Gemischtes

Studie: Grippemittel Tamiflu ist ein Placebo

Im Vergleich zu einem Placebo verkürzt Tamiflu eine Grippe-Erkrankung um genau einen halben Tag. Das Medikament sei „hinausgeworfenes Geld“, so die Studie internationaler Wissenschaftler. Die Bundesländer orderten es zu Hochzeiten der Schweinegrippe und blieben auf Tamiflu im Wert 240 Millionen Euro sitzen.
10.04.2014 14:32
Lesezeit: 1 min

Eine Gruppe internationaler Wissenschaftler bezweifelt die Wirksamkeit des Roche-Grippemedikaments Tamiflu. Das Medikament wirke nur schwach, erklärten Wissenschaftler des Forschungsnetzwerks Cochrane Review in einer Untersuchung, die am Donnerstag im British Medical Journal veröffentlicht wurde. Nebenwirkungen wie Schnupfen, Kopfschmerzen und Brechreiz seien bisher zu wenig beachtet worden. Der Roche-Konzern, der mit Tamiflu Milliarden-Umsätze machte, wies die Schlussfolgerungen der Wissenschaftler zurück. Tamiflu sei weltweit von 100 Aufsichtsbehörden geprüft worden. Es sei ein effizientes Medikament zur Behandlung und Vorbeugung von Grippe, erklärte der Basler Konzern. Die Wissenschaftler hätten nur 20 von insgesamt 77 Tamiflu-Studien berücksichtigt.

Das Medikament wurde bei Roche zu einem Umsatzrenner, nachdem 2003 in Hongkong das Vogelgrippe-Virus entdeckt wurde und 2009 die Angst vor einer Schweinegrippe-Pandemie umging. Viele Regierungen legten Notvorräte an. Allein die amerikanische Regierung kaufte Tamiflu für mehr als 1,3 Milliarden Dollar. Das sei hinausgeworfenes Geld gewesen, sagte der Oxford-Professor Carl Henegan. Die Daten würden zeigen, dass Tamiflu eine Grippe im Vergleich zu einem sogenannten Placebo-Mittel höchstens um gut einen halben Tag verkürze und Nebenerkrankungen wie Lungenentzündung und Ohreninfektionen nicht verhindere.

Auch die deutsche Regierung ließ sich damals von der Panik anstecken und orderte 34 Millionen Impfstoff-Dosen. Die Nachfrage war gering und die Impfstoffe verfielen. Die Bundesländer blieben auf Impfstoffen im Wert von 239 Millionen Euro sitzen und mussten obendrein noch für die Vernichtung aufkommen (mehr hier).

Nach der Umsatzspitze bei fast drei Milliarden Dollar im Jahr 2009 gingen die Verkäufe zurück. Im letzten Jahr nahmen die Basler mit Tamiflu umgerechnet noch gut 700 Millionen Dollar ein. Der nun veröffentlichten Studie ging ein mehrjähriger Streit voraus. Die Cochrane-Wissenschaftler warfen Roche vor, Tamiflu-Untersuchungsergebnisse zurückzuhalten. Ein Sprecher der Schweizer Medikamenten-Zulassungsbehörde sagte, es gebe „keinen akuten oder dringlichen Anlass“, die Anwendungsvorschriften für das Medikament zu ändern. Nach Ansicht der EU-Arzneimittelbehörde (EMA) ändert die Cochrane-Studie nichts daran, dass der Nutzen von Tamiflu die Risiken überwiegt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Nächstes Flugzeug aus Afghanistan gelandet - Sachsens Innenminister gegen Baerbocks Aufnahmeprogramm
17.04.2025

Die weitere Aufnahme von Afghanen sorgt bei Sachsens Innenminister Armin Schuster für große Empörung: „Dass Außenministerin Annalena...

DWN
Panorama
Panorama Politiker aus Wachs: Scholz-Wachsfigur bleibt bei Madame Tussauds - Merz fehlt noch
17.04.2025

2022 bekam Kanzler Scholz seinen Doppelgänger aus Wachs. Sein wahrscheinlich künftiger Nachfolger muss sich aber noch etwas gedulden, bis...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Vattenfall übernimmt Nordlicht-Projekt – BASF zieht sich überraschend aus deutscher Windenergie zurück
17.04.2025

Ein unerwarteter Rückzieher sorgt für Unruhe im europäischen Energiemarkt: Der Chemiekonzern BASF verkauft seinen Anteil am...

DWN
Politik
Politik Kontrollstaat: digitale Identität mit Bürgerkonto wird im Koalitionsvertrag Pflicht – Hacker kritisieren Überwachung
16.04.2025

Ende der Freiwilligkeit? Im Koalitionsvertrags setzen CDU, CSU und SPD auf eine verpflichtende digitale Identität der Bürger in der BRD....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Schlimmer als Finanzkrise oder Dotcom-Blase: Finanzexperte warnt vor einem globalen Beben
16.04.2025

Ulrik Ross, Ex-Banker bei Merrill Lynch, Nomura und HSBC, warnt vor einer Krise historischen Ausmaßes. Der globale Handelskrieg sei nur...

DWN
Politik
Politik Reform Arbeitszeitgesetz: 8-Stunden-Tag nicht mehr zeitgemäß?
16.04.2025

Union und SPD schlagen vor, aus der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu machen. Von der Wirtschaft gibt es Zuspruch, die...

DWN
Panorama
Panorama „Tag des Sieges“ in Russland: Mehr als 20 Staatschefs stehen auf Putins Gästeliste
16.04.2025

Gedenken zum Ende des Zweiten Weltkriegs: Langsam zeichnet sich ab, wer am 9. Mai mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin den Sieg...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Whistleblowerin erhebt schwere Vorwürfe: Meta soll Nutzerdaten mit China geteilt haben
16.04.2025

Ein neuer Skandal erschüttert den US-Techgiganten Meta. Die ehemalige Facebook-Managerin Sarah Wynn-Williams, früher Director of Global...