Politik

Princeton-Studie: US-Politik dient nicht den Bürgern, sondern den Wirtschafts-Eliten

Eine aktuelle Studie der Universität Princeton kommt zu einem verblüffenden Ergebnis: Die USA sind keine Demokratie mehr, weil politische Entscheidungen nicht mehr den Wünschen der Bürger, sondern den Interessen einer kleinen Wirtschafts-Elite dienen. Die Erkenntnisse sind auch in außenpolitischer Hinsicht wichtig: Wenn Konflikte – wie jener gegen Russland – eskalieren, geht es der US-Regierung nicht um die Interessen des amerikanischen Volkes, sondern um wirtschaftliche Interessen.
27.07.2015 02:02
Lesezeit: 3 min

US-Präsident Barack Obama hat in Kenia ein leidenschaftliches Plädoyer für die Demokratie gehalten: „Wir werden misstrauisch auf Gesetze schauen, die bestimmte Gruppen nicht arbeiten lassen, nur weil sie der Regierung beispielsweise kritisch gegenüberstehen“, sagt Obama am Sonntag beim Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft. „Ich will Terrorismusbekämpfung nicht als Entschuldigung genutzt wissen, um legitimen Widerspruch zu erdrücken.“ Und auch bei seiner Rede vor den Kenianern stellt er klar: Bürger müssen ihre Rechte ausüben dürfen, um für Wandel zu kämpfen. „Das ist der Sauerstoff, von dem Demokratie abhängt.“

Wahre Worte, in der Tat. Doch gelten sie wirklich weltweit, etwa in den USA?

Eine Studie der Universität Princeton hat kürzlich untersucht, in wessen Interessen die amerikanischen Politiker wirklich agieren. Das Fazit des Studienautors Martin Gilens, der die Untersuchung gemeinsam mit Benjamin I. Page von der Northwestern Universität durchgeführt hat, ist ernüchternd:

„Das zentrale Ergebnis unserer Forschung ist, dass die Wirtschafts-Eliten und organisierte Gruppen, die Wirtschafts-Interessen vertreten, einen substantiellen unabhängigen Einfluss auf die Politik der US-Regierung haben. Gruppen, die die Interessen der Masse der Amerikaner vertreten sowie einzelne, durchschnittliche Bürger, haben dagegen wenig bis gar keinen Einfluss auf die Politik.

Die Forscher haben zu diesem Zweck Meinungsumfragen analysiert und herausgefunden, dass sich von den Ergebnissen dieser Umfragen so gut wie nichts in einer konkreten politischen Umsetzung wiederfinden lässt. Ganz anders dagegen die Umfragen unter den Eliten: Deren Wünsche schaffen es in einer erstaunlichen Kontinuität, am Ende die konkrete Politik der Regierungen zu beeinflussen.

Die Studie widerlegt handelsübliche Untersuchungen, die immer noch einhellig ergeben, dass die Regierung das tue, was die Mehrheit wünscht. Doch Gilens kommt zu einem anderen Ergebnis:

„In den Vereinigten Staaten regiert die Mehrheit nicht, zumindest nicht in dem Sinn, dass es eine Kausalität zwischen den Wünschen der Bevölkerung und den Gesetzen gibt. Sobald eine Mehrheit anderer Meinung ist als die Wirtschafts-Eliten oder organisierte Gruppen, verliert die Mehrheit. Obwohl in den USA das Mehrheitsprinzip in die Verfassung eingebaut ist, stellen wir fest: Selbst wenn ziemlich große Mehrheiten eine bestimmte Politik wollen, bekommen sie sie nicht.“

Dies führt zu einer Aushöhlung der Demokratie:

„Unsere Analyse zeigt, dass die Mehrheit der Amerikaner tatsächlich wenig Einfluss auf die Politik ausübt, die von der Regierung betrieben wird. Natürlich genießen die Amerikaner das Wahlrecht, die Freiheit der Rede und die Versammlungsfreiheit. Doch wir glauben: Wenn die Gesetzgebung von mächtigen Wirtschafts-Organisationen und einer kleinen Gruppe von einflussreichen Amerikanern dominiert wird, dann ist die Behauptung Amerikas, eine demokratische Gesellschaft zu sein, ernsthaft gefährdet.“

Es spricht immerhin für die USA als einem freien Land, das eine Elite-Universität aus dem eigenen Land zu diesem verstörenden Urteil kommt. Und tatsächlich wächst gerade unter den amerikanischen Eliten der Widerstand gegen eine selbstherrliche Politik der Regierung, die sich anmaßt, in der Welt als moralische Ordnungsmacht aufzutreten, doch im eigenen Land gegen die Bürger agiert. Die Problematik, die Colin Crouch in seinem lesenswerten Buch zur Postdemokratie beschrieben hat, hat sich nämlich weiter verschärft.

