Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was ist auf dem Markt für Staatsanleihen los?
Hans-Joachim Dübel: Eine Kombination von technischen und strukturellen Faktoren gepaart mit teilweise haarsträubenden Handlungen der Akteure, vor allem der Hedge Fonds.
Der Markt für Bundesanleihen ist natürlich aus technischer Sicht nach dem jüngsten Schub durch das Ankaufprogramm der EZB für eine Korrektur fällig. Vor allem aber wurde er durch die EZB-Käufe und die abnehmende Bereitschaft von Institutionellen zum Verkauf nahe der Nullzinslinie strukturell immer illiquider. Dadurch wurde der Markt anfälliger für Attacken.
Anfang März und Anfang April prallte der Dollar-Euro-Kurs zweimal von der wichtigen charttechnischen Marke von 1,05 jeweils nach oben ab und niemand wusste so recht, wie es weitergehen würde. Die Märkte begannen über eine Lockerung der US-Geldpolitik im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen zu spekulieren, nahmen aber natürlich weiter an, dass die Geldpolitik im Euroraum unverändert bleiben würde. Entsprechend blieb es im Bund-Markt erst einmal ruhig.
In der Zwischenzeit hatte aber Bill Gross auf Rechnung eines Investmentfonds namens Janus Global Unconstrained Bond große Mengen kurz laufender Verkaufsoptionen auf den Bund emittiert. Der Stillhalter solcher Puts macht aber nur dann Gewinn, wenn es am Bund-Markt weiter eher ruhig zugeht. Trotzdem vermarktete Gross sein Investment zweimal aggressiv, erst am 22.4. unter Hinweis auf die Korrekturbedürftigkeit und dann am 29.4. unter Hinweis auf die zunehmende Volatilität. Das ist haarsträubend, denn ein Verkäufer von Schutz gegen Volatilität sollte nicht zu ihrer Erhöhung beitragen. An den ähnlichen Fehlern ist 1998 der Hedge Fund LTCM zugrunde gegangen.
Hinzu kommt, dass die strukturelle Illiquidität des Bund-Marktes den Short Sellern, die sich an die von Gross losgetretenen Trends angehängt hatten, das Leben leicht machte. Wenn keine Verkäufer im Markt sind, dann können wenige spekulative Verkäufer selbst einen großen Markt bewegen. Wenn die Kurse einmal rutschen, dann treten in der Folge genügend ‚Dienstmädchen‘ als Verkäufer auf, bei denen sie sich wieder eindecken können. Das war auch hier in den vergangenen Tagen der Fall.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum hat sich der Wind gegen die Bonds gedreht? Bisher galten die Papiere als sichere Anlageform?
Hans-Joachim Dübel: Fundamentale Qualitätskriterien werden seit langem am Staatskreditmarkt den Handlungen marktbestimmender Akteure, wie der Zentralbanken, untergeordnet, sonst wären die Zinsen auf beiden Seiten des Atlantik auf ganz anderem Niveau.
Die Kombination fundamentaler Überbewertung mit struktureller Illiquidität am Bondmarkt macht natürlich starke kurzfristige Kursbewegungen, wie wir sie derzeit sehen, wahrscheinlicher. Der Markt spielte ja dann auch letztlich das ähnlich gelagerte Szenario von Japan Mitte 2003, als die Staatsbondzinsen binnen weniger Wochen von nahe Null auf 2% hochschossen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum ist ein Anstieg der Zinssätze für die Bunds so gefährlich? Was bedeutet ein Anstieg für die Banken in Deutschland?
Hans-Joachim Dübel: Das historische Japan-Szenario wäre katastrophal für das deutsche Bankensystem, denn viele Banken finanzieren derzeit langfristige Kredite – z.B. im deutschen Immobilienmarkt – zu Minizinsen oder haben eben lange Bundes- oder Unternehmensanleihen in den Büchern.
Gleichzeitig ist bei den meisten Banken die Refinanzierung aber variabel verzinst und das Eigenkapital ist niedrig, das heißt, viele Banken wären bei einem drastischen Zinsanstieg binnen weniger Wochen technisch insolvent. Der deutsche Bankenpapst Martin Hellwig hat wiederholt darauf hingewiesen, dass das Bankensystem nach wie vor viel zu kurzfristig refinanziert ist. Ich habe als Hyposektor-Experte von Haus aus ebenso ständig davor gewarnt, den Pfandbrief als Refinanzierungsinstrument für langfristige Hypokredite zu vernachlässigen. Wir stehen wieder einmal vor unnötigen und hausgemachten Risiken.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Folgen hätte ein Anstieg für das Banken-System in Europa? Was könnte passieren, wenn die – vermutete – Intervention der Zentralbanken vom Donnerstag keine nachhaltige Wirkung hat?
