Politik

250.000 Teilnehmer bei Demonstration gegen TTIP in Berlin

Eine der bisher größten Kundgebungen gegen das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA fand am Samstag in Berlin statt. Die Bundesregierung verwendet als Gegenmaßnahme Steuergelder, um in Zeitungen Werbung für das Abkommen zu machen. Auch in Amsterdam gab es Massen-Proteste.
10.10.2015 14:40
Lesezeit: 3 min

Werbung+++

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Es war eine der größte Demonstrationen in der jüngeren Geschichte Berlins: Zehntausende Demonstranten haben am Samstag in Berlin gegen die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (Ceta) protestiert. Allein beim Start des Demonstrationszuges am Hauptbahnhof versammelten sich nach Polizeiangaben rund 45.000 Teilnehmer. Die Veranstalter - ein Bündnis aus Globalisierungskritikern, Umwelt- und Verbraucherschützern sowie Gewerkschaften - sprachen von weit über 100.000 Demonstranten. Doch selbst sie dürften sich verschätzt haben: Laut Reuters sollen es rund 250.000 Menschen gewesen sein. „Dies ist die größte Demonstration, die dieses Land seit vielen, vielen Jahren gesehen hat“, sagte Christoph Bautz von Campact, das für die Organisation gemeinsam mit anderen Organisationen verantwortlich zeichnet.

Mehrere Teilnehmer betonten, dass sie keinesfalls als antiamerikanisch eingestuft werden wollen. Sie befinden sich in guter Gesellschaft: Auch Joseph Stiglitz stellt sich gegen das TTIP und die anderen, neuen Freihandelsabkommen.

Die Teilnehmer befürchten, dass durch die Abkommen bisher gültige soziale und ökologische Standards unterlaufen werden - zugunsten weniger Großkonzerne. Ihre Sorgen brachten die Demonstranten auf Transparenten wie "TTIP & Ceta stoppen! Für einen gerechten Welthandel" zum Ausdruck. Interessant: Die Liste der Unterstützer ist viel breiter als bisherige Proteste gegen den Freihandel. Sie umfasst die Linkspartei, die Grüne, Attac, Greenpeace, aber auch Kulturvereinigungen, die Gewerkschaft und viele unabhängige Gruppen. Für die CDU müsste eigentlich überraschend sein, dass auch der Mittelstand gegen das TTIP Front macht - mit durchaus einleuchtenden Argumenten. 

Bundesregierung und Wirtschaft warben dagegen für das TTIP-Abkommen - und zwar mit Steuergeldern: "Bangemachen gilt nicht", mahnt  Vizekanzler Sigmar Gabriel in ganzseitigen Anzeigen, die in mehreren überregionalen und regionalen Tageszeitungen erschienen. Nach welchen Kriterien die Steuergelder unter den Medien verteilt wurden, ist nicht bekannt. Die Bundesregierung übt seit Jahren die Praxis, nur bestimmte Medien mit Anzeigen zu bedenken. Sie erhofft sich davon wohlwollende Berichterstattung. Mit den zahlreichen Einwänden gegen das TTIP will sich die Bundesregierung nicht, und wenn dann hinter verschlossenen Türen einsetzen. Kein Wunder: Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte im Bundestag gesagt, man müsse das TTIP "mit Haut und Haaren" verhandeln.

Bei einigen Medien scheint die Initiative der Bundesregierung schon auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein: Die größte Demo in Deutschland seit Jahrzehnten wird auf der Startseite der Bild-Zeitung nur ganz klein im unteren Teil erwähnt. Der Spiegel schreibt: "Doch bei den TTIP-Protesten sind die Rechten nicht Mitläufer, sondern heimliche Anführer...Die Kampagne gegen den Freihandel ist wie auf dem braunen Mist gewachsen...Wer nichts Schlimmes daran findet, sich gedanklich bei Pegida-Bachmann, Marine Le Pen und Donald Trump unterzuhaken, darf bei der Demo heute gerne hinter dem Plakat mit dem Chlorhühnchen herrennen. Alle anderen jedoch sollten sich fragen, wie sie aus einer solchen Gesellschaft schnell wieder herauskommen."

Die FAZ macht sich über die Teilnehmer lustig und schreibt, dass es leichter sei, gegen etwas zu sein, als dafür. Die Demonstranten hätten "Plakate mit eingeschränktem Wahrheitsgehalt" präsentiert, während sich die Befürworter durch "Liebe zum Detail" ausgezeichnet hätten. Die FAZ ist wenigstens so ehrlich, zu sagen, welche Art von Protest ihr lieber ist: "Die Argumente eines Bundeswirtschaftsministers passen nun einmal nicht auf ein Protestplakat (das sich für ein Mitglied der Bundesregierung ohnehin nicht ziemt), sondern eher auf eine ganzseitige Anzeige in der Zeitung."

