Politik

Flucht nach vorne: EU-Staaten wollen Steuergelder in Europa umverteilen

Lesezeit: 4 min
27.05.2015 13:31
Die EU-Staaten planen den nächsten Anlauf zur gemeinsamen Haftung für Staatsschulden: Ein erster Schritt könnte die Rettung Griechenlands sein, auf die die USA beim aktuellen G7-Gipfel dringen. Das langfristige Kalkül: Wenn sich die europäischen Steuerzahler einmal an den Gedanken gewöhnt haben, dass ihre Kredite auch abgeschrieben werden können, wird die Euro-Zone an Stabilität gewinnen.
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Die EU diskutiert über ihre Neuausrichtung. Und wie schon so oft wollen die Schulden-Regierungen die Krise nutzen, um eine Umverteilung der Haftung auf ganz Europa zu erreichen. Deutschland zeigt sich vordergründig besorgt, trägt den Kurs jedoch mit - um die Einheit der EU nicht zu gefährden.

In Spanien und Polen gewannen diese Woche jene Parteien, die eine Lockerung der Sparauflagen im Land versprachen. Italiens Premier Renzi warnt angesichts der politischen Umbrüche in Europa vor der Austeritätspolitik der EU. Finanzminister Schäuble verteidigt den harten Sparkurs formal und stellt sich auf Gegenwind bei dem heute beginnenden G7-Finanzministertreffen ein. Allerdings ist Schäubles Ziel die politische Union Europas, weshalb er auch langfristig eine gemeinsame Schulden-Union für unumgänglich hält.

Die Wahlergebnisse in Polen und Spanien haben jenen Auftrieb verliehen, die die Krise zu einer Entscheidung nutzen wollen: Entweder sie lockern die Austeritätspolitik oder nehmen einen Wählerrückgang in Kauf, so der italienische Premier Matteo Renzi. Gleiches gelte für die Krise in Griechenland.

„Der Wind in Griechenland, der Wind in Spanien und der Wind in Polen bläst nicht in dieselbe Richtung. Aber alle Winde sagen, dass Europa sich ändern muss“, zitiert Bloomberg den italienischen Premier. Wenn es der EU nicht gelänge, ihre Wirtschaftspolitik zu verändern, würden die Ressentiments gegen Brüssel stärker, das könne in niemandes Interesse sein. Renzi muss sich am Sonntag in sieben Regionen der Wahl stellen.

In Spanien verlor die PP von Premier Mariano bei den Regionalwahlen vor allem wegen der schlechten Wirtschaftslage massiv an die Protestpartei Podemos. Die Spanier behaupten, dass der Austeritätskurs, der von Brüssel gefordert werde, schuld an der anhaltenden Misere in ihrem Land sei. Das stimmt nur teilweise: Spanien wurde wegen der von den internationalen Banken vorangetriebenen Immobilien-Blase ins Unglück gestürzt - von der Blase hat sich das Land bis heute nicht erholt. Die Regierung war gezwungen, Banken zu retten und die Ausgaben zu drosseln. Vor allem junge Spanier haben auch sieben Jahre nach dem Lehman-Crash kaum Chancen, gute Jobs im eigenen Land zu bekommen.

Spaniens Regierung schwenkt nun auf ein bewährtes Mittel um, welches seit Beginn der Finanzkrise bereits immer wieder zum Einsatz gekommen ist: Premier Rajoy fordert eine stärkere wirtschaftliche Integration der Euro-Zone und ein erweitertes Mandat für die EZB - inklusive der gemeinsamen Haftung für Schulden, etwa in Form von Eurobonds. Der Premier habe einen entsprechenden Forderungskatalog an die zuständigen europäische Institutionen geschickt, berichtet El Pais am Mittwoch.

Demnach fordert der Regierungschef einen gemeinsamen Haushalt für die Euro-Zone und mittelfristig eine Haftungsunion. Diese soll durch die Ausgabe gemeinsamer Anleihen (Eurobonds) besiegelt werden. Rajoy fordert außerdem, dass sich die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt in Europa verbessern müsse. In den Jahren 2017 bis 2019 müssten die Weichen für eine politische Union gestellt werden.

Rajoy verbindet seine Vorschläge mit Kritik an der Europäischen Zentralbank (EZB), deren geldpolitische Ausrichtung sich in den vergangenen Jahren für bestimmte Mitgliedstaaten als ungeeignet erwiesen habe. Sie habe einer exzessiven Verschuldung in einigen Ländern Vorschub geleistet.

