Politik

Ökonom: Erfolge gegen ISIS sind dem Einsatz Moskaus zu verdanken

Lesezeit: 5 min
10.01.2016 01:31
Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank, rechnet mit einem baldigen Ende der EU-Sanktionen gegen Russlands. Putins militärische Intervention in Syrien und die Erfolge gegen die Terror-Miliz IS eröffnen der EU neue Spielräume und müssen als vertrauensbildende Maßnahme seitens der Russen gesehen werden.

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie beurteilen Sie die Lage in China?

Folker Hellmeyer: Ich sehe China Volkswirtschaft in einem stabilen Fahrwasser. Per 2015 wuchs China mit voraussichtlich 6,9% bei einer Prognose von 7,0%. Ich habe mich im letzten Jahr an dem sachlich unangemessenen Konjunkturbashing Chinas aus guten Gründen nicht beteiligt. Das Problem, das vom Markt nicht diskontiert und thematisiert wurde, war die malade Performance der USA mit Wachstum von voraussichtlich circa 2% bei einer Prognose von mehr als 3%.

Zurück zu China: China baut die Ökonomie um. Das war auch vom Westen gefordert. Dieser Umbau forciert den Sektor Dienstleistung gegenüber dem Sektor Produktion. Kein Land der Welt hat in der Historie der Industrienationen in den letzten 10 Jahren einen so sportlichen Erfolg in dieser Neuausrichtung zu verzeichnen gehabt.

Zu Jahresbeginn 2016 gab es vier Einkaufsmanagerindices aus China. Zwei stammen vom britischen Anbieter Markit und die beiden anderen Indices haben chinesischen Ursprung. In der Tat waren die Indices von Markit enttäuschend. Das galt allen voran für den Rückgang des Produktionsindex von 48,6 auf 48,2 Punkte. Die offiziellen Indikatoren verzeichneten dagegen Anstiege, die zu den aktuellen harten Konjunkturdaten passen. Insbesondere der Dienstleistungsindex markierte mit 54,4 nach 53,6 Punkten den höchsten Wert seit August 2014. Zuletzt nahm die Industrieproduktion auf mehr als 6% Wachstum zu und Einzelhandelsumsätze stiegen um 11,2% nach 10,5% per Mitte 2015. Ergo hat sich der Markt der asymmetrischen Wahrnehmung bedient, um das jüngste Fiasko an den chinesischen Aktienmärkten zu forcieren.

Mehr noch stellt sich die Frage, ob Analysten und Marktteilnehmer die Prozentrechnung beherrschen. Fakt ist, dass selbst 6,5% Wachstum in China per 2016 (Plangröße des aktuellen 5 Jahresplans bis 2020) eine größere realwirtschaftliche Nachfrageausweitung darstellen als 10% vor fünf Jahren. Sprachen die Kollegen vor fünf Jahren von Überhitzungsgefahren in China reden sie nun von Unterkühlungsgefahren. Wo ist hier die intellektuelle Konsequenz? Mehr noch steht das Projekt Aufbau der Seidenstraße in der Umsetzung ab Mitte 2016 auf der Agenda, von dem die chinesische Wirtschaft nachhaltig profitiert und das uns die folgende Dekade begleiten wird. Sie sehen mich bezüglich der Konjunkturlage in China entspannt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum wurde der Börsen-Crash im Westen so gehypt?

Folker Hellmeyer: Diese Frage lässt sich nur implizit beantworten. Auch an Finanzmärkten findet die Auseinandersetzung um hegemoniale Macht unter anderem mit medialen- und Marktmitteln statt. Es kann sehr wohl vor diesem Hintergrund ein Interesse daran bestehen, schwache US-Daten in der öffentlichen Wahrnehmung auszublenden. Nicht nur chinesische Einkaufsmanagerindices wurden am 4. Januar veröffentlicht, sondern auch der normalerweise stark beachtete US-Einkaufsmanagerindex des Institute of Supply Management für den Sektor Produktion. Dieser Index brach völlig unerwartet auf 48,2 Punkte ein und markierte den tiefsten Stand seit 2009! Mit Werten unter 50 Punkten wird hier tatsächlich Rezession in diesem Sektor der US-Wirtschaft signalisiert. Dieses Thema wurde nahezu vollständig vom Markt als Auslöser der schwachen Aktienmärkte ausgeblendet, wie bereits die US-Konjunkturschwäche per 2015. Wie viele deutsche Wirtschaftsmedien haben am 4. und 5. Januar 2016 über den US-ISM-Index berichtet? Wie viele haben sich über China ausgelassen? „Food for thought!“

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum baut China Devisen-Reserven ab?

