Die Türkei schiebt nach Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) schon seit Wochen täglich bis zu hundert syrische Flüchtlinge nach Syrien ab. Dies sei ein „Verstoß gegen internationales Recht“, erklärte die Organisation am Freitag. Die Türkei sei „kein sicherer Drittstaat“, in den die EU „bedenkenlos Schutzbedürftige zurückschicken“ dürfe.
„Männer, Frauen und Kinder wurden in Gruppen von bis zu 100 nach Syrien abgeschoben“, sagte die ai-Türkei-Expertin Marie Lucas laut AFP. Derartige Massenabschiebungen habe es seit Mitte Januar „fast täglich“ gegeben. In einem Fall habe Ankara drei kleine Kinder ohne ihre Eltern nach Syrien abgeschoben.
Die EU-Mitgliedsstaaten müssten die Türkei „jetzt dazu auffordern, Flüchtlingen den Schutz zu gewähren, der ihnen zusteht, und Menschenrechtsverletzungen sofort zu beenden“, forderte Amnesty. Bis dahin dürfe die EU Schutzbedürftige „nicht bedenkenlos in die Türkei abschieben in der falschen Annahme, die Türkei sei für diese sicher.“
Die Umsetzung des EU-Flüchtlingspaktes mit der Türkei soll wie geplant am Montag starten: Athen und Ankara bereiteten für den 4. April mit Hochdruck die Abschiebung der ersten 500 Flüchtlinge von den Ägäis-Inseln in die Türkei vor, verlautete am Donnerstag aus Kreisen der EU-Kommission. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu bestätigte in einer Fernsehansprache, dass die Umsetzung des Plans wie vorgesehen starte.
Das am 18. März geschlossene Abkommen mit Ankara sieht vor, dass alle Flüchtlinge, die seit dem 20. März auf den Inseln angekommen sind, in die Türkei zurückgeschickt werden. Im Gegenzug sollen die EU-Länder für jeden zurückgeschickten Syrer einen Syrer aus der Türkei auf legalem Wege aufnehmen – bis zu einer Obergrenze von 72.000. Zudem erhält die Türkei finanzielle Unterstützung für die Versorgung der Flüchtlinge.
Davutoglu sagte, das Vorhaben werde am 4. April beginnen. „Dies bedeutet, dass mit der Methode eins zu eins die Zahl der Flüchtlinge in der Türkei nicht steigt, und niemand mehr sein Leben riskieren muss, um über die Ägäis nach Europa zu gelangen“, sagte der Regierungschef. Das griechische Parlament muss am Freitag allerdings noch einem Gesetz zustimmen, dass die Einzelheiten zur Umsetzung des Paktes regelt.
Wie aus der Kommission verlautete, sind von den ersten Abschiebungen Syrer, Afghanen und Pakistaner betroffen, die kein Asyl in Griechenland beantragt haben. Ein griechischer Regierungsmitarbeiter sagte, die Flüchtlinge würden vermutlich von Chios und Lesbos per Schiff in die Türkei zurückgebracht. Zur Zahl äußerte er sich zurückhaltend. Die Schiffe sollen von der EU-Grenzschutzagentur Frontex gechartert werden.
Die türkische Zeitung „Hürriyet“ berichtete, die Flüchtlinge würden in den türkischen Hafen Dikili bei Izmir gebracht. Dort werde derzeit ein Aufnahmelager eingerichtet, von dem aus die Flüchtlinge anschließend auf andere Zentren im Land verteilt werden sollen.
Nach Angaben der EU-Kommission soll am Montag auch mit der Aufnahme der ersten syrischen Flüchtlinge aus der Türkei begonnen werden. Deutschland gilt als eines der ersten Aufnahmeländer, zu konkreten Plänen wollte sich die Bundesregierung aber noch nicht äußern. Ein Sprecher des Innenministeriums betonte aber, die Bundesregierung rechne fest mit dem Beginn der Umsetzung des Abkommens am Montag.
Die Abschiebung aller Flüchtlinge in die Türkei soll die ungesteuerte Einreise von Flüchtlingen nach Europa stoppen und zugleich dem Geschäft der Schlepper den Boden entziehen. Bislang sind die Effekte des Paktes schwer abzuschätzen: So sank die Zahl der Neuankömmlinge zwar vor Ostern auf Null – alleine am Mittwoch wurden dann aber wieder 766 neue Flüchtlinge gezählt.
Der Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars in Athen, Philippe Leclerc, sagte, er werde „sehr wachsam sein“, dass kein Flüchtling zurückgeschickt werde, ohne die Möglichkeit erhalten zu haben, in Griechenland Asyl zu beantragen. Hilfsorganisationen und Menschenrechtsgruppen sehen die Vereinbarung äußerst kritisch und schränkten ihre Zusammenarbeit mit Athen ein.
Insbesondere wird kritisiert, dass alle seit dem 20. März eingetroffenen Flüchtlinge gegen ihren Willen bis zu ihrer Abschiebung auf den griechischen Inseln festgehalten werden. Auch auf dem griechischen Festland bleibt die Lage unterdessen prekär. Insgesamt stecken in Griechenland wegen der Schließung der Balkanroute mehr als 51.000 Flüchtlinge fest.
Am Grenzübergang Idomeni an der mazedonischen Grenze sind es alleine 11.000 Flüchtlinge, 5700 sind am Hafen von Piräus gestrandet. Dort lieferten sich Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in der Nacht zum Donnerstag eine Schlägerei, acht Menschen mussten in Krankenhäuser gebracht werden.
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