Das Mandat der Währungshüter müsse daher neben der Förderung stabiler Preise auch ein konkretes Ziel umfassen: Die Zentralbank solle dazu beitragen, dass es nicht zu wirtschaftlichen Ungleichgewichten zwischen den Staaten komme. Derzeit liegen beispielsweise Welten zwischen dem deutschen und dem spanischen Jobmarkt: Die Arbeitslosenquote lag laut der europäischen Statistikbehörde im März hierzulande bei 4,7 Prozent, in Spanien bei 23 Prozent.

Auch in Polen stehen die Zeichen auf Wechsel: Andrzej Duda gewann die Präsidentschaftswahl mit dem Versprechen, sowohl die Banken-Steuern als auch die Sozialleistungen für Familien zu erhöhen.

Wolfgang Schäuble erwartet für den G7-Finanzministertreffen in Dresden (27. Bis 29. Mai) eine politische Auseinandersetzung über die Zukunft der europäischen Sparpolitik. Deutschlands Befürwortung der Haushaltskürzungen werde wohl bei dem Treffen attackiert werden, so Schäuble in Richtung Frankreich und Italien. Dass es sich bei Schäubles Sorge nur um ein Scheingefecht handelt, belegt ein deutsch-französisches Positionspapier, dem dem sich der französischen Zeitung «Le Monde» zufolge Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande für eine engere Zusammenarbeit in der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik stark machen.

In Frankreich dürfte sich das Schicksal der EU tatsächlich entscheiden: Aktuell liegt Marine Le Pen bei den Umfragen vorne, Hollande muss seinen Wählern irgendetwas präsentieren, was nach Hoffnung aussieht. Merkel weiß, dass sie die Spaltung der EU vermutlich kaum verhindern kann, wenn Le Pen tatsächlich an die MAcht kommen sollte.

Die EU-Kommission nannte das Positionspapier «nützlich, aussagekräftig, wichtig, zentral». Die Bundesregierung sprach von einer «gemeinsamen Position von Deutschland und Frankreich für die laufenden Sherpa-Gespräche zur Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion». Weder in Brüssel noch in Berlin gab es inhaltliche Details.

Die anderen Staaten werden in Dresden wohl ebenfalls zum Ausdruck bringen, dass die Senkung von öffentlichen Ausgaben zu einer schwächeren Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen führe, so Schäuble in einer Broschüre, die der Sächsischen Zeitung beigelegt war. Die deutsche Position ist offiziell, dass „solide öffentliche Finanzen“ Investitionen und Wachstum steigern. Das ist ein schönes Mantra, doch Schäuble verfolgt seit Jahren den Kurs der Integration. Er hatte in einem sehr aufschlussreichen Interview mit der New York Times gesagt, dass Veränderungen in Europa nur durch Krisen zu erzwingen seien.

Die Konjunkturaussichten in Europa vor dem Hintergrund Griechenland-Krise als auch die Sorge über ein US-Handelsdefizit kann in Dresden zu einer Allianz von Frankreich, Italien und den USA führen. Alle drei Staaten befürchten, dass Deutschlands offizielles Eintreten für einen harten Sparkurs das Wirtschaftswachstum in Europa aufhalten könne.

US-Finanzminister Jack Lew forderte von Deutschland, die öffentlichen Investitionen zu erhöhen, um so Importe aus Europa anzukurbeln. Das US-Handelsdefizit war im März auf das größte in mehr als sechs Jahren gewachsen, während Deutschland im Jahr 2014 erneut einen Rekordüberschuss verzeichnete.

Die Amerikaner wollen allerdings vor allem eines erreichen: Sie bestehen darauf, dass die EU die aus der Sicht Washingtons lächerlichen Spielchen mit Griechenland beendet. Für die Amerikaner ist Europa wie ein Land, in dem am Ende vor allem die Allianz mit den USA den politischen Kurs bestimmt. Das wirksamste Sprachrohr dieser Allianz ist die Nato. Griechenland ist Teil dieses Bündnisses, die USA sind kategorisch gegen eine Abspaltung und möglich Unruhen oder gar eine marxistische Renaissance in Athen.

Die Euro-Retter sind nicht unfroh über diese Entwicklung. Ihr Kalkül: Wenn die europäischen Steuerzahler einmal über die Klinge ihren Schatten springen und für die griechischen Kredite Verluste realisieren, dann ist ein Faktum geschaffen, mit dem künftig auch Spanien, Frankreich und Italien im Euro weiter Schulden machen können. Die Integration der Euro-Zone wäre, wie Schäuble sich das immer gewünscht hat, durch die Krise erzwungen.

Daher empfiehlt es sich, die zu erwartende "Rettung" Griechenlands in einem größeren Zusammenhang zu sehen: Es geht auch um die "Rettung" der in Europa konstitutiven Schulden-Politik als Grundlage einer politischen Union durch die Hintertür. Mögen die Briten ihr Referendum abhalten. Die Euro-Zone bekommt Eurobonds. Der Rest ist Schweigen.


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