Folker Hellmeyer: Über die letzten gut 12 Monate reduzierten sich die chinesischen Devisenreserven durchaus signifikant von circa 4.000 auf jetzt gut 3.300 Mrd. USD. Vor gut 12 Monaten war die westliche Finanzwelt überzeugt, dass dieses Niveau der Reserven viel zu hoch sei. Dieser Eindruck ist durchaus verständlich, wenn man berücksichtigt, dass Japan mit 1.233 Mrd. USD die zweitgrößten Devisenreserven hält. Die USA und die Eurozone bringen es auf gut 200 Mrd. USD. Diesen Abbau der Devisenreserven solitär mit der Verteidigung des Yuan und Kapitalabflüssen in Verbindung zu bringen, ist ambitioniert. China dotierte Eigenkapitalanteile an AIIB und New Development Bank. Die Mittel für den Aufbau der Seidenstraße werden bereit gestellt. Ergo gibt es eine Vielzahl von Einflussgrößen für die aktuelle Tendenz. Man sollte unter Umständen auch nicht ausblenden, dass man in China unter Umständen versteht, dass das aktuelle Bewertungsniveau des USD bezüglich der strukturellen und konjunkturellen Defizite der USA für Reallokationen durchaus geeignet ist, um die in der Tat zu großen Bestände an Reserven zu reduzieren.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was unterscheidet den chinesischen Aktienmarkt von dem in Europa oder in den USA?

Folker Hellmeyer: Der chinesische Aktienmarkt hat keine konjunkturelle Relevanz. Weder der sportliche Anstieg von Herbst 2014 – Frühjahr 2015 noch die dann einsetzende sportliche Baisse hatten nachhaltig messbare konjunkturelle Auswirkungen. Ganz im Gegensatz zu den USA mit einer Ökonomie, die auch von der Bewertung der Vermögensgegenstände abhängig ist, hat China eine von wiederkehrenden Einkommen geprägte Wirtschaft mit einer Sparquote von 40% der Arbeitseinkommen und einer Konsumverschuldung im Dunstkreis von 0% der Arbeitseinkommen. Die Struktur ist diesbezüglich in China sehr viel resistenter als im Westen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Euro-Wirtschaft ist stabil – sehen Sie sich in Ihrem Optimismus bestätigt?

Folker Hellmeyer: Absolut, ich weise seit geraumer Zeit darauf hin, dass die Strukturreformen ihre Wirkung entfalten. Übrigens wurden auch die deutschen Strukturreformen der Regierung Schröder sträflich unterschätzt. Die Lernkurven scheinen aus diesen Erfahrungswerten seitens einiger Zirkel strikt abgelehnt zu werden. Die Reformländer sind heute die Wachstumstreiber. Trotz abnehmender Dynamik der Weltwirtschaft waren viele Kollegen, IWF, Medien und auch die EZB gezwungen, im Jahresverlauf 2015 ihre Wachstumsprognosen für die Eurozone nach oben anzupassen und sich unserer Prognose anzupassen. In der ersten Kalenderwoche des neuen Jahres sank die Arbeitslosenquote der Eurozone auf den niedrigsten Stand seit 2011, während der Economic Sentiment Index den höchsten Wert seit 2011 markierte. Sie sehen mich entspannt!

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Verlängerung der Russland-Sanktionen bereitet der Euro-Wirtschaft in den kommenden sechs Monaten weitere Verluste – warum schaden die EU-Politiker ihren eigenen Staaten?

Folker Hellmeyer: Diese Frage müssen sie unseren Politikern in Berlin und Brüssel stellen. Das Abenteuer der EU-Assoziierung der Ukraine, die nicht ansatzweise die Standards für eine Assoziierung oder EU-Mitgliedschaft erfüllt und erfüllte, ist teuer und faktisch gescheitert, auch wenn sie politisch zwangsernährt wird. Die Korruption in der Ukraine ist laut Wall Street Journal heute ausgeprägter als unter der Regierung Janukowitsch. Die Wirtschaft ist zerrüttet. Der Staatshaushalt ist eine nicht enden wollende Katastrophe und hängt nur von der Alimentierung durch IWF, USA und EU ab. Der IWF musste in seinen Bedingungen eine Lex Ukraine schaffen, um weiter subventionieren zu können. Die Inflation erodiert in aggressiver Manier die Kaufkraft und das Vermögen der Ukrainer. Der Zusammenhalt des Landes ist zerstört. Die Zustimmungswerte für die Regierung Poroschenko/Jazenjuk liegen unterhalb der Marke des Vorgängers Janukowitsch.

Die Fortsetzung der Sanktionen hat keine sachliche, sondern eine politische Grundlage, die bestenfalls Interessen Dritter und unter Umständen der Nato spiegeln mag, aber nach meinem Verständnis nicht im Interesse der EU liegen kann.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann das europäisch-russische Verhältnis wieder normalisiert werden?

Folker Hellmeyer: Ja, es kann normalisiert werden, wenn Augenhöhe auf beiden Seiten gewährleistet ist. Vertrauen ist jedoch kein digitales Phänomen. Es wird Zeit brauchen, den entstandenen Vertrauensverlust zu beseitigen.

Ich bin guter Dinge, dass es erste Entspannung in dem Sanktionsregime ab Mitte 2016 geben wird. Die EU-Front pro Sanktionen zerfällt in den letzten Monaten vor unseren Augen. Die Dominanz der Rolle Berlins in der EU ist durch die jüngsten Entwicklungen massiv eingeschränkt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Putin hat die EU und die USA in Syrien „herausgehauen“ – kann das eine vertrauensbildende Maßnahme sein?

Folker Hellmeyer: In der Tat sind die Erfolge gegen den IS und die darin beginnende Stabilisierung der Lebensumstände in Syrien dem Einsatz Moskaus zu verdanken. Das eröffnet Spielräume verstärkter Kommunikation und muss als eine vertrauensbildende Maßnahme seitens Moskaus interpretiert werden.


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