Die Regierungskrise hat sich am Samstag erneut zugespitzt. Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer stellte die von Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigte rasche Lösung überraschend in Frage und stellte sich ostentativ hinter den Präsidenten des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen.
Die SPD fordert mehr oder weniger ultimativ die Versetzung Maaßens in den Ruhestand, ohne dem Beamten eine alternative Berufsperspektive zu bieten.
Anlass der Krise ist die Aussage Maaßens, dass er an der Authentizität eines von der Antifa Zeckenbiss ins Internet gestellten Videos anzweifle. Bis heute ist nicht bekannt, wer hinter dieser Gruppe steht. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hatte Maaßen daraufhin als «Stichwortgeber für rechte Verschwörungstheoretiker» bezeichnet. Die Verwendung des Begriffs Verschwörungstheoretiker zielt in der Regel auf die gesellschaftliche und politische Ächtung einer Person oder einer Institution ab. Unter den etablierten Parteien war die Verwendung dieses Begriffes in Deutschland bisher nicht üblich.
Seehofer warf der SPD dem Bericht zufolge eine Kampagne gegen Maaßen vor und sprach diesem erneut sein Vertrauen aus: «Wir müssen Herrn Maaßen mit Anstand behandeln. Er ist ein hoch kompetenter und integrer Mitarbeiter. Er hat kein Dienstvergehen begangen.» Den Vorwurf, Maaßen sei «rechtslastig oder vertrete rechtsextremistische Positionen, weise ich mit allem Nachdruck zurück», sagte Seehofer.
Der Innenminister kündigte an: «Ich werde ihn deshalb auch nicht entlassen. Das mache ich nicht aus Trotz, sondern weil die Vorwürfe gegen ihn nicht zutreffen.» Er habe «eine Fürsorgepflicht für meine Mitarbeiter und entlasse sie nicht, weil die politische und öffentliche Stimmung gegen sie ist». Vor allem innerhalb der SPD war zuletzt gefordert worden, Maaßen in den Ruhestand zu versetzen. Am Samstag hatten die SPD-Forderungen auch die Entlassung Seehofers beinhaltet. Die Bundeskanzlerin könnte den Innenminister jederzeit entlassen.
Seehofer machte klar, dass er sich erst mit der SPD und Merkel an einen Tisch sitzen werde, wenn die SPD eine Lösung vorschlägt, der auch er zustimmen kann: «Wir werden an diesem Wochenende viele Telefonate führen müssen. Es wird erst ein Treffen der Parteivorsitzenden geben, wenn ich weiß, was die Forderungen der SPD sind und wie eine Einigung mit der Union funktionieren könnte», sagte Seehofer der Bild-Zeitung. «Es wird keine Zusammenkunft ohne ein vorheriges Lösungsszenario geben, das alle Beteiligten in der Zukunft mittragen.»
Die Spitzen der Koalition wollten am Sonntag eigentlich ihren Streit um die Zukunft von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen beilegen. Merkel hatte am Freitagabend angekündigt, im Laufe des Wochenendes eine «gemeinsame, tragfähige Lösung» finden zu wollen. Es wäre das dritte Spitzentreffen der drei Parteivorsitzenden zu Maaßen im Kanzleramt.
SPD-Chefin Andrea Nahles zeigte sich in der Bild zwar zuversichtlich, dass die Regierung nicht scheitert: «Die Regierung wird nicht an der Causa Maaßen scheitern», sagte Nahles. Sie schränkte allerdings ein, die Basis für eine Zusammenarbeit müsse gegenseitiges Vertrauen und Verlässlichkeit sein. «Wenn das nicht mehr gegeben ist, scheitert die Regierung», sagte Nahles. Rufe aus der SPD nach einem Austritt aus der großen Koalition wies Nahles strikt zurück: «Wir müssen die Gesamtlage betrachten: Überall rufen Rechtspopulisten zur Zerstörung der Europäischen Union auf. Unsere demokratische Ordnung ist von Feinden bedroht. Wir müssen jetzt Europa und unsere Demokratie verteidigen. In dieser Lage brauchen wir eine handlungsfähige Regierung und sollten die Geschicke des Landes nicht anderen überlassen.»
Für die Neuverhandlungen um Maaßens Zukunft stellte sie zwei Bedingungen: «Erstens muss es eine Lösung geben, die nicht das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen verletzt. Zweitens muss Vertrauen wiederhergestellt werden.» Eine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand verlangte sie dem Blatt zufolge nicht explizit. Allerdings dürfte diese Forderung dem Wille einer deutlichen Mehrheit der führenden SPD-Funktionäre entsprechen, wie die diversen Wortmeldungen zeigen. Nahles hatte bereits mit ihrer Zustimmung zum ersten Kompromiss die Lage in ihrer eigenen Partei falsch eingeschätzt. Die SPD-Proteste hatten Nahles veranlasst, sich aus dem Kompromiss zu verabschieden und neue Gespräche zu fordern.