Unternehmen

Fußball-WM: Jubel für ein Deutschland, das es nicht gibt

Der Sieg bei der Fußball-WM nährte in der Welt eine Illusion: Anders als die Fußballer, ist Deutschland weder ein Team, noch vielseitig, noch effizient. Der wirtschaftliche Erfolg steht auf tönernen Füssen. Schon in wenigen Jahren kann der Zauber unwiederbringlich vorüber sein.
16.07.2014 00:37
Lesezeit: 2 min

Deutschland feiert sich wegen der Fußballweltmeisterschaft zurecht. Jedoch ist kein Übermut am Platze. Anders als unser Weltmeisterteam, das sich als „die Mannschaft“ bewundern lässt, ist das Land und seine Sozialstruktur durchaus keine Mannschaft, sondern eher das Gegenteil davon.

Die Risse in der sozialen Landschaft sind unübersehbar geworden. Die Kraft, dieses Übel an der Wurzel zu kurieren, fehlt. Der Mindestlohn kommt auf einem viel zu niedrigen Niveau, mit zu vielen Ausnahmen und darf erst ab 2017 an die Preisentwicklung angepasst werden, wobei nicht einmal klar ist, wie dies mangels stimmberechtigter unabhängiger Mitglieder der dafür eingesetzten Kommission geschehen soll. Die diskriminierende Leiharbeit, ein Kernstück des wuchernden Niedriglohnsektors, soll nur mit einigen schon fast lächerlichen Schrittchen eingedämmt werden. So will die Bundesregierung den maximalen Zeitraum, den ein Unternehmen einen Leiharbeiter einsetzen darf, von bisher 24 Monaten auf 18 Monate beschränken und den Unternehmen vorschreiben, ihren Leiharbeitern schon ab neun Monaten Einsatz im selben Betrieb den gleichen Lohn wie der Stammbelegschaft zu zahlen. Doch nur jeder vierte Leiharbeiter ist länger als neun Monate im selben Unternehmen beschäftigt.

An die schlimmen mit Hartz IV geschaffenen Ungerechtigkeiten traut sich erst recht nicht einmal die SPD heran, die immer noch das unselige Schrödersche Erbe pflegt. Die auch wegen der demographischen Probleme dringend nötige Überholung des deutschen Bildungssystems fällt der Sparwut der Regierung zum Opfer.

Die Weltmeisterschaftstrikots zieren eine multikulturelle Mannschaft. Doch dieses Bild täuscht ebenfalls, denn bei der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund sieht es in Deutschland eher schlecht aus. Es ist zu befürchten, dass Ausländer, die mit gutem Bildungshintergrund jetzt aus den Eurokrisenländern zu uns kommen, zurückkehren werden, sobald die Krise in deren Heimatländern überstanden ist. Bei uns bleiben werden dann vor allem Menschen, die überwiegend ein für den Arbeitsmarkt unzureichendes Bildungsniveau haben. Dieses seit einiger Zeit entstehende Subproletariat wird nicht imstande sein, die dramatischen Lücken zu füllen, die die miese demographische Entwicklung der deutschstämmigen Bevölkerung in das Arbeitskräftepotenzial schon reißt und vor allem noch reißen wird, zumal wenn die Arbeitnehmer nun abschlagsfrei früher in Rente gehen können.

Der derzeitige Wirtschaftserfolg steht auf tönernen Füßen. Erstens sieht auch eine kleine Zuwachsrate noch gewaltig aus, wenn sie durchaus künstlich immer wieder mit den Krisenwirtschaften der Euroländer genüsslich verglichen wird. Zweitens rüstet Deutschland schon seit Jahren mit seinem Export von Maschinen und Anlagen seinen am Ende schärfsten Konkurrenten, nämlich China, auf, der in wenigen Jahren wichtige deutsche Absatzmärkte übernehmen und erst recht von Einfuhren aus Deutschland unabhängiger sein wird.

Der Pferdefuß der derzeit besseren deutschen Wirtschaftslage im Vergleich zu den Europartnern hat viele Facetten. Die Krisenländer und Frankreich lassen mit ihrer Mehrheit in der EZB die deutschen Sparer bluten und haben die Vergemeinschaftung der horrenden Schulden ihrer Banken gegen anfänglichen deutschen Widerstand durchgesetzt. Auf deutsche Interessen wird nur noch wenig Rücksicht genommen, zumal Deutschland bei vielen seiner Nachbarn als Musterschüler inzwischen denkbar unbeliebt geworden ist.

Der durchaus deutschfreundliche Kommentator der Financial Times, Gideon Rachman, weist in diesem Zusammenhang unter der Überschrift „Ein goldener Augenblick für Deutschland, der nicht dauern könnte“ und einem netten Cartoon auf eine Meinungsumfrage von vor einigen Tagen hin, welches Land man als Fußballweltmeister sehen möchte. In Spanien, Griechenland, den Niederlanden und Großbritannien wurde Deutschland als eines der zwei am wenigsten gewünschten Ländern ausgewählt.

Solange es uns wirtschaftlich einigermaßen gut geht, muss uns diese Stimmung nicht kratzen. Aber wehe, wenn auch in Deutschland eines möglicherweise nicht fernen Tages diese oder eine andere Krise Einzug hält.

 

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

DWN
Finanzen
Finanzen Unser neues Magazin ist da: Kapital und Kontrolle – wem gehört Deutschland?
19.07.2025

Deutschland ist reich – doch nicht alle profitieren. Kapital, Einfluss und Eigentum konzentrieren sich zunehmend. Wer bestimmt wirklich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung: Wann Verspätungszuschläge unzulässig sind
19.07.2025

Viele Steuerzahler ärgern sich über Verspätungszuschläge, wenn sie ihre Steuererklärung zu spät abgeben. Doch nicht immer ist die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeiten nach der Schule: Warum viele keine Ausbildung beginnen
19.07.2025

Schnell Geld verdienen statt jahrelang pauken – das klingt für viele junge Menschen verlockend. Doch wer direkt nach der Schule in den...

DWN
Politik
Politik Militär statt Frieden? Was das EU-Weißbuch 2030 wirklich bedeutet
19.07.2025

Mit dem Weißbuch „Bereitschaft 2030“ gibt die EU ihrer Sicherheitspolitik eine neue Richtung. Doch Kritiker warnen: Statt...

DWN
Politik
Politik Nordkoreas Kronprinzessin: Kim Ju-Ae rückt ins Zentrum der Macht
18.07.2025

Kim Jong-Un präsentiert die Zukunft Nordkoreas – und sie trägt Handtasche. Seine Tochter Kim Ju-Ae tritt als neue Machtfigur auf. Was...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Birkenstock: Von der Orthopädie-Sandale zur globalen Luxusmarke
18.07.2025

Birkenstock hat sich vom Hersteller orthopädischer Sandalen zum weltweit gefragten Lifestyle-Unternehmen gewandelt. Basis dieses Wandels...

DWN
Politik
Politik 18. Sanktionspaket verabschiedet: EU verschärft Sanktionsdruck mit neuen Preisobergrenzen für russisches Öl
18.07.2025

Die EU verschärft ihren wirtschaftlichen Druck auf Russland: Mit einem neuen Sanktionspaket und einer Preisobergrenze für Öl trifft...

DWN
Politik
Politik China investiert Milliarden – Trump isoliert die USA
18.07.2025

China bricht alle Investitionsrekorde – und gewinnt Freunde in aller Welt. Trump setzt derweil auf Isolation durch Zölle. Wer dominiert...