In der politischen Diskussion in Europa sind die Erkenntnisse der Studie in mehrfacher Hinsicht wichtig: Zum einen muss die europäische Öffentlichkeit, so sie etwa aus unabhängigen Medien und zu eigenen Denkleistungen fähigen Politikern besteht, bei Vereinbarungen mit den USA größte Vorsicht walten lassen. Das gilt aktuell für das TTIP, welches unter dem Gesichtspunkt, dass die US-Regierung nicht für ihre Wähler, sondern für ausgewählte Lobbys spricht, eigentlich unannehmbar ist. Die Skepsis gilt auch für den blinden Gehorsam der EU-Politiker in Fragen der Außenpolitik: Spätestens bei den Russland-Sanktionen zeigt sich, dass die Interessen der europäischen Arbeitnehmer ebenso wie jene der europäischen Wirtschaftstreibenden ignoriert werden.

Auch die aktuelle Flüchtlings-Lage spiegelt das Problem wieder: Syrien und Libyen, von wo aktuell die meisten Flüchtlinge kommen, wurden von den Amerikanern destabilisiert. Auch hier wurden, wendet man die Ergebnisse der Studie an, nicht die Interessen des amerikanischen Volkes vertreten, sondern jene eines, wie es die Autoren nennen, „voreingenommenen Pluralismus“ – also einflussreicher Partikularinteressen. Die EU steht heute wegen dieser Politik vor dem moralischen Scherbenhaufen: Tausende Menschen sterben auf ihrer Flucht, und niemand in der europäischen Politik ist Manns genug zu sagen, dass konkreten Menschen geholfen werden muss – völlig unabhängig von einer möglichen „Ermutigung“ für andere Flüchtlinge. Dieses simple menschliche Prinzip ist in einem gewaltigen System-Versagen preisgegeben worden. Die Folge ist, dass die Politik in Europa - einst erwachsen auf humanitären Idealen und egalitären Überzeugungen – zu einem Apparat der ökonomischen Vorteils-Maximierung für kleine, aber einflussreiche Gruppen verkommt.

Die größte Gefahr für Europa besteht in einer weitergehenden Anpassung des europäischen demokratischen Systems an die von der Studie bloßgelegte amerikanische Realität: Auch in der EU dominieren Lobby-Gruppen. Der Schlachtruf der EUphoriker nach den „Vereinigten Staaten von Europa“ muss daher als gefährliche Drohung entlarvt werden. Das gilt sowohl für die Nationalstaaten als auch für die EU-Organisationen. Das Fiasko um Griechenland zeigt, dass auch bei innereuropäischen Konflikten die Interessen von einflussreichen Gruppen wie dem IWF, der EZB, den Banken und den politischen Arbeitsplatz-Sicherungs-Vereinen Vorrang vor dem haben, wofür sich Wähler entscheiden.

Die Aufgabe des demokratischen Prinzips hat in den USA bereits zu sozialen Verwüstungen geführt – wie gerade alle jene bestätigen werden, die Amerika lange als gelobtes Land in puncto Freiheit und Chancengleichheit gesehen haben.

Die europäische Selbstzerfleischung, wie wir sie am griechischen Beispiel sehen, wird dazu führen, dass die entmündigende Amerikanisierung auch auf dem alten Kontinent zur Seuche wird. Zu verhindern ist diese Entwicklung wohl nur, wenn die Bürger Europas die ihnen verbliebenen Freiheitsrechte exzessiv nutzen und eine schlafwandelnde politische und wirtschaftliche Elite stoppen, ehe das Modell Europa endgültig ein Fall für die historischen Museen geworden ist.

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