Ukraine und damit auch für Europa wäre er sehr schlecht. Er käme einer ukrainischen Kapitulation gleich“, sagt Niinistö.
Ob es trotzdem Grund für Hoffnung gebe, lässt er offen. „Vielleicht wissen wir in ein paar Wochen mehr, aber die Grundsituation ist unverändert kompliziert.“ Die nächsten Signale könnten aus dem Kreml kommen, wenn Putin Witkoff empfängt, möglicherweise zusammen mit Jared Kushner. Anschließend könnte es zu einem Treffen zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kommen.
Europa darf die Aufrüstung nicht abbremsen
In Kopenhagen macht Niinistö deutlich, dass mögliche Gespräche in Moskau oder Washington Europa nicht beruhigen sollten. „Putin glaubt, dass Europa schwach ist. Wenn wir zeigen, dass wir stark sind, hält er Abstand. Deshalb müssen wir stark sein“, sagt er. Er warnt davor, die militärische Verstärkung zu stoppen. „Wir müssen fortfahren, sonst können wir einen militärischen Angriff Russlands nicht sicher vermeiden.“
In einer Welt mit vielen hybriden Angriffen habe sich vieles verändert, und das müsse man ernst nehmen. Niinistö verweist außerdem auf Berichte über die Vorbereitungen Deutschlands, bis zum Ende dieses Jahrzehnts in der Lage zu sein, einen möglichen Angriff Russlands abzuwehren.
Fehleinschätzungen des Westens
Erinnerungen an frühere Warnungen Putins sind für Niinistö zentral. Vor mehr als zehn Jahren erklärte Putin, der Westen sei schwach. Damals kommentierte Niinistö in einem Interview mit der Deutschen Welle, dass Putin damit nicht vollständig falsch liege.
Heute begründet er diese Einschätzung so: „Die Haltung in Europa war, dass Krieg und Sicherheitsanforderungen keine Rolle mehr spielen. Unsere militärischen Kapazitäten wurden seit den 1990er Jahren stark reduziert. Putin wusste das.“ Zwar habe sich die Haltung in Europa geändert, doch bleibe offen, ob die erhöhten Verteidigungsbudgets ausreichen. Russland zeige bisher keine Bereitschaft, seinen Kurs zu ändern.
Russlands Kriegswirtschaft hält länger durch als erwartet
Auf die Frage, ob Russland sich den Krieg langfristig leisten könne, erinnert Niinistö an frühere Prognosen. „2014 sagten wir, dass Russlands Wirtschaft in sechs Monaten kollabieren würde. Das ist nicht eingetreten. Russlands Wirtschaft ist wie ein Tintenfisch. Wenn ein Arm keine Erträge mehr bringt, kommt etwas von einem anderen Arm.“
Diese Struktur sieht er als Grund dafür, dass Sanktionen und Kriegsökonomie bisher nicht zu offenem Widerstand in Russland geführt haben. Gleichzeitig sei es schwerer geworden, einen westlichen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, etwa mit Fernreisen, westlichen Autos oder importierter Hochtechnologie.
Die Mehrzahl der Soldaten, so Niinistö, komme aus ländlichen Regionen, in denen die Verhältnisse noch an die Sowjetzeit erinnerten. „Man muss überleben, und es gibt immer Schwierigkeiten. Krieg ist eine dieser Schwierigkeiten“, sagt er. Hohe Soldzahlungen und umfangreiche Entschädigungen für Hinterbliebene erleichterten es dem Kreml, neue Truppen zu rekrutieren.
