EU-Kommissionspräsident Juncker hat am Mittwoch seinen Vorschlag zur Verteilung der Zuständigkeiten in der neuen EU-Kommission vorgelegt. Der für den Posten des EU-Kommissars für Finanzmarktstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmärkte vorgeschlagene Brite Jonathan Hill wäre demnach für die zentralen Themen der Finanzmarktregulierung wie Bankenabwicklung und Regulierung von Finanzprodukten zuständig.
Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, kritisiert die Nominierung Hills als Provokation, denn "damit wäre ein Banken-Lobbyist für die Finanzmarktregulierung zuständig". Hill sei Mitbegründer der Beratungsfirma 'Quiller Consulting', zu deren Kunden auch Unternehmen aus der Finanzbranche wie die HSBC gehören.
Ein Brite mit besten Kontakten zur Londoner City und zur Finanzmarktlobby säße damit an den zentralen Schalthebeln für die zukünftige Finanzmarktregulierung. Parteiübergreifend habe sich das Europaparlament bisher jedoch in den letzten Jahren für eine schärfere Finanzmarktregulierung eingesetzt.
Ebenso unverständlich ist laut Giegold, ausgerechnet einen konservativen Briten zum Entscheider über die Bankenabwicklungsbehörde der Eurozone zu machen. Damit fallen Macht und Verantwortung auseinander, denn Großbritannien wird sich an der EU-Bankenabwicklung nicht beteiligen. Giegold kritisiert:
„Damit milliardenschwere Rettungspakte auf Kosten des Steuerzahlers für Banken zukünftig überflüssig werden, brauchen wir einen engagierten zupackenden Kommissar. In dem er Jonathan Hill das Finanzmarktressort zuschustert, macht Jean-Claude Juncker dem britischen Premierminister David Cameron ein Geschenk. Mit dieser freundschaftserhaltenden Maßnahme wird der Finanzmarktstablität möglicherweise ein Bärendienst erwiesen. Es ist sinnvoll, politische Signale an das Vereinigte Königreich zu senden, um die Mitgliedschaft in der EU zu erhalten. Die Stabilität unseres Finanzsystems ist jedoch keine billige politische Handelsware und darf nicht zur Disposition gestellt werden. Allein die Zahl der Klagen der britischen Regierung gegen die EU-Finanzmarktpolitik spricht Bände. Im Vergleich zum Vorgänger Michel Barnier, ist mit diesem Vorschlag ein Verlust an Profil und Unabhängigkeit der Kommission in der Finanzmarktregulierung so gut wie sicher.“
Hill erwarte daher ein sehr schwieriges Hearing im federführenden Ausschuss, gerade nachdem die vorige Vorsitzende Sharon Bowles direkt von ihrem öffentlichen Amt in die Finanzbranche gewechselt ist.
Ein weiterer Seitenwechsel, den Giegold, als „Skandal“ bezeichnet. Es sei bitter zu sehen, „wie sie ihren guten Ruf an die Londoner Börse verkauft“, so Giegold.
Bowles ist Seit dem 14. August Mitglied des Vorstands der Londoner Börse. Dort arbeitet Bowles ausgerechnet für diejenigen, für deren Kontrolle sie zuvor als ECON-Vorsitzende die Regeln und Gesetze gestaltet hat. Der ECON bearbeitet als zentrale Stelle alle europäischen Gesetze zur Regulierung der Finanzmärkte nach der Krise. Als Ausschussvorsitzende war Bowles dort ungewöhnlich einflussreich und allgemein geachtet.
Die ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europaparlaments, Sharon Bowles, ist praktisch ohne jede Sperrfrist zur Finanzbranche gewechselt.
Um ähnliche Fälle künftig zu vermeiden, erläutert der Politiker die Bedeutung dieses Wechsels und Notwendigkeit strengerer Sperrfristen:
„Fast alle entscheidenden Verhandlungen zwischen Europaparlament, Mitgliedsländern und EU-Kommission hat Bowles persönlich geleitet. Sie hat den ECON nach außen vertreten, auch bei den Treffen der Finanzminister (EcoFin). Sie kennt alle Akteure, alle Tricks und Kniffe.
Zutreffend und unumwunden schreibt die Londoner Börse: "Sharon bringt umfangreiches Wissen über Europäische politische und regulatorische Entwicklungen mit, die unser Geschäft beeinflussen. Ihre Erfahrung und Einblick wird für unsere Unternehmensgruppe von großem Wert sein, da wir in einem immer komplexerem regulatorischen Umfeld arbeiten".
