Politik

US-Sanktionen: Russische Wirtschaft wankt, fällt aber nicht

Lesezeit: 4 min
21.04.2018 00:25
In Russland haben erste Unternehmen wegen der US-Sanktionen um ihre Verstaatlichung gebeten.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Mehrere russische Unternehmen haben wegen der Folgen amerikanischer Sanktionen die Regierung in Moskau um Liquiditätsspritzen in Höhe von umgerechnet 1,3 Milliarden Euro gebeten. Zu den Firmen zähle auch der weltweit zweitgrößte Aluminiumproduzent Rusal, zitierte die Agentur Interfax Finanzminister Anton Siluanow am Freitag. Für einige Unternehmen sei eine "vorübergehende Verstaatlichung" eine Option, nicht aber für Rusal. Namen nannte Siluanow nicht.

Die Regierung könne russischen Unternehmen, die von US-Sanktionen betroffen sind, Liquidität zur Verfügung stellen, sagte Siluanov laut TASS. "Eine Reihe von Unternehmen bat um Unterstützung in der Liquiditätsform. Ich denke, dass die Promsvyazbank Unterstützung leisten kann. Die Unterstützung kann in Form von Vorfinanzierungen erfolgen", sagte der Minister. Die Hilfe könne auch in Form von staatlichen Beschaffungen geleistet werden, fügte er hinzu. Unternehmen forderten "einen erheblichen Betrag, etwa 100 Milliarden Rubel" an Liquidität, sagte der Minister: "Wir beabsichtigen nicht, Kapital zuzuführen. Diese Hilfe sollte in erster Linie dazu dienen, die dort arbeitenden Arbeitsteams zu unterstützen", bemerkte Siluanov. Die Regierung sehe keine Notwendigkeit, einen speziellen Posten im Budget vorzusehen, um Unternehmen wegen der Sanktionen zu helfen, sagte der Minister.

Das russische Finanzministerium will laut TASS auf den Markt der inländischen Kredite zur Finanzierung des Haushaltsdefizits zählen, wenn sich die US-Sanktionen auf die russischen Staatsschulden ausbreiten, sagte Finanzminister Anton Siluanov am Freitag am Rande der Frühjahrssession des IWF und der Weltbank. "Wir werden hauptsächlich auf unsere inländischen Investoren zählen", sagte er. "Wir brauchen keine Fremdwährungskredite. Wir haben genügend Devisen und Goldreserven.. Aber wir brauchen die Financiers, um unser Haushaltsdefizit zu finanzieren, und wir können diese Quellen auf unseren inländischen Finanzmärkten bekommen", sagte Siluanov.

Amerikanische Investoren zeigten weiterhin Interesse an Russland, sagte der russische Finanzminister Anton Siluanow am Freitag und kommentierte die Ergebnisse von Treffen mit US-Investoren am Rande des G20-Treffens der Finanzminister und Zentralbankpräsidenten in Washington. "Wir hatten mehrere Treffen mit amerikanischen Investoren. Sie zeigen uns immer noch Interesse", sagte Siluanow laut TASS.

Das russische Finanzministerium bewertet die Auswirkungen der jüngsten US-Sanktionen auf den Wechselkurs des Rubels als minimal, sagte Siluanow: "Der Geldmarkt war in den ersten zwei Tagen volatil, aber unsere Nichteinmischung in den Handel in Abstimmung mit der Zentralbank Russlands hat diese Schwankungen ausgeglichen", sagte er: "Wir schätzen die Auswirkungen all dieser Faktoren auf den Rubel als minimal ein."

Die USA haben Anfang April Sanktionen gegen mehrere russische Einzelpersonen und Einheiten verhängt, darunter Rusal und dessen Großaktionär Oleg Deripaska. Die Regierung in Washington wirft Russland unter anderem Einmischung in die US-Präsidentschaftswahl 2016 vor.

Die Sanktionen, so zeigt sich nun, haben einzelnen Unternehmen schwer zugesetzt - nicht jedoch der für Russland wichtigsten Branche, der Energiebranche.

Russlands Wirtschaft hatte sich nach den ersten Sanktionen 2014 eigentlich überraschend schnell erholt. Nach zwei Jahren mit negativem Wachstum wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2017 mit 1,8 Prozent (siehe Abbildung 1). Auch in den nächsten Jahren sollte die Wirtschaft weiter wachsen – so die Prognosen vor den neuen Sanktionen.

Hohe Exporte, niedrige Inflation und geringe Staatsverschulung

Trotz der Sanktionen legten die Ausfuhren im Jahr 2017 deutlich zu. Im Januar 2018 stieg der Außenhandelsüberschuss auf 17 Milliarden US-Dollar – ein Anstieg um 43,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und der größte Handelsüberschuss seit Juli 2014. Knapp zwei Drittel der Exporte entfallen auf Öl, Gas und ähnliche Commodities. Danach folgt Eisen und Stahl mit etwa fünf Prozent. Haupthandelspartner sind die Niederlande (10 Prozent), China und Deutschland (mit 9,9 und 7,5 Prozent).

Auch die Arbeitslosigkeit ist gering: Sie liegt mit fünf Prozent niedriger als vor den ersten Sanktionen 2014. Besonders auffällig ist aber die niedrige Inflation: Im Februar 2018 erreichte die Inflationsrate ein Rekordtief von 2,2 Prozent. Sie bleibt damit unter den von der Zentralbank angestrebten 4 Prozent und unter den 17,8 Prozent im März 2015.

