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Arroganz pur: WDR-Chefredakteur weist Kritiker zurecht, nennt GEZ eine „Demokratie-Abgabe“

Lesezeit: 5 min
30.12.2012 00:22
Weil zahlreiche ARD-Kritiker auf der Facebook-Seite des Senders gegen die neue Zwangsgebühr GEZ protestiert hatten, griff der Chefredakteur des WDR selbst zur Feder – und lieferte mit Arroganz, Überheblichkeit und Anmaßung und Realitätsverlust ein unfreiwilliges Sittenbild über die innere Verkommenheit des öffentlich-rechtlichen Systems.
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WDR: Nur 23 Bürger ärgern sich wirklich über Schönenborn

In der vergangenen Woche kam es auf der Facebook-Webseite der ARD zu einer Protestwelle gegen die GEZ. Unter einem grotesken Beitrag über „Die Plüschtier-Connection“, in der mit Gebührengeldern über die Leidenschaft des Plüschtier-Sammelns räsoniert wurde, entlud sich der angestaute Zorn der Bürger gegen die ab 1. Januar geltende Zwangsgebühr GEZ. Konkret: Zahlreiche Facebook-Nutzer schrieben kritische Kommentare auf der ARD-Seite. Die Kommentare wurden immer heftiger, weil seitens der ARD niemand reagierte (so etwas gab es schon einmal, bei der von der Tagesschau unterschlagenen Berichterstattung über eine Großdemonstration in Spanien – mehr hier). Die erste sichtbare Reaktion der ARD bestand dann darin, Benutzer zu sperren und Beiträge zu löschen. Dadurch wurde die Kritik, wenig verwunderlich, noch schärfer.

So weit, so schlecht. Doch was nun folgte, ist eine Demaskierung allererster Güte. Der Chefredakteur Fernsehen des WDR - der dem breiten Publikum vom Vorlesen der neuesten Meinungsumfragen bekannte Jörg Schönenborn - meldete sich mit einem Grundsatz-Beitrag zu Wort. Der Artikel, den Schönenborn ins Netz stellte, um den Gebührenzahlern zu zeigen, wo der Bartel den Most zu holen hat, trägt die Überschrift „Ein Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Gesellschaft“.

Zutreffender wäre ein Titel wie „Was Sie schon immer über die Hybris der Eliten im Staatsfunk wissen wollten".

Schönenborn wörtlich (Hervorhebungen DWN):

„Die Tage sind zum Jahresende kurz und meistens düster. Wenn man derzeit Medienseiten deutscher Zeitungen liest, möchte man als ARD-Mitarbeiter beinahe zu Anti-Depressiva greifen - wäre da nicht: die Wirklichkeit. Mit der hat nämlich wenig von dem zu tun, was da oft geschrieben steht. Viele Artikel funktionieren nach dem Motto: Ich nehme mir meine These und mache die Welt einfach passend. In dieser Welt begehrt ein Land auf gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den nur noch wenige sehen oder hören wollen. Und wenn überhaupt, dann sind es Greise. Diese Welt ist voller Menschen, die Wut haben wie einst bei Sarrazin oder in Stuttgart. Voller Menschen, die ARD und ZDF am liebsten abschaffen möchten. Und wenn man es mit der Wirklichkeit ohnehin nicht so genau nimmt, spielen auch Geschmacksgrenzen keine Rolle mehr. Eine Schlagzeile sprach letzte Woche allen Ernstes vom "UnGEZiefer" – das weckt in mir keine guten Erinnerungen.“

Einmal abgesehen davon, dass die Attitüde, sich wegen einer zugegeben misslungenen Schlagzeile in die Nähe der ermordeten Juden in Europa zu rücken, geschmacklos ist: Herr Schönenborn diskreditiert all jene, die sich in den vergangenen Jahren außerhalb der von der ARD zugelassenen Diskurs-Reservate politisch zu Wort gemeldet haben. Sie alle sind nach Einschätzung des ARD-Mannes dumpfe „Wut“-Bürger, denen es nur um die Zerstörung von erworbenen Heiligtümern der BRD gehe.

Doch Schönenborn sieht eine noch viel tiefere Gefahr in der Kritik an der GEZ.

