Deutschland

Deutsche Bahn bekommt Konkurrenz mit nur einem Zug

Mit gerade mal einem Zug startet ein neuer Konkurrent von Fernbussen und Deutscher Bahn im Fernverkehr.
10.11.2016 09:52
Lesezeit: 3 min

Die Deutsche Bahn bekommt Konkurrenz durch eigenes Inventar. Eisenbahn-Fans fühlen sich ein wenig in die 70er Jahre zurückversetzt, wenn sie die orangefarbenen Wagen der neuen Privatbahn Locomore sehen. Nicht ganz zufällig, denn das Berliner Start-up hat alte IC-Wagen der Deutschen Bahn aufmöbeln lassen, um ab dem 14. Dezember der Deutschen Bahn auf der Fernstrecke Konkurrenz zu machen. Tickets gibt es ab Freitag (10. November).

Das neue Angebot der Bahn-Pioniere muss schnell einigermaßen kostendeckend rollen. Mehr als 600 000 Euro haben sie als Startkapital per Crowdfunding im Internet eingesammelt. Rund 500 Plätze hat Locomore in seinem Zug von Stuttgart nach Berlin und wieder zurück anzubieten, die auf der langen Strecke quer durch Deutschland im Schnitt zwei Mal belegt werden sollten.

«Die Züge müssen mindestens halb voll sein», gibt Locomore-Chef Derek Ladewig als Zielgröße aus - das macht rund 1000 verkaufte Tickets pro Tag. Zum Vergleich: Der DB-Fernverkehr hat täglich über 360 000 Kunden, rund 132 Millionen im Jahr, so die dpa.

Die erste Locomore-Strecke ist durchaus clever gewählt, denn an der Verbindung Stuttgart-Frankfurt-Hannover-Berlin lassen sich Uni-Städte wie Heidelberg, Darmstadt und Göttingen bequem abklappern. Unter den Studenten vermuten die Marketing-Leute preissensible und hochmobile Kunden, die obendrein noch internetaffin sind. Und denen es wenig ausmacht, etwas langsamer als mit dem ICE unterwegs zu sein, wenn sie in verkehrsschwachen Zeiten von Kassel für 13 Euro in drei Stunden nach Berlin fahren können. Das Internet über WLAN werde «mindestens gleich gut» wie bei der DB funktionieren, verspricht die Firma.

Locomore sei eher als Konkurrenz zum Fernbus zu sehen, sagt Detlef Neuß, Präsident des Fahrgastverbands Pro Bahn. Die Deutsche Bahn - Fast-Monopolist auf der Fernstrecke - habe wegen des zunächst noch sehr überschaubaren Angebots der Herausforderer keine ernsthaften Einbrüche zu befürchten. Den zwei täglichen Locomore-Fahrten stehen schließlich rund 1300 im DB-Fernverkehr gegenüber. «Aber ich hoffe, dass ein wenig Schwung in den Laden kommt.»

Locomore will das eigene Unternehmen schlank halten. Neben dem Management sollen nur die Zugbegleiter direkt angestellt werden, weil diese im Service direkten Kundenkontakt haben. Die Züge fahren lassen sie von der schwedischen Hector Rail, die auch die Lokführer stellt.

Die Locomore-Tickets gibt es nur im Netz, am Telefon, in einigen Reisebüros sowie (zum Höchstpreis) direkt im Zug, denn die Deutsche Bahn hat den Vertrieb über ihre Kundenzentren an den Bahnhöfen oder über das Portal bahn.de abgelehnt. «Das hätte man sicher auch anders lösen können», kritisiert Ladewig. Die DB hält dagegen. Dieser Vertriebsweg sei für einen erfolgreichen Markteintritt nicht mehr notwendig, sagt ein Sprecher. In den DB-Fahrplanmedien sollen die neuen Verbindungen aber «diskriminierungsfrei» enthalten sein.

Das orange Preissystem soll deutlich einfacher ausfallen als bei der Bahn. Der Tarif richtet sich nach der Nachfrage, so dass ein Standard-Ticket für die ganze Strecke Stuttgart-Berlin je nach Auslastung und Kaufzeitpunkt zwischen 22 und 65 Euro kosten kann. «Über alle Kanäle gibt es zum gleichen Zeitpunkt nur einen Preis», verspricht Gründer Ladewig. Und der soll immer unterhalb des Bahncard-50-Flexpreises der DB liegen.