Sharon Bowles verwandelt Wissen, das sie im öffentlichen Auftrag erworben hat, nun in eigenes Einkommen und zum Nutzen eines privaten Unternehmens. Damit bringt sie nicht nur sich selbst, sondern auch die EU in Misskredit. Schon jetzt sind immer mehr Bürgerinnen und Bürger verstört und frustriert über den starken Einfluss mächtiger privater Sonderinteressen auf europäische Entscheidungen. Bowles' Seitenwechsel wird den schlechten Ruf der Brüsseler Institutionen in dieser Hinsicht weiter verschlechtern.
Besonders problematisch ist, dass sie für die Liberale Fraktion (ALDE/FDP) federführende Verhandlerin der Europäischen Marktrichtlinie (Mifid II) war. Diese Richtlinie regelt große Teile des europäischen Rechtsrahmens für die Börsen in Europa und damit auch der London Stock Exchange.
Wie bei den meisten EU-Gesetzen im Finanzmarktbereich kommt es nun auf die Details der Umsetzungsgesetzgebung an. Viele hundert sogenannte delegierte Rechtsakte werden in den nächsten Monaten und Jahren beschlossen. Sie entscheiden letztlich darüber, wie wirksam die Gesetze sein werden. Eine entscheidende Rolle beim Abfassen dieser Gesetze spielen die europäischen Finanzaufsichtsbehörden (EBA, ESMA, EIOPA). So setzten Sozialdemokraten, Grüne, Linke und Konservative/Christdemokraten strengere EU-Regeln gegen Nahrungsmittelspekulation im Rahmen der Mifid II durch. Liberale und Rechtskonservative waren immer skeptisch. Ob diese Regeln wirksam sind, entscheidet sich nun an den delegierten Rechtsakten.
Nun kündigt Bowles auf Twitter an, sich auch um den Kontakt zu den Aufsichtsbehörden für die Londoner Börse zu kümmern. Damit kann sie nun die entscheidenden delegierten Rechtsakte für die Umsetzung der EU- Regeln gegen Nahrungsmittelspekulation negativ beeinflussen.
Der Seitenwechsel von Sharon Bowles ist nur ein Beispiel einer unsäglich langen Liste von Top-EU-Politikern, Beamten und Kommissaren zu privaten Lobbys. Auch in Deutschland zeigt sich das gleiche Bild. Die Lobbypedia zeigt eine lange Liste von Seitenwechslern und Seitenwechslerinnen. Die fragwürdige Drehtür ist also nicht nur ein Problem in der EU, sondern auch in den Mitgliedsländern und in Deutschland.
Um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie zu stärken, braucht es in der EU und in den Mitgliedsländern dringend Sperrfristen oder Karrenzzeiten zwischen einem öffentlichen Amt oder Mandat und einer Tätigkeit bei mächtigen Sonderinteressen und Konzernen. Drei Jahre wären eine angemessene Abkühlphase. Das Beispiel von Sharon Bowles zeigt, dass dies nicht nur für Regierungsmitglieder und hohe Beamte gelten darf, sondern auch ParlamentarierInnen umfassen muss. Dafür werde ich mich weiterhin einsetzen, gemeinsam mit NGOs wie Lobbycontrol und Transparency International.
Ironisch ist, dass ich mit Sharon Bowles und anderen Abgeordneten vergleichsweise strenge Sperrfristen für die Europäischen Finanzaufsichtsbehörden gegen die Mitgliedsländer durchgesetzt habe. Nun verstößt sie selbst gegen den Geist dieser Regeln. Genauso wäre ihr Seitenwechsel für EU-Kommissare wegen der geltenden Sperrfrist von 18 Monaten unzulässig.
Unzureichend ist, was die Bundesregierung wohl derzeit plant: Sperrfristen nur für Mitglieder der Regierung. Diese Regeln sind gerade auch für uns Abgeordnete und für Beamte notwendig. Hier muss die Große Koalition nun in Deutschland liefern und sich auch für entsprechende Regeln in den EU-Institutionen einsetzen.
Gespannt bin ich schließlich noch, ob sie wenigstens auf die Zahlung eines Übergangsgelds verzichtet. Sie war für rund 10 Jahre Mitglied des EU-Parlaments. Damit stehen ihr 10 Monate lang die Fortzahlung von Abgeordnetendiäten zu und zwar unabhängig davon, ob sie inzwischen oder weiterhin Einkünfte hat, wie jetzt von der Londoner Börse.“