Nach Angela Merkel knüpft auch EU-Präsident Jean-Claude Juncker die Zukunft der Euro-Zone an den Fortbestand der offenen Grenzen in Europa. „Ohne Schengen, ohne die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, ohne Reisefreiheit, von der alle Europäer profitieren können, macht der Euro keinen Sinn“, sagte Juncker am Freitag in Brüssel. „Wer Schengen killt, wird im Endeffekt den Binnenmarkt zu Grabe getragen haben. „ Derjenige werde zugleich ein Arbeitslosenproblem schaffen, das nicht länger beherrschbar sein werde.
Die Drohung ist ein Statement der Verzweiflung. Dies belegt die Tatsache, dass Juncker auch gleich noch die Berechnung hinterherschob, wieviel die Grenzsicherung kosten würde. Sollten die wieder eingeführten Grenzkontrollen bestehen bleiben, werde das Kosten im Transportwesen von drei Milliarden Euro pro Jahr nach sich ziehen, mahnte Juncker. Das dürfte die Staaten nicht sonderlich erschrecken.
Im Zuge der Flüchtlingskrise sind mehrere EU-Staaten wieder zu Grenzkontrollen zurückgekehrt, die im Schengen-Raum nur in Ausnahmefällen und für kurze Zeit vorgesehen sind. Auch Merkel hatte Anfang der Woche einen Zusammenhang hergestellt zwischen der Freizügigkeit der Bewegung und dem Funktionieren des Währungsraums. Merkel und Juncker ziehen in der Flüchtlingskrise seit langem an einem Strang, sehen sich aber Widerstand aus vielen anderen EU-Staaten ausgesetzt. Juncker appellierte erneut eindringlich an diese Länder, sich an die Abmachungen zu halten. Die EU steuere auf eine enorme Glaubwürdigkeitskrise zu, wenn es 2016 nicht gelinge, die beschlossenen Maßnahmen umzusetzen. Er verwies auf die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen auf die EU-Staaten. Laut Daten der EU-Kommission wurden bisher nur 272 Personen verteilt.
Juncker kritisierte zudem, dass viele EU-Staaten weit weniger oder gar keine Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien aufnehmen als ärmere Länder wie der Libanon oder Jordanien. Gemessen an der Bevölkerungszahl müsste die EU im Vergleich 100 Millionen Menschen aufnehmen, sagte Juncker. Neben den Kosten durch die Grenzkontrollen nannte er das Beispiel der Öresund-Brücke zwischen Dänemark und Schweden, wo ein volkswirtschaftlicher Schaden von 300 Millionen Euro entstehen würde, falls dort systematisch Pässe geprüft würden. Durch Kontrollen zwischen Dänemark und Deutschland entstünden Kosten von 90 Millionen Euro.
Schäuble warnte nach einem Treffen der EU-Finanzminister in Brüssel in ungewöhnlich drastischen Worten, dass die EU nicht einfach in den vorherigen Zustand zurückkehren könne, falls der Binnenmarkt oder der Währungsraum kollabieren sollten. In diesem drastischen Wortlaut berichtet die Nachrichtenagentur Reuters aus Brüssel. Schäuble habe gesagt, man sei nah daran, dass der Schengen-Raum scheitere. „Und das ist nicht eine Frage von Jahren. „ Falls Deutschland gezwungen werden sollte, wie Schweden wieder Grenzkontrollen einzuführen, „dann wäre Griechenland ganz schnell der Leidtragende, und das wäre dann keine Frage von Monaten“, sagte Schäuble weiter. Das habe er auch seinem Kollegen Euklid Tsakalotos bei dessen Besuch diese Woche in Berlin gesagt.
Die Panikmache der EU und von Schäuble soll dazu dienen, eine Verteilung der Flüchtlinge in Europa zu erzwingen. Doch bis auf Österreich haben sich alle Staaten von der Idee Angela Merkels abgewandt, in der EU eine völlig ungehinderte Masseneinwanderung über Monate zu akzeptieren. Selbst Wien wird bereits nervös, weil Deutschland begonnen hat, Flüchtlinge zurückzuschicken.
Die Kanzlerin selbst gerät unter Druck der eigenen Partei: In der Union rumort es gewaltig, seit der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio in einem Gutachten festgestellt hat, die das Bundesregierung die verfassungsgemäße Pflicht hat, die deutschen Grenzen zu schützen, wenn die EU dazu nicht in der Lage ist.