Es wird hoch gepokert: Nachdem der EZB-Direktor Benoit Couré gesagt hat, dass er nicht mehr wisse, ob die griechischen Banken am Montag noch öffnen werden, hat der griechische Zentralbank-Chef nachgelegt und die Banken des Landes auf einen kritischen Dienstag eingestellt.
Ein flächendeckender Bank-Run wäre fatal. Er wäre der vielbeschworene Unfall, mit dem die Euro-Zone und damit die EU in den Zerfall taumeln.
Wie fahrlässig die Regierungen operieren, lässt sich an einigen einfachen Zahlen erklären, die David Stockman zusammengestellt hat: Demnach sind im Feuer:
Frankreich: 72, 32 Milliarden
Deutschland: 94,45 Milliarden
Italien: 63,24 Milliarden
Spanien: 43,41 Milliarden
Eurozone gesamt: 339,7 Milliarden
Diese historisch hohen Summen wären verloren, wenn der Grexit ausgelöst wird. Es handelt sich um Gelder der europäischen Steuerzahler. Man kann sich schwer vorstellen, wie Angela Merkel, Francois Hollande, Matteo Renzi und Mariano Rajoy vor ihre Völker treten, um ihnen mitzuteilen, dass das Geld weg ist.
Bisher haben sich die Euro-Retter keinen anderen Ansatz gefunden, als die Griechen kollektiv zu diffamieren und zu beschimpfen.
Sie haben nichts unternommen, um Einkommensgerechtigkeit in Griechenland herzustellen.
Sie haben sich nicht einmal mit den Zahlen beschäftigt: Es stellt sich heraus, dass die Annahmen bei Griechenland falsch sind und dass die Austeritätspolitik in Griechenland das Falscheste war, was man tun konnte. Dies gilt in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht.
Vor dem Hintergrund, dass es um unvorstellbar hohe Summen geht, ist die Ignoranz der europäischen Regierungen bemerkenswert, auf eine Lösung hinzuarbeiten.
Jede Lösung wird teuer für die Steuerzahler. Ein Grexit wäre allerdings noch teurer, weil er den Totalverlust nach sich ziehen und Griechenland jeder Zukunftsperspektive berauben würde. Die Steuerzahler würden dann nichts mehr von ihrem Geld sehen.
Der griechische Premier Alexis Tsipras hat angeblich einen Vorschlag unterbreitet, mit dem sich die Euro-Retter notgedrungen auseinandersetzen werden. Er enthält im wesentlichen vernünftige Punkte:
Umschuldung der EZB-Kredite auf den ESM
Deal mit der EZB
Rückzahlung des IWF-Kredits
EU-finanzierte Investitionen und Privatisierungen
Schuldenschnitt
Bad Bank
Bei jedem dieser Punkte werden die Euro-Retter aufheulen, weil sie öffentlich bisher den Eindruck erweckt haben, also könne man Verluste vermeiden. Hinter vorgehaltener Hand haben im Grund alle zugegeben: Das Geld ist weg, nun ist nur noch die Frage - ist alles weg, oder ein Teil noch zu retten? Keiner dieser Punkte ist ein Selbstläufer. In jedem Fall gibt es viele Unbekannte. Aber das Notprogramm könnte bei den Euro-Rettern zumindest die Hoffnung am Leben erhalten, dass Griechenland von den 340 Milliarden Euro wenigstens einen Teil zurückzahlen kann.
Die Alternative für die Regierungen: Milliarden-Verluste, die vor allem Frankreich (Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen lauert), Spanien (Neuwahlen mit linker Podemos) und Italien (leidet extrem unter den Russland-Sanktionen) faktisch nicht verkraften können. Ähnlich kritisch ist die Lage für die kleineren Länder: Österreich ist mit 7,5 Milliarden Euro im Feuer und hat mit dem Hypo Alpe Adria-Desaster den Crash schon hinter sich – steht also mit dem Rücken zur Wand. Die Niederlande müssten 15 Milliarden Euro abschreiben, das dauerhaft kriselnde Belgien knapp 10 Milliarden Euro.
Diese Zahlen werden die Euro-Retter im Hinterkopf haben, wenn sie am Montag auf Alexis Tsipras treffen. Der griechische Premier hat allerdings auch viel zu verlieren: Wenn die Syriza-Regierung das Land in die Anarchie manövriert, werden die Rechtsextremen von der Goldenen Morgenröte gestärkt.
Die EZB wiederum muss sich in irgendeiner Weise bewegen: Sie hat sich im Jahr 2012 einem Schuldenschnitt widersetzt und trägt heute die größte Last – etwa 60 Prozent der Griechen-Kredite lagern bei der EZB. Auch der IWF kann nicht auf stur schalten: Im Grexit-Fall legt Christine Lagarde einen historischen Verlust hin. Kein Geringerer als Larry Summers hat Lagarde in der FT daran erinnert.
Selbst wenn man am Montag zu einem Deal kommt, müssten die Euro-Retter danach ihre gesamte Krisenpolitik in Frage stellen. Das traut ihnen eigentlich keiner zu. Sie sind schwach, schlecht informiert und denken nicht staatsmännisch, sondern als Opportunisten. Sie zittern vor der Stunde der Wahrheit, weil sie alle viel zu verlieren haben. Bezahlt wird das Versagen allerdings von den Steuerzahlern in Europa, die mit dem sich abzeichnenden Scheitern nicht nur die gute Idee einer Europäischen Union verabschieden, sondern früher oder später einen Verlust von wahrhaft historischer Dimension zu schultern haben werden.