Hans-Joachim Dübel: Die Effekte eines abrupten Zinsanstieges wären für die Solvenz der Staaten, vor allem in der Peripherie, und aller anderen hoch verschuldeten Kreditnehmer deutlich spürbar. Im Rest Europas sind es vor allem die Schuldner, die variabel finanziert sind, wie z.B. spanische Immobilienkreditnehmer oder viele Staaten, die sich heute den Zinsrisikoschutz durch langfristige Festzinsbonds nicht mehr leisten können. Die Banken sind dann zwar von der Zinsseite her gematcht, die Schuldenstände bei Haushalten und Staat sind aber viel zu hoch, um höhere kurzfristige Zinsen tragen zu können, sodass eine neue Kreditrisikokrise entstehen würde. Die EZB wird also alles daran setzen, um ein rasches Zinsanstiegsszenario zu vermeiden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann man sagen, dass die massiven und intransparenten Eingriffe der EZB einen Crash geradezu herausfordern?
Hans-Joachim Dübel: Das muss man so sehen. Der Liquiditätsfaktor ist in den Ereignissen der letzten Tage nicht mehr zu übersehen. Bisher galten Märkte wie die für Bundesanleihen eigentlich für spekulative Attacken als unantastbar, weil viel zu groß. Aber wenn man künstlich die Handelsliquidität verknappt, dann werden die Angriffsflächen grösser. Zusammen mit dem Verkäuferstreik bei diesen Zinsniveaus – wohin soll die erzielte Liquidität angelegt werden? – ergibt sich eine gefährliche Mischung. Natürlich bedeutet geringe Liquidität auch, dass die EZB die Situation relativ rasch wieder beruhigen kann.
Vielleicht dazu noch ein Aspekt. Denkbar ist es, dass der EZB und insbesondere der Bundesbank der derzeitige Kursrutsch gar nicht so unrecht ist. Denn bei Null- und Negativzinsen wird die Bilanz der Bundesbank durch ein Kaufprogramm mit Verlusten belastet. Trotzdem wird man wohl weitere Zinsanstiege wegen der genannten Risiken durch Käufe abbremsen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wer kauft heute noch Bonds – außer den Banken, die ihre nationalen Regierungen finanzieren müssen?
Hans-Joachim Dübel: Das 'own your age in bonds' Motto ist angesichts vergleichsweise hoher und stabiler Dividenden vieler Unternehmen und niedriger Zinsen am Bondmarkt sowie der hohen Schuldenstände kaum noch als Maßstab für die private Altersvorsorge geeignet. Deutschland mag vielleicht keine so hohen direkten Schuldenstände haben, hat sich aber die Schulden der Eurozone und nebenbei noch diejenigen der Ukraine als indirekte Staatsschulden aufgehalst. Diese fundamentale Verschlechterung der Kreditqualität bei gleichzeitigen Minizinsen schlägt sich auch im Nachfrageverhalten der Anleger nach Bankpapieren und Versicherungsverträgen nieder.
Insofern kann man erwarten, dass ab einem bestimmten Punkt Bondpreise und Aktienkurse wieder stärker auseinanderfallen, als das in den letzten Jahren der Fall war. Allerdings ist der Staatsbondmarkt nach wie vor grösser und liquider als der Aktien- und Unternehmensanleihemarkt, und jede fundamentale Verschlechterung im Staatsbondmarkt wird durch faktische Zwangsanleihen bei der Bevölkerung, wie sie das EZB-Kaufprogramm darstellt, wieder aufgefangen. Die von ihnen angesprochene finanzielle Repression und Kaufprogramme werden am Ende den Staatskreditmarkt über die Runden retten müssen, falls sich die Fiskalpolitiker nicht endlich besinnen und für solidere Staatsfinanzen sorgen.
Hans-Joachim Dübel ist Gründer und Leiter der Finanzberatungs-Firma Finpolconsult. Zuvor war er von 1998 bis 2000 Finanz-Analyst bei der Weltbank. Er gilt als einer der angesehensten Experten in Fragen der Banken-Rettung und hat in dieser Frage zahlreiche internationale Organisationen beraten. Er hat in den vergangenen Jahren mehrere Arbeitspapiere zur Banken-Krise erstellt. Sein aktuelles Arbeitspapier „The Capital Structure of Banks and Practice of Bank Restructuring“ wurde im Juni-Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums berücksichtigt.