Volkswirte und Notenbanker rechnen wegen der sich abkühlenden Weltwirtschaft und mit Blick auf die volatilen Aktienmärkte mit weiteren Zinssenkungen rund um den Globus. Zentralbanken in Europa, Kanada und Australien bereiten die Märkte bereits darauf vor. Die EZB hatte erst im Dezember den Einlagenzins auf minus 0,3 Prozent gesenkt und das milliardenschwere Ankaufprogramm von Staatsanleihen verlängert. Einige Geldmarkthändler erwarten zudem, dass die EZB dieses Jahr ihren Einlagenzins auf minus 0,5 Prozent senken wird. Derzeit hält sich die Europäische Zentralbank offen, ob es im März zu einer weiteren Verschärfung der expansiven Geldpolitik kommt.
Auch in Asien intervenieren die Zentralbanken: Japan hat in vergangene Woche überraschend den Negativzins eingeführt. Die japanische Zentralbank folgte der EZB und drückte den Einlagenzinssatz vergangene Woche ebenfalls in den negativen Bereich – von 0,1 Prozent auf -0,1 Prozent. Zudem gab ihr Chef Kuroda bekannt, dass die Zentralbank die Negativzinsen wenn nötig deutlich ausweiten könne und es prinzipiell „keine Grenzen“ für ihre expansive Geldpolitik gebe. „Die Bank von Japan sendet das bis jetzt stärkste Signal, dass die frühere angenommene Untergrenze von Null bei den Zinsen nicht mehr gültig ist“, sagt der Stratege George Saravelos von der Deutschen Bank.
Außerdem rechnen immer weniger Beobachter mit schnellen Zinsanhebungen in den USA. Die amerikanische Wirtschaft entwickelt sich nur schleppend und wichtige Kennzahlen signalisierten in den vergangenen Wochen bereits eine Eintrübung der Konjunktur. Einige Stimmen gehen davon aus, dass die Federal Reserve Bank mittelfristig den eingeschlagenen Kurs der geldpolitischen Normalisierung abbrechen und zu expansiven Maßnahmen zurückkehren wird. Die amerikanische Wirtschaft entwickele sich viel zu zaghaft, als dass sie weitere Anhebungen des Leitzinses vertragen könnte.
Der Zwang zu weiteren geldpolitischen Anreizen resultiert aus der Erkenntnis, dass die Weltwirtschaft in weit schlechterer Verfassung ist als bisher angenommen. Der Baltic-Dry-Index, der die Frachtkosten wichtiger Rohstoffe repräsentiert, ist auf den niedrigsten Stand aller Zeiten gefallen. Der IWF musste seine Prognosen erst kürzlich nach unten anpassen und warnte, dass „das globale Wachstum entgleisen könnte.“ Der ehemalige Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, William White, warnte unterdessen vor einer Rezession, die schlimmer als jene von 2007 sein könnte.
Hinzu kommt, dass die tiefen Ölpreise die Haushalte der Exportländer durcheinanderbringen und zu Zahlungsausfälle bei Firmenanleihen führen könnten. Eine große Sorge stellt außerdem das nachlassende Wachstum in China und die damit verbundene Abwertung des Yuan dar. „Das größte Risiko für die Weltwirtschaft zu diesem Zeitpunkt ist eine aggressive Abwertungspolitik in China“, sagt der Chef einer europäischen Notenbank gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, der ungenannt bleiben wollte. „Da die Unsicherheit und die Volatilität bereits hoch sind, würde das erhebliche Folgen für alle Volkswirtschaften haben.“ Chinesische Aktien haben seit Jahresbeginn bereits ein Fünftel an Wert verloren.
Die Marktteilnehmer, sagte William White kürzlich in einem Interview mit der NZZ, wüssten unterschwellig, dass das derzeitige Umfeld nicht normal sei, und sie rechneten damit, dass irgendetwas passieren wird. Unter solchen Umständen könne fast alles zu Kursturbulenzen an den Märkten führen.