Gegen diese Berichterstattung gibt es auch bereits Protest:

Die SPD-Nähe zu den transatlantischen Bemühungen findet auf Twitter eine kritische Bewertung. Bemerkenswert: Der neue Labour-Chef Jeremy Corbyn lobt die Demo, gegen die sein Parteikollege Gabriel ist:

Einen originellen Beitrag steuert der Präsident des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie, Matthias Wissman, bei: "Mit ihrem Widerstand erweisen die Gegner des Freihandels den Beschäftigten hierzulande einen Bärendienst. Denn gerade Deutschland lebt von offenen Märkten...Für die Automobilindustrie ist TTIP von großer Bedeutung. Denn die Vereinigten Staaten sind – nach Großbritannien – das zweitwichtigste Exportland für die deutschen Automobilhersteller." Es ist allerdings durchaus denkbar, dass die VW-Manipulationen an den Abgas-Messungen den Exporten in die USA einen größeren "Bärendienst" erwiesen haben als die Demonstranten in Berlin.

Das TTIP wird einer unabhängigen Studie zufolge in Europa hunterttausende Arbeitsplätze kosten und zu einer Zunahme der Billigarbeiter führen. Mehrere Tausend Menschen haben in auch Amsterdam gegen das geplante Handelsabkommen TTIP zwischen Europa und den USA demonstriert. Gewerkschaften, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen hatten zu einem Protestmarsch am Samstag durch die Innenstadt der niederländischen Hauptstadt aufgerufen. Die TTIP-Gegner warnten vor zu viel Macht für multinationale Unternehmen und einer Lockerung der Regeln für die Sicherheit von Nahrungsmitteln. «Der Widerstand nimmt immer mehr zu», sagte der Sprecher der Organisatoren, Jurjen van den Bergh im niederländischen Radio. Mehr als 7000 TTIP-Gegner hatten die Organisatoren gezählt. In London kam der Protest auch aus dem Untergrund:

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Ölpreis: OPEC-Konflikt eskaliert – Saudi-Arabien warnt vor Marktchaos
11.05.2025

Ein gefährlicher Riss geht durch die mächtige Allianz der OPEC-Plus-Staaten. Statt mit geschlossener Strategie die Preise zu...

DWN
Politik
Politik Kann Deutschland Europa retten? Der neue Koalitionsvertrag offenbart alte Schwächen
11.05.2025

Zum Europatag 2025 richtet sich der Blick erneut nach Berlin. Die Erwartungen an Deutschland sind hoch – nicht nur innerhalb der Union,...

DWN
Finanzen
Finanzen Börsenkrisen: Warum Volatilität kein Risiko ist
11.05.2025

Wenn die Börsen Achterbahn fahren, zittern viele Anleger. Doch Panik ist oft der schlechteste Berater – denn was aussieht wie ein...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Strategien für Krisenzeiten: Wie Sie jetzt Ihre Unternehmensleistung steigern
11.05.2025

Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Finanzierungsdruck – viele KMU kämpfen ums Überleben. Doch mit den richtigen Strategien lässt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA vor Energieumbruch: Strom wird zum neuen Öl – und zur nächsten geopolitischen Baustelle
11.05.2025

Ein fundamentaler Wandel zeichnet sich in der US-Wirtschaft ab: Elektrizität verdrängt Öl als Rückgrat der nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bill Gates verschenkt Vermögen – Symbol einer neuen Weltordnung oder letzter Akt der alten Eliten?
11.05.2025

Bill Gates verschenkt sein Vermögen – ein historischer Akt der Großzügigkeit oder ein strategischer Schachzug globaler Machtpolitik?...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft „Made in America“ wird zur Hypothek: US-Marken in Europa auf dem Rückzug
11.05.2025

Eine neue Studie der Europäischen Zentralbank legt nahe: Der Handelskrieg zwischen den USA und der EU hat tiefgreifende Spuren im...

DWN
Finanzen
Finanzen Tech-Börsengänge unter Druck: Trumps Handelskrieg lässt Startup-Träume platzen
10.05.2025

Schockwellen aus Washington stürzen IPO-Pläne weltweit ins Chaos – Klarna, StubHub und andere Unternehmen treten den Rückzug an.