Finanzen

Die EZB kann alles, aber keinen Wirtschaftsaufschwung herbeiführen

Um das Platzen der Schuldenblase abzuwenden, setzt EZB-Chef Mario Draghi alle zinspolitischen Hebel in Bewegung. Doch der Preis für diese Politik ist hoch.
04.07.2019 16:59
Lesezeit: 3 min

Zur Abwendung von Schuldenkrisen setzt die EZB weiter alle Zins- und Liquiditätshebel in Bewegung. Doch der Preis ihrer guten Tat ist hoch. Im quasi zinslosen Kapitalismus verhungert das Zinsgeschäft von Banken und Sparkassen. Und zu Risiken und Nebenwirkungen der EZB-Rettung fragen Zinssparer bitte die Rendite ihres Sparbuchs, ihres Festgelds oder ihrer Staatsanleihen. Da die Altersvorsorge der Deutschen immer noch zu über 75 Prozent auf Zinsanlagen basiert, werden unsere Nachkommen kein Auskommen mit ihrem Zins-Einkommen haben.

Nicht zuletzt, bei der geldpolitischen Rettung hat die EZB ihre Stabilitäts-Kleidung abgelegt. Für viele Grund genug, Mario Draghis Abbild als Wurfscheibe zu benutzen. Aber nur offiziell, denn bei vielen Berliner Politikern hängt er klammheimlich als Heiligenbild an der Wand. Denn seine Zins- und Liquiditätspolitik hat den deutschen Staatshaushalt saniert. Und ohne sein Eingreifen hätten wir heute längst Euro-Bonds, also gemeinschaftliche Anleihen, bei denen Deutschland für Europa haftet wie bei den drei Musketieren: „Einer für Alle“.

Die Euro-Wirtschaft reagiert auf Geldpolitik bislang wie multiresistente Keime auf Antibiotika

Es ist einfach, mit dem geldpolitischen Fleischklopfer Euro-Finanzkrisen platt wie Steaks zu klopfen. Doch beim Wachküssen des Konjunktur-Dornröschens scheitert der EZB-Prinz. Dabei ist er am Dauerschlaf selbst schuld. Da sich mangelnde Wettbewerbsfähigkeit wegen geldpolitischer Planwirtschaft nicht mehr wie früher in Risikoaufschlägen bei Staatspapieren niederschlägt, ist der Druck für schmerzhafte, aber wachstumsfördernde Reformpolitik schwach. Da Defizitverfahren der EU gegen Schuldensünder abseits von Moralpredigten ohnehin zu keinen Sanktionen führen, kann sich z.B. Italien so ziemlich alles erlauben, sogar drohen. Denn Rom weiß: Fällt Italien, fällt Europa. Wer strengt sich jetzt denn noch in der Euro-Schule an, wenn die Versetzung trotz ausbleibender Leistung gesichert ist?

Und warum sollten Unternehmen statt im reformfreudigen Amerika und Asien alternativ in Europa investieren, wenn es hier offensichtlich ein Recht auf Faulheit gibt?

Wird die EZB extraordinär?

Angesichts der massiven Strukturdefizite in Europa kann auch eine noch freizügigere Geldpolitik keine wirtschaftliche Wirkung entfalten. Dennoch zeigt sich die EZB weiter bockig wie ein Esel und glaubt, mit ewig günstigen Leitzinsen und niedrigeren Anleiherenditen das Euro-Konjunkturwunder doch noch herbeizuführen. Über die Wiederaufnahme von Anleihekäufen wird bereits nachgedacht.

Um ans Konjunkturziel zu gelangen, werden sogar ganz neue Notenbankinstrumente diskutiert. So vermutet man, dass Euro-Bürgern bei brutal negativen Anlagezinsen irgendwann die Lust am Zinssparen vergeht und sie ihr Geld konjunkturwirksam ausgeben. Und mit der zunehmenden Abschaffung des Bargelds soll gleichzeitig der Notausgang gegen Zinsverluste zugemauert werden.

Sollten alle Stricke reißen, gibt es ja auch noch „Helikopter-Geld“. Im übertragenen Sinne werden Säcke voller Geld vor den Haustüren der Konsumenten mit der Bedingung abgeworfen, dieses zügig auszugeben, da es ansonsten verfällt. Diesen Gefallen werden die Begünstigten der EZB gerne tun. Angesichts der hohen Mietpreise wären z.B. monatliche Zuschüsse der Regierung denkbar, die von der EZB subventioniert werden.

Aber diese Maßnahmen stehen doch völlig außerhalb des Mandats unserer Notenbank, oder? Stimmt, niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Allerdings zeigt die politische Realität, dass der Zweck alle Mittel heiligt, auch den Regelbruch. Grundsätzlich wird kein Politiker eine unkontrollierte (sozial-)politische Eurosklerose zulassen.