Der Chefredakteur wörtlich:

„Gehen wir die Thesen mal durch. Es gebe in diesem Land nichts, das vergleichbar sei mit der "Zwangsabgabe" für den Rundfunk. Aus der Kirche könne man austreten. Eine Wohnung könne man kündigen, nur eben nicht den Rundfunkbeitrag. Wer so argumentiert, kündigt vor allem eines auf: jede Form von gesellschaftlicher Solidarität. Eigentlich ist es bei uns nämlich gesellschaftlicher Konsens, dass wichtige Strukturen für das Zusammenleben gemeinschaftlich finanziert werden, und zwar egal, ob sie jeder persönlich nutzt oder nicht. Das beginnt beim Wasseranschluss, für den jeder, der irgendwo "wohnt", eine "Zählergebühr" bezahlt, ohne auch nur einen Liter verbraucht zu haben. Das gilt für Straßen, deren Bau und Pflege über die Steuern jeder mitbezahlt, der kein Auto hat. Und es hört mit dem Sessel im Konzertsaal noch lange nicht auf, der jeden Abend solidarisch bezuschusst wird, selbst wenn das Konzert ausverkauft ist.“

Nach Einschätzung des ARD-Mannes ist also jeder, der die GEZ kritisiert, ein Feind der Demokratie. Denn es gibt nichts Höheres als die demokratische Solidarität, die nach Schönenborns Auffassung nicht darin besteht, dass der Staat Rahmenbedingungen schafft, in denen Solidarität nachhaltig möglich ist. Für Schönenborn zeichnet sich wahre Demokratie dadurch aus, dass alle Bürger gezwungen werden, die öffentlich-rechtlichen Sender zu finanzieren.

Dazu schreibt der GEZ-Kritiker Rene Ketterer Kleinsteuber, der im Internet eine Protest-Plattform gegen die Zwangsgebühr betreibt:

„Solidarität ist das Schlagwort – ein schönes Wort. Aber was bedeutet Solidarität in diesem Kontext? Solidarisch mit wem? Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Jahr 2013 wirklich wichtig für das Zusammenleben? Und wenn ja, so wichtig, dass man sich gleich 23 Fernseh- und 77 Radioprogramme für fast 8 Milliarden EUR im Jahr leisten muss? Hier bedeutet der Begriff der Solidarität etwas anderes: Frau WDR-Intendantin Monika Piel bekommt inkl. Aufwendungen für ihren Dienstwagen ein Grundgehalt von 330.000 EUR im Jahr, weitaus mehr als unsere Bundeskanzlerin und das aus Zwangsbeiträgen. Und wer zahlt diese Beiträge? Z. B. die allein erziehende Frisörin, die 200 Stunden im Monat auf den Füßen steht, um gerade einmal 700 EUR für ihren Unterhalt nach Hause zu bringen. Sie muss gleich 18 EUR Rundfunkbeitrag bezahlen, was 2,5% ihres Einkommens ausmacht (bei Frau Piel entspricht das 0,00045% ihres Gehalts!). Ist das die vielzitierte Solidarität?“

Für Schönenborn geht es jedoch nicht um Nichtigkeiten wie den Dienstwagen einer Intendantin. Schönenborn sieht die öffentlich-rechtlichen Sender als die wahren und einzigen Hüter der Demokratie.

Schönenborn wörtlich:

Der Rundfunkbeitrag passt gut in dieses Land. Er ist genau genommen eine "Demokratie-Abgabe". Ein Beitrag für die Funktionsfähigkeit unseres Staatswesens und unserer Gesellschaft. Demokratie fußt auf der Urteils- und Entscheidungsfähigkeit ihrer Bürgerinnen und Bürger. Und die ist in einem 80-Millionen-Land nur mittelbar herzustellen, "medial", durch Medien eben. Trotz der vielen guten Zeitungen und Zeitschriften und trotz des Internets geben die Deutschen immer noch zwei Drittel ihres täglichen Medien-Zeitbudgets für Radio und Fernsehen aus. Und weil man schwerlich ein kommerzielles Vollprogramm findet, das auch nur eine halbe Stunde pro Tag über Politik berichtet, behaupte ich: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sichert das Funktionieren unserer Demokratie.

