Die USA und Großbritannien haben mit Gesprächen hochrangiger Diplomaten zur Zukunft der Wirtschaftsbeziehungen beider Länder begonnen, berichtet das Wall Street Journal. Das Büro der britischen Premierministerin Theresa May habe mitgeteilt, dass beide Seiten gerade herausfinden, was „getan werden kann, bis Großbritannien die EU offiziell verlässt.“ Großbritannien wolle seine Rolle in der Welt definieren und dabei mit „neuen und alten Verbündeten“ Gespräche führen.
Die Gespräche sind ein Zeichen dafür, dass die Regierung in London bereit ist, die Grenzen des EU-Rechts auszutesten, welchem sie derzeit in Fragen von Handelsabkommen noch untersteht und welchem sie schnellstmöglich entkommen will. Denn solange Großbritannien noch Mitglied der EU ist, darf das Land keine eigenständigen Handels-Verträge schließen. Doch derzeit werden mit mehr als einem Dutzend Staaten Verhandlungen geführt, was die Bereitschaft Großbritanniens unterstreicht, nationale Interessen fortan auch gegen die EU zu verteidigen.
Die britische Premierministerin Theresa May war am Samstag zu Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim in die türkische Hauptstadt gereist. Sie vereinbarte dort ein gemeinsames Rüstungsprojekt im Wert von 100 Millionen Britischen Pfund (umgerechnet 117 Millionen Euro) und kündigte engere bilaterale Handelsbeziehungen mit Ankara an.
Die Briten gehen im Hinblick auf den Austritt sehr strukturiert vor: Sie planen Freihandelsabkommen oder enge wirtschaftliche Kooperationen nicht nur mit den USA und der Türkei, sondern auch mit Russland, Indien und China. Militärisch werden die Briten ihre restliche EU-Mitgliedschaft nutzen, um gegen eine EU-Armee zu agitieren. Die Zuwanderung wird als Kern der Austrittsstrategie gestoppt. Auch im Bereich der Energiepolitik koppeln sich die Briten ab und setzen im Gegenzug beispielsweise zu Deutschland verstärkt auf die Kernkraft. In der Rüstungpolitik wird das Atomwaffenarsenal modernisiert.
Die bilaterale Strategie könnte – wenn sie erfolgreich angewendet wird – die Fliehkräfte innerhalb der EU während der zweijährigen Verhandlungen verstärken. „Wir ersuchen keine Mitgliedschaft im Einheitlichen Markt. Stattdessen ersuchen wir den bestmöglichen Zugang dazu durch ein neues, umfassendes, gewagtes und ambitiöses Freihandelsabkommen“, sagte May in einer Rede zum Austritt. Dieser Standpunkt nimmt der EU ihr bislang wichtigstes Verhandlungsargument – den Poker um den umfassenden Marktzugang – aus der Hand. Es besteht für die EU sogar das Risiko weiterer Nachahmungseffekte und Spaltungen, falls die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen für Großbritannien zu einer guten Lösung führen.
Auch die Schweiz hat bereits angekündigt, nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU mit dem Land sofort ein eigenes Freihandels-Abkommen zu schließen. Der Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann sagte der Zeitung Blick, es würde ihn „sehr freuen, wenn wir als eines der ersten Länder mit Post-Brexit-Britannien ein Freihandelsabkommen hätten“. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU dürfe „kein Tag vergehen, ohne dass wieder eine Regelung mit dem Inselreich in Kraft tritt“.
Schneider-Ammann hob hervor, ein neues Abkommen müsse „mindestens gleich gut sein wie heute“. Er betonte: „Wir wollen einen nahtlosen Übergang.“ Solange Großbritannien in der EU sei, könne kein neuer Handelsvertrag abgeschlossen werden. Es könnten aber bereits jetzt Diskussionen über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen geführt werden.