Locomore verzichtet zwar offiziell auf eine Klasseneinteilung, bietet aber innerhalb des Business-Tarifs (38-98 Euro/Stuttgart-Berlin) mehr Platz sowie kostenfreie Snacks, Getränke und Zeitungen. Wer nicht arbeiten möchte, kann sich im Zug nach dem Vorbild der sozialen Netzwerke mit Gleichgesinnten zusammenzufinden, um Skat zu spielen oder Englisch zu sprechen. Im Buchungssystem sollen wechselnde Themen angeboten werden. Auch für Ruhesuchende, Familien und Radfahrer gibt es besondere Angebote.

Offiziell gibt man sich beim staatlichen Bahn-Riesen gelassen. Man sei Konkurrenz auf der Schiene schließlich gewohnt, heißt es in der Berliner Zentrale ohne näheren Kommentar. Allerdings fast nur im Regionalverkehr: Bei Fernzügen ist Locomore aktuell erst der zweite private Herausforderer nach dem HKX zwischen Hamburg und Köln. Dieser startete 2007 und wurde bislang nicht erweitert. Privater Fernverkehr ist ein schwieriges Geschäft: Erst vor zwei Jahren gab die Firma Interconnex ihre Linie Warnemünde-Leipzig aus Kostengründen auf.

Der einst auch am HKX beteiligte Verkehrsexperte Ladewig hat für Locomore aber weiter reichende Pläne. Bei der Vergabe der Rahmenfahrpläne im deutschen Bahnnetz hat sich das Unternehmen bis 2020 weitere Trassen gesichert, die München, Köln-Bonn, das Ruhrgebiet und Binz auf Rügen in das kleine Netz einbinden würden. Aber erst einmal muss der Pilotzug Geld einfahren, denn einen duldsamen Investor haben die Bahn-Herausforderer nicht im Rücken.

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA vor Energieumbruch: Strom wird zum neuen Öl – und zur nächsten geopolitischen Baustelle
11.05.2025

Ein fundamentaler Wandel zeichnet sich in der US-Wirtschaft ab: Elektrizität verdrängt Öl als Rückgrat der nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bill Gates verschenkt Vermögen – Symbol einer neuen Weltordnung oder letzter Akt der alten Eliten?
11.05.2025

Bill Gates verschenkt sein Vermögen – ein historischer Akt der Großzügigkeit oder ein strategischer Schachzug globaler Machtpolitik?...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft „Made in America“ wird zur Hypothek: US-Marken in Europa auf dem Rückzug
11.05.2025

Eine neue Studie der Europäischen Zentralbank legt nahe: Der Handelskrieg zwischen den USA und der EU hat tiefgreifende Spuren im...

DWN
Finanzen
Finanzen Tech-Börsengänge unter Druck: Trumps Handelskrieg lässt Startup-Träume platzen
10.05.2025

Schockwellen aus Washington stürzen IPO-Pläne weltweit ins Chaos – Klarna, StubHub und andere Unternehmen treten den Rückzug an.

DWN
Finanzen
Finanzen Warren Buffett: Was wir von seinem Rückzug wirklich lernen müssen
10.05.2025

Nach sechs Jahrzehnten an der Spitze von Berkshire Hathaway verabschiedet sich Warren Buffett aus dem aktiven Management – und mit ihm...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber kaufen: Was Sie über Silber als Geldanlage wissen sollten
10.05.2025

Als Sachwert ist Silber nicht beliebig vermehrbar, kann nicht entwertet werden und verfügt über einen realen Gegenwert. Warum Silber als...

DWN
Technologie
Technologie Technologieinvestitionen schützen die Welt vor einer Rezession
10.05.2025

Trotz der weltweiten Handelskonflikte und der anhaltenden geopolitischen Spannungen bleibt die Nachfrage nach Technologieinvestitionen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Starbucks dreht den Spieß um: Mehr Baristas statt mehr Maschinen
10.05.2025

Starbucks gibt auf die Maschinen auf: Statt weiter in teure Technik zu investieren, stellt das Unternehmen 3.000 Baristas ein. Nach...