Dazu kommt der niedrige Schuldenstand: Im Jahr 2016 betrug die Staatsverschuldung 12,6 Prozent des BIP, zwei Prozentpunkte weniger als noch 2014. Und deutlich niedriger als in Europa oder in den USA: In Deutschland beträgt die Verschuldungsquote 68,3 Prozent des BIP, in den USA 107,1 Prozent und in Italien 131,8 Prozent (jeweils 2016).

Russlands Wirtschaft wird vom Öl- und Gaspreis bestimmt

Russlands Wirtschaft litt vor allem unter dem starken Rückgang des Ölpreises. Ende 2014 sank der Ölpreis von 115 US-Dollar pro Barrel auf 44 US-Dollar im Januar 2015. Im Januar 2016 erreichte er einen neuen Tiefstand von unter 30 US-Dollar pro Barrel. Seitdem steigt der Ölpreis wieder an (siehe Abbildung 2).

In Folge der ersten Sanktionen im Jahr 2014 verlangsamte sich das Wachstum der russischen Wirtschaft. Der starke Einbruch des Wirtschaftswachstums fiel zeitlich aber mit Verfall des Öl- und Gaspreises zusammen. Die Erholung der russischen Wirtschaft nach 2014 erfolgte dann ebenfalls wieder zeitgleich mit dem steigenden Ölpreis (siehe Abbildung 3).

Die russische Wirtschaft ist abhängig von Öl- und Gasexporten. Russlands Politik ist so auch darauf ausgerichtet, die Energiegeschäfte zu sichern und neue Absatzmärkte zu erschließen. Das zeigt zum Beispiel das Nord Stream 2 Projekt: Die sogenannte Ostseepipeline soll durch zwei weitere Röhren ergänzt werden. Russland kann Europa dann besser direkt mit Erdgas versorgen. Für Länder wie die Ukraine könnten so Transiteinnahmen wegfallen. Die Äußerungen von Bundeskanzlerin Merkel machen das politische Gewicht deutlich.

Korruption, wenig Investitionen, Pleiten

Die strukturellen Probleme des Landes bleiben dagegen weiterhin ungelöst: Russlandexperte Professor Alexander Libman sieht bei einem Interview mit 3sat drei grundsätzliche Probleme der russischen Wirtschaft:

  • keine ausreichenden rechtsstaatlichen Institutionen
  • Korruption
  • Organisation der öffentlichen Verwaltung

Hinzu kommt, dass die Wirtschaft von Großkonzernen geprägt sei.

Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International belegt Russland Rang 138 von 175 betrachteten Ländern. In den letzten drei Jahren rutschte Russland um 19 Plätze nach hinten. Die Investitionsquote ist mit 25 Prozent zu niedrig. Für weiteres Wirtschaftswachstum bräuchte die Wirtschaft mehr Investitionen in langfristige Anlagegüter. Das schlechte Geschäftsklima zeigt sich auch in der Anzahl der Konkurse. Im vierten Quartal 2017 erreichten sie ein Allzeithoch von 3.680.

Sanktionen schwächen Russlands Wirtschaft, nicht aber das Öl- und Gasgeschäft

Die Sanktionen des Westens zeigen kurzfristig Wirkung. Sowohl letzte Woche als auch bei den ersten Sanktionen 2014 brachen die Börsen ein. Die Maßnahmen treffen aber vor allem den sowieso schon schwachen Teil der Wirtschaft, nicht das für Russland so wichtige Energiegeschäft.

Die Sanktionen verhindern mittel- und langfristig, dass sich der Teil der russischen Wirtschaft erholt, der nicht durch das Energiegeschäft getrieben wird – hinzu kommen die strukturellen Probleme. Russlands Wirtschaft wird so weiterhin von Großkonzernen und den Energieexporten abhängig bleiben – und damit auch Russlands Politik.

***

Für PR, Gefälligkeitsartikel oder politische Hofberichterstattung stehen die DWN nicht zur Verfügung. Bitte unterstützen Sie die Unabhängigkeit der DWN mit einem Abonnement:

Hier können Sie sich für einen kostenlosen Gratismonat registrieren. Wenn dieser abgelaufen ist, werden Sie von uns benachrichtigt und können dann das Abo auswählen, dass am besten Ihren Bedürfnissen entspricht. Einen Überblick über die verfügbaren Abonnements bekommen Sie hier.


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch nahe 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
22.11.2024

Ein Bitcoin-Rekordhoch nach dem anderen - am Freitagmorgen kletterte der Bitcoin-Kurs erstmals über 99.000 US-Dollar. Seit dem Sieg von...

DWN
Politik
Politik Krankenhausreform: Entscheidung über Lauterbachs hoch umstrittenes Projekt heute im Bundesrat
22.11.2024

Krankenhausreform: Kommt sie jetzt doch noch? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) steht mit seinem hochumstrittenen Projekt vor...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz von HH2E: Rückschlag für Habecks Energiewende - Wasserstoffprojekte in Sachsen in Gefahr
22.11.2024

Der Wasserstoff-Spezialist HH2E hat Insolvenz angemeldet, die Finanzierung durch ein britisches Private-Equity-Unternehmen ist gestoppt....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Aktien sind heiß gelaufen: Warum immer mehr Analysten den europäischen Aktienmarkt in den Blick nehmen
22.11.2024

Vermögensverwalter Flossbach von Storch sieht zunehmend Risiken für US-Aktien. Nach der jüngsten Rekordjagd an den US-Börsen verlieren...

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...