Politik

Gegen Grenzschutz: Merkel verstrickt sich in neue Widersprüche

Angela Merkel sagt, Grenzzäune würden die Flüchtlinge nicht abhalten. Außerdem sei die deutsche Grenze mit 3.000 Kilometer zu lang, um sie zu schützen. Noch vor einigen Tagen hatte Merkel gefordert, die EU-Außengrenze zu schützen. Diese erstreckt sich über 8.000 Kilometer am Festland und 43.000 Kilometer auf dem Meer.
17.10.2015 00:11
Lesezeit: 2 min

Angela Merkel scheint in der Flüchtlingsdiskussion die Logik abhanden zu kommen: Merkel warnte sowohl vor der Illusion einer nationalen Abschottung durch den Bau von Zäunen wie in Ungarn als auch vor einem Bruch der europäischen Grundwerte. Der Zaun an der ungarisch-serbischen Grenze habe eben nicht dazu geführt, dass weniger Flüchtlinge nach Bayern kommen - man müsse sich fragen, ob er die Zahl nicht eher in die Höhe getrieben habe. Merkel verwies darauf, dass Ungarn in der Nacht zu Samstag nun auch die grüne Grenze nach Kroatien schließen wolle.

Am 3. Oktober hatte Merkel in ihrer Videobotschaft gesagt: „Die europäische Komponente heißt, dass wir natürlich europaweit vor allen Dingen unsere Außengrenzen schützen - gemeinsam schützen - und damit eine geordnete Zuwanderung nach Europa haben.“ Gerade die griechisch-türkische EU-Außengrenze müsse geschützt werden.

Wenige Tage später hatte Merkel in der ARD gesagt, man könne nicht Deutschlands 3.000 Kilometer lange Landgrenze einzäunen.

Wie das gelingen soll, weiß Merkel nicht: Denn die EU-Außengrenzen erstrecken sich über 8.000 Kilometer am Festland und 43.000 Kilometer auf dem Meer. Spanien hat seine Grenzen bereits vor Monaten massiv abgeriegelt.

Die Visegrad-Staaten haben als Reaktion auf den neuerlich enttäuschenden EU-Gipfel beschlossen, gemeinsam Polizisten an die ungarische Grenze zu schicken. Der ungarische Premier Viktor Orban sagte, die Schließung der grünen Grenze zu Kroatien sei die Konsequenz der Unfähigkeit der EU, eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten.

Auch für die Osteuropäer hat Merkel eine reichlich seltsame Erklärung: Die osteuropäischen EU-Staaten müssen nach Merkels Ansicht ihren Beitrag zur Lösung der Flüchtlingskrise leisten. Die Osteuropäer sollten nun die Solidarität zurückgeben, die sie selbst bei der Aufnahme in die EU erhalten hätten, forderte Merkel am Freitag in Hamburg auf dem Deutschlandtag der Jungen Union, der Jugendorganisation von CDU und CSU. Bereits nach Ende des EU-Gipfels hatte Merkel in der Nacht zu Freitag in Brüssel betont, sie verstehe den Widerstand einiger Länder gegen die Verteilung von Flüchtlingen in der EU nicht.

Die Osteuropäer werden die Begründung dieser Forderung auch nicht verstehen: Denn es ist nicht Teil der EU-Verträge, dass die Staaten gegen ihren Willen und ohne eine wirksame, gemeinsame Integrationspolitik tausende Flüchtlinge aufnehmen müssen. Die relativ armen Länder haben weder die Mittel, noch die Infrastruktur. Angela Merkel hatte mit der Verkündigung der offenen Grenzen Deutschlands das Signal gesetzt, dass sich Hunderttausende auf den Weg nach Deutschland gemacht haben, in der Erwartung, hier Aufnahme zu finden. Eine diesbezügliche Einladung für die Staaten in Osteuropa hatte Merkel nicht ausgesprochen.

Wohl hat Merkel damit aber da europäische Recht außer Kraft gesetzt – notabene die Dublin-Vereinbarungen. Das ist ihr auch bewusst. Merkel sagte vor einigen Tagen im EU-Parlament, dass „Dublin obsolet“ geworden sei.

Nun erklärt Merkel in Hamburg, die EU-Staaten seien an die Grundrechte-Charta gebunden. „Es kann nicht sein, dass die Würde des Menschen da endet, wo jemand kein Christ ist“, warnte Merkel. Nur wenn die Europäer ihre Werte vorlebten, könnte sie glaubwürdig den Schutz von Christen in aller Welt einfordern.

Dies ist nun besonders seltsam: Die christlichen Kirchen gehören in Deutschland und Österreich zu den am meisten engagierten, freiwilligen Helfern. Sie helfen selbstverständlich ohne Ansehen der Person und ihren religiösen Überzeugungen.

Merkels Flucht in die Religion scheint allerdings Teil ihrer immer ratloser wirkenden Kommunikationsstrategie zu sein. Vor wenigen Tagen machte sich die Kanzlerin die Aussage des katholischen Bischofs Reinhard Marx zu eigen, der gesagt hatte, „der Herrgott“ habe uns das Problem auf den Tisch gelegt, damit wir es lösen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Schlupflöcher für Putin: EU-Plan gegen russisches Gas unter Beschuss
24.06.2025

Die EU will russisches Gas bis 2027 verbieten. Doch geheime Schlupflöcher könnten Moskau weiter Milliarden sichern – und Europas...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft E-Auto Prämien: Sozial gestaffelte Zuschüsse für Klimaschutz und Gebäudesanierung
24.06.2025

Das Umweltbundesamt (UBA) fordert in seiner aktuellen Empfehlung eine Neuausrichtung der Klimaschutzmittel: Neben einkommensabhängigen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Investitionspaket beschlossen: Bund und Länder einigen sich auf Steuererleichterungen für Wirtschaft
24.06.2025

Bund und Länder haben eine Einigung über das geplante Investitionspaket erzielt, das der deutschen Wirtschaft neue Wachstumsimpulse geben...

DWN
Politik
Politik Waffenruhe zwischen Iran und Israel: Trump erklärt Nahost-Konflikt für beendet
24.06.2025

US-Präsident Trump verkündet Waffenruhe zwischen Iran und Israel. Nach schweren Angriffen könnte der Zwölftagekrieg beendet sein. Was...

DWN
Politik
Politik Nato-Gipfel: Den Haag wird zur Festung - Sorge vor digitaler Sabotage
24.06.2025

Die Niederlande erwarten die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten – auch US-Präsident Donald Trump. Wegen der hochkarätigen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Sondervermögen Infrastruktur: Wo gehen die 500 Milliarden Euro hin?
24.06.2025

Deutschland hat Infrastrukturprobleme. Das geplante Sondervermögen Infrastruktur in Höhe von 500 Mrd. Euro soll in den nächsten zehn...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Misserfolg bei Putins Wirtschaftsforum in St. Petersburg: Die marode Kriegswirtschaft interessiert kaum jemanden
23.06.2025

Das Wirtschaftsforum in St. Petersburg sollte Russlands wirtschaftliche Stärke demonstrieren. Stattdessen offenbarte es die dramatische...

DWN
Politik
Politik Zwangslizenzen: EU hebelt den Patentschutz im Namen der Sicherheit aus
23.06.2025

Die EU will künftig zentral über die Vergabe von Zwangslizenzen entscheiden – ein tiefer Eingriff in das Patentrecht, der die...