Bei der Haltbarmachung von Lebensmitteln suchen Landwirte nach Alternativen zum Einsatz von Spritzmitteln oder Gentechnik. Eine seit Jahren bekannte Technologie aus der Nuklearforschung könnte dabei künftig eine größere Rolle spielen: Die Methode der ionisierenden Bestrahlung von Lebensmitteln ist in Europa bisher verpönt, erfreut sich aber in vielen anderen Ländern wachsender Beliebtheit. Internationale Organisationen wie UN und WHO propagieren die Bestrahlung als sichere Alternative zur Chemie. Eine Podiumsdiskussion in Wien hat das Thema Nukleartechnik in der Landwirtschaft nun erneut auf die Agenda gesetzt, berichtet der Standard.
Laut Bundesamtes für Verbraucherschutz ist die Bestrahlung mit ionisierenden Strahlen eine sichere Methode zur Konservierung von Lebensmitteln. Hierbei werden unerwünschte Mikroorganismen und Insekten abgetötet, die zum Verderb der Lebensmittel führen oder ein Risiko durch die Übertragung von Infektionskrankheiten darstellen. Außerdem kann durch Bestrahlung die vorzeitige Reifung, Sprossung oder Keimung von Lebensmitteln verhindert werden, so die Erläuterungen. Dadurch bleiben also Äpfel oder Hamburger länger frisch. Auch Krankenhausnahrung wird so keimfrei gemacht, ebenso wie die Nahrung für Astronauten oder medizinisches Besteck.
Verwendet werden dazu Gammastrahlen, Röntgenstrahlen, oder Elektronen. Gewonnen werden diese ionisierenden Strahlen beispielsweise aus nuklearen Abfällen. Hersteller und Behörden betonen jedoch, dass die Nahrung durch die Bestrahlung keinesfalls radioaktiv wird, räumen aber ein, dass auch wertvolle Inhaltsstoffe wie Kohlenhydrate, Proteine, Fettsäuren und Vitamine durch die Strahlung in geringem Umfang zerstört werden. Dies habe jedoch „keine wichtige Bedeutung für den Gehalt an Nährstoffen“.
Experten zufolge soll die Strahlung nicht gefährlicher sein als etwa eine Mikrowelle. Dennoch unterliegt die Bestrahlung in Deutschland strengen Beschränkungen. Offiziell erlaubt ist sie hierzulande seit 2001 nur für Gewürze und Kräutermischungen und selbst da unterliegt sie einer strengen Kennzeichnungspflicht.
Weil aber Produkte aus anderen EU-Ländern teils weniger strenge Regelungen haben, gilt praktisch inzwischen eine EU-weite Liste von rund 30 zur Bestrahlung zulässiger Produkte: Von Fleisch über Gemüse und Getreide ist alles dabei. Dem EU-Prüfbericht von 2010 zufolge wurden in Deutschland 127 Tonnen Lebensmittel (Kräuter und Gewürze) mit so genannter ionisiernder Strahlung behandelt. In Belgien beispielsweise wurden hingegen bereits 5840 Tonnen Nahrung bestrahlt, davon allein 3,5 Tonnen Froschschenkel.
Das ist einigen Befürworten der Strahlung nicht genug. Der Standard berichtet, dass Experten auf dem jüngsten Forum zum Thema die Vorbehalte gegen eine Ausweitung der Bestrahlung in Europa nicht verstehen können. So auch Carl Blackburn von der Lebensmittel- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen und Internationalen Atomenergiebehörde: „Niemand will in Europa der Erste sein, der das macht“. Dabei hätten Langzeitstudien bewiesen, dass es keine negativen Auswirkungen auf den Menschen gibt. Selbst die Weltgesundheitsorganisation empfehle die Bestrahlung.
Diese Empfehlung wird jedoch von NGOs und Europapolitikern auch seit Jahren kritisiert, berichtet Euraktiv. Die WHO ignoriere demnach wichtige Hinweise auf die möglichen schädlichen Auswirkungen der Bestrahlung: So könne nicht ausgeschlossen werden, dass die hervorgerufenen Zellveränderungen in der Nahrung gesundheitsschädlich seien. Zudem werde die Methode der so genannten „Entwesung“ missbraucht, um den Verbrauchern Frische vorzugauckeln und Hygienestandards zu ersetzen.
Auch die Washington Post hat in einer Serie von Artikeln jüngst einige Befürworter der Methode zu Wort kommen lassen. Der US-Zeitung sagte Chef der amerikanischen Behörde für Krankheitskontrolle Osterholm, das Nichtbenutzen der Strahlung sei „der größte Fehler des Gesundheitswesens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Amerika“. Demnach bekäme jährlich jeder sechste Amerikaner eine Lebensmittelvergiftung, 3000 Menschen würden sterben: „Wir könnten so viele Leben retten."
Mit welchen Maßstäbe Osterholm diese Ungefährlichkeit misst, zeigt sich an einem weiteren Vergleich: Schließlich sei die Bestrahlung eine ungefährlichere Alternative zu der chemischen Behandlung von Hühnchen mit Chlor, die im Gegensatz zur Bestrahlung in den USA nicht kennzeichnungspflichtig sei.