Dann käme es jedoch zu Abhängigkeiten wie bei Drogensüchtigen. Die Wirtschaftsakteure würden sich an die Geldgeschenke gewöhnen und bei jedem konjunkturellen Problemchen den nächsten Geldabwurf vom Helikopter einfordern. Doch mit „Freibier für alle“ würde man der Zerstörung des Leistungsprinzips und schließlich der Gesamtwirtschaft eine Tür öffnen, die man nicht mehr schließen könnte.

Schwachstellen zu ignorieren, ist der sicherste Weg, eine Volkswirtschaft zugrunde zu richten

Die Euro-Konjunktur hat kein geldpolitisches Angebots-, sondern ein ernstes Nachfrageproblem. Wenn schon Kreditaufnahmen beispiellos günstig sind, dann sollte die Fiskalpolitik diesen Steilpass aufnehmen. Deutschland verdient mit neuen Schulden ja sogar Geld.

Aber, bei dieser staatlichen Nachfrage muss wahlpopulistischer Konsum verboten sein. Knallhart geht es nur um Investitionen in die Infrastruktur. Zwischen Flensburg und Passau bzw. Aachen und Cottbus wird so die Standortqualität wieder auf global wettbewerbsfähiges Niveau gebracht. Es geht um Verkehrswege, (Strom-)Netzausbau, Digitalisierung, 5G und Bildung, Bildung, Bildung. Wir wiederholen die Wirtschaftspolitik der 50er- und 60er-Jahre. Damals haben staatliche Basisinvestitionen einen wirtschaftsfreundlichen Nährboden geschaffen, der schließlich zu unternehmerischen Folgeinvestitionen führte. Dagegen ist die schwarze Null nur ein Fetisch. Kaputtsparen macht nicht reich.

Fände dieser Investitionsansatz auch in anderen Euro-Ländern Anwendung, würde die notenbankseitige Geldflut nicht nur weiter Anlageblasen an Zins- und Immobilienmärkten aufblähen, sondern ihren eigentlichen realwirtschaftlichen Zweck erfüllen. Es gäbe mehr Arbeitsplätze, Konsum, Steuereinnahmen und sozialen Frieden. Und für die europäische Idee wäre es auch gut. Nicht zuletzt bekämen die Aktienmärkte viel fundamentales Fleisch an den abgenagten Knochen der Liquiditätshausse.

Übrigens, die USA und China machen es genauso und zwar erfolgreich.

Robert Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse-Abteilung der Baader Bank. Die Baader Bank ist die Bank zum Kapitalmarkt. Sie ermöglicht ihren Kunden den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten und das Investieren in Finanzprodukte auf effektive, effiziente und sichere Weise.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Abwanderung Arbeitsmarkt: Polnische Fachkräfte verlassen Deutschland
19.08.2025

Jahrzehntelang hat die Bundesrepublik polnische Staatsbürger angezogen – doch jetzt kehren immer Polen Deutschland den Rücken....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft CSRD: EU legt standardisierte Nachhaltigkeitsberichte für KMU vor
18.08.2025

Die CSRD zwingt Europas Mittelstand in ein Korsett aus Formularen und Bürokratie. Was als Transparenzprojekt verkauft wird, droht für...

DWN
Immobilien
Immobilien Mehr Baugenehmigungen in Deutschland: Warum das nur bedingt Hoffnung macht
18.08.2025

Im ersten Halbjahr wurden mehr Wohnungen genehmigt – doch der Aufwärtstrend beim Neubau hat klare Grenzen. Während Einfamilienhäuser...

DWN
Politik
Politik Piraten der Sanktionen: Russlands Schattenflotte spottet dem Westen und wächst täglich
18.08.2025

Trotz immer schärferer Sanktionen wächst Russlands Schattenflotte ungebremst. Über 1.100 Tanker mit gefälschten Flaggen, ohne...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX aktuell kaum verändert: Leitindex bleibt in Reichweite des Rekordhochs
18.08.2025

Der DAX-Kurs zeigt sich zum Handelsstart am Montag stabil, das Rekordhoch bleibt weiterhin in Reichweite. Doch politische Unsicherheiten,...

DWN
Finanzen
Finanzen Rheinmetall-Aktie klettert: Geopolitik treibt den Kurs, doch charttechnische Risiken bleiben
18.08.2025

Die Rheinmetall-Aktie sorgt erneut für Schlagzeilen: Politische Spannungen und charttechnische Marken bewegen den Kurs. Während...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bahn-Pünktlichkeit sinkt im Juli deutlich - wen das besonders trifft
18.08.2025

Die Bahn-Pünktlichkeit entwickelt sich für Reisende wie Unternehmen zunehmend zur Belastung. Immer häufiger kommen Züge verspätet an,...

DWN
Politik
Politik Welche Folgen hätte eine Donbass-Aufgabe für die Ukraine?
18.08.2025

Der Donbass war einst das industrielle Herz der Ukraine, heute ist er ein Symbol für Zerstörung und geopolitische Kämpfe. Was würde ein...