Hohe Kriegskosten für den russischen Staat
Ob die Belastung für den russischen Staatshaushalt dennoch sehr groß sei, beantwortet Niinistö klar: „Ganz sicher, aber auf irgendeine Weise kommen sie durch. Die Arme des Tintenfischs sind seit zehn Jahren in Bewegung. Selbst wenn einige abgeschnitten werden, finden die übrigen neue Geldquellen.“
Die größere Wirtschaftskraft Europas sei daher keine Garantie. „Darauf sollten wir überhaupt nicht setzen“, warnt er. Wie lange Russland den Krieg finanzieren könne, lässt er offen. „Darauf kann ich nicht antworten.“
Vorteile für Russland und die USA
Deutlich klarer äußert sich Niinistö zu dem 28-Punkte-Plan, der laut Berichten erneut auf den Tisch kommen könnte, wenn Putin Witkoff empfängt. Aus finnischer Sicht sei der Plan ein Erfolg für Russland und die USA und ein Nachteil für die Ukraine und Europa, selbst wenn es symbolische Zugeständnisse Moskaus gäbe.
Besonders kritisch sieht er den Teil, der vorsieht, dass die USA 100 Milliarden Dollar aus eingefrorenen russischen Devisenreserven erhalten sollen, die sich in Belgien befinden. Dieses Geld soll in einen Investitionsfonds fließen, von dessen Erträgen die USA die Hälfte bekommen.
„Wer die andere Hälfte erhalten soll, wird nicht erklärt“, sagt Niinistö. Hinzu komme ein weiteres Volumen von 40 Milliarden Dollar für Investitionen unter anderem in der Arktis. „Das hat nichts mit der Ukraine zu tun“, betont er und folgert, dass die USA dabei auch wirtschaftliche Ziele verfolgen.
Was Putin zum Einlenken bringen könnte
Wenn die USA auf finanzielle Vorteile und innenpolitische Erfolge achten, Europa nur begrenzten Einfluss hat und die Ukraine militärisch wie wirtschaftlich unter Druck steht, stellt sich die Frage, was Putin überhaupt zum Einlenken bewegen könnte.
„Ein Szenario, in dem es Russland schlechter geht, in dem sie glauben, dass sie nicht mehr gewinnen können, sondern dabei sind, zu verlieren. Das ist wahrscheinlich das Einzige, was Putin an den Verhandlungstisch bringen kann“, sagt Niinistö. Der 28-Punkte-Plan könne ebenfalls eine Rolle spielen, liege aber nach seiner Einschätzung weit von den Interessen der Ukraine und Europas entfernt.
Trump, Nato und Europas Sicherheit
Niinistö rechnet nicht damit, dass in den kommenden Tagen zwangsläufig Entscheidungen mit dauerhaftem historischen Gewicht fallen. Seine wichtigste Aussage für Europa betrifft das Verhältnis zu den USA und zur Nato. Nach seiner Einschätzung wird Washington Europa und das Bündnis nicht aufgeben.
„Die Ukraine ist für Trump kein persönliches Thema. Aber wenn er die Nato aufgeben würde, wäre das eine Katastrophe für die USA. Sie würden ihren wichtigsten und größten Verbündeten verlieren“, sagt Niinistö. Ob dies Trump persönlich berühre, beantwortet er indirekt: „Es bedeutet etwas für die Amerikaner und für Amerika.“
Folgen für Deutschland und Europa
Für Deutschland haben Niinistös Einschätzungen unmittelbare Folgen. Als größte Volkswirtschaft der EU, zentraler Standort für Industrie und Logistik und wichtiger Nato-Partner spielt Deutschland eine Schlüsselrolle bei der militärischen Unterstützung der Ukraine und bei der Abschreckung gegenüber Russland.
Die Warnung, dass nur Stärke Putin auf Abstand hält, stützt die laufenden deutschen Initiativen zur Aufstockung des Verteidigungsetats, zur Umstrukturierung der Bundeswehr und zur Verbesserung der Einsatzfähigkeit. Gleichzeitig zeigt Niinistös Blick auf die russische Kriegswirtschaft, dass Sanktionen allein nicht ausreichen.
Für Deutschland bedeutet dies, Verteidigungsplanung, Rüstungsproduktion, Munitionsversorgung und Unterstützung der Partnerländer langfristig zu organisieren. Innerhalb Europas wird Berlin stärker gefordert sein, konkrete Fähigkeiten bereitzustellen, gemeinsame Projekte voranzutreiben und verlässlich zu zeigen, dass Europa auf mögliche Bedrohungen vorbereitet ist.