Bisher waren wir der Auffassung, dass freie Wahlen, Gewaltenteilung, das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit und die Achtung der Menschenrechte die Grundlagen der Demokratie sind. In den USA, Großbritannien, Schweden, Norwegen, Frankreich, Italien, Japan, Australien usw. funktioniert das eigentlich ganz gut. Keine dieser Bananenrepubliken hat jedoch einen auch nur annähernd so aufgeblähten öffentlich-rechtlichen, ab dem 1. Januar 2013 durch eine direkte Steuer finanzierten Medienapparat. Einen sehr vitalen Staatsfunk haben dagegen Kuba, Venezuela, China und Saudi-Arabien. Sind diese Länder daher automatisch vorbildliche Demokratien?

Schönenborn behauptet allen Ernstes, dass das aufgeblähte, unkontrollierte, völlig intransparente, von Korruptionsskandalen zerfressene System der öffentlich-rechtlichen Sender die notwendige Bedingung zum Funktionieren der Demokratie in Deutschland ist. Jener Apparat, in dem kein Manager wirklich Verantwortung in dem Sinn trägt, dass er dafür sorgen muss, dass das Geld, das ausgegeben wird, auch durch Fleiß, Innovationskraft und unternehmerischen Mut auch verdient wird. Jener „Staat im Staate“, über den der Medienkritiker Hans-Peter Siebenhaar in epischer Breite beschreiben kann, wie die politischen Machenschaften in den Hinterzimmern ablaufen (mehr im Detail – hier). Jene mediale Räterepublik, die sich von allen Krisen, die die normalen Bürger bedrängen abgekoppelt hat, weil sie sich bis zum St. Nimmerleins-Tag den Zwangsobolus der Bürger gesichert hat.

Dass die Demokratie ausschließlich vom lebendigen Engagement vieler Einzelner und aktiver Gruppen sowie aus einer vielfältigen, vitalen Medienlandschaft lebt, kommt dem Mann vom Fernsehen nicht in den Sinn, weil er die wirkliche Welt nur aus der Ferne sieht. Er hat keine Ahnung, dass die politische Willensbildung im 21. Jahrhundert schon längst die althergebrachte Bevormundung des staatlichen Fernsehens über Bord geworfen hat. Zwar klauen die Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten gerne aus dem Internet, etwa, wenn es um die Revolution in Nordafrika geht. Dann werden die Quellen nur dahingehend kenntlich gemacht, dass man sie mit einem leicht diskriminierenden Text als „Internet-Video“ kennzeichnet. Trotz dieser Praxis hat jedenfalls Herr Schönenborn nicht verstanden, worum es den Kritikern an der GEZ geht: Viele Deutsche wollen kein System, in dem sie gezwungen werden, für etwas zu zahlen, das sie nicht nutzen. Sie behaupten, sich auch ohne Staatsfernsehen ausreichend bilden und informieren zu können.

Sie machen von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch. Sie engagieren sich politisch in einer Sache, in der sie anderer Meinung sind als Herr Schönenborn. Herr Schönenborn lebt als Systemerhalter von diesem System. Die Kritiker leben nicht von diesem System, sondern wollen eine Veränderung – und brauchen diese nicht zu fürchten. Daher können sie frei und offen reden.

Die Möglichkeit eines solchen Konflikts sollte in einer Demokratie eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Mit seiner Arroganz, Überheblichkeit und Anmaßung und seinem Realitätsverlust leistet Schönenborn jedoch keinen Beitrag zum politischen Diskurs.

Er liefert ein unfreiwilliges Sittenbild einer offenbar erschreckenden inneren Verkommenheit des öffentlich-rechtlichen Systems. Er schadet damit all jenen guten Journalisten bei den Sendern, die die Fähigkeit zur Differenzierung noch nicht verloren haben. Er demaskiert sich und seine Auftraggeber als das Gegenteil dessen, wofür sie sich brüsten. Schönenborns Antwort auf die Kritiker der GEZ ist ein Beleg dafür, dass diejenigen, die sich aus den Futtertrögen des Staates nähren, zwangsläufig keine Geschmacksnerven mehr dafür haben, wie Demokratie wirklich schmeckt.

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