Politik

Die Arbeiter vergessen: Sozialdemokraten in Europa sterben aus

Die Sozialdemokraten verlieren in Europa dramatisch an Bedeutung - weil sie nicht mehr entschieden für die Arbeiter kämpfen. (Dieser Artikel ist nur für Abonnenten zugänglich)
16.05.2017 00:47
Lesezeit: 2 min

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Die verheerende Schlappe der SPD in Nordrhein-Westfalen ist der jüngste Hinweis auf einen internationalen Trend: Sozialisten und Sozialdemokraten sterben als Parteien aus. Ein Blick auf die Länder in Europa zeigt: Es gibt fast flächendeckend Abstürze, die oft in die Bedeutungslosigkeit führen.

Die Gründe sind vielfältig, doch ein Hauptgrund dürfte entscheidend sein: Die Sozialdemokraten haben sich im Zuge der Veränderungen in der Gesellschaft von reinen Arbeiterparteien zu Parteien der Mittelschicht entwickelt. Diese Mittelschicht wiederum ist, anders als noch vor 20 Jahren, bereit, immer wieder andere Parteien zu wählen. Die ideologische Verankerung spielt keine Rolle mehr.

Die meisten Sozialdemokraten haben die Arbeiter und ihre Interessen aus den Augen verloren. Dies ist auf die Integration der Gewerkschaften in die Partei-Apparate und damit in das jeweilige politische Establishment zurückzuführen. Gerade in einer Zeit der rasanten technologischen Veränderungen wären kämpferische, unbeugsame Gewerkschaftsführer notwendig. In Deutschland hat die innerbetriebliche Mitbestimmung dazu geführt, dass Mitarbeiter und Geschäftsleitung im Mittelstand gemeinsam für das Wohl des Unternehmens und der Beschäftigten kämpfen. Bei den großen Konzernen dagegen sind die Betriebsräte durch ihren Status viel zu nahe am Management. Der DGB etwa ist so integriert, dass die Gewerkschaft im Streit um die Freihandelsabkommen TTIP und CETA die Hauptgefahren – Lohndumping und Verlust von Arbeitsplätzen – nicht erkannte, obwohl unabhängige Studien eine eindeutige Sprache sprechen.

Ebenfalls nicht vertreten sind die Interessen der Arbeitslosen, insbesondere der Jugendlichen und der Leiharbeiter. Daher bekommen radikale rechte und linke Parteien Zuspruch – aber nicht die Sozialdemokraten.

Die Führung der Sozialdemokraten hat sich in den meisten Ländern mit ihrem Schicksal abgefunden. Der französische Präsident Emmanuel Macron ging sogar soweit, eine Parallel-Struktur aufzubauen, und sagte öffentlich, dass die Sozialisten in Frankreich für immer von der politischen Bühne verschwinden werden.

Martin Schulz, der SPD-Kanzlerkandidat, würde so weit nicht gehen. Doch auch er lieferte am Montag in einem ZDF-Interview ein Beispiel, warum die SPD kein Profil hat. Schulz lobte Bundeskanzlerin Angela Merkel und sagte: „Ich glaube, dass ich mir von Angela Merkel die innere Ruhe, die sie hat, abschauen kann. Die habe ich manchmal nicht so sehr, aber in zunehmendem Maße. Was ich mir nicht von Angela Merkel abschauen möchte, ist die Passivität, mit der sie die Alltagsprobleme der Menschen in Deutschland betrachtet.“

Einige Beispiele der dramatischen Abwärtsspirale, in der sich Sozialisten und Sozialdemokraten befinden:

Deutschland

SPD

Höhepunkt: Wahl 1972 mit 45,8 Prozent

Star des Höhepunkts: Willy Brandt

Tiefpunkt: Wahl 2013 mit 25,7 Prozent

Österreich

SPÖ

Höhepunkt: Wahl 1979 mit 51 Prozent

Star der Partei: Bruno Kreisky

Tiefpunkt: Wahl 2008 mit 29,3 Prozent

Italien

Partido Democratico (PD)

Höhepunkt: Wahl 2008 mit 33,09 Prozent

Star: Walter Veltroni

Tiefpunkt: Wahl 2013 mit 25,48 Prozent

Großbritannien:

Labour Party

Höhepunkt: Wahl 1997 mit 43,2 Prozent

Star: Tony Blair

Tiefpunkt: Wahl 2010 mit 29 Prozent

Frankreich:

Parti Socialiste (PS)

Höhepunkt: Präsidentschaftswahl Wahl 1988 mit 54 Prozent

Star: Francois Mitterand

Tiefpunkt: Wahl 2017 mit 6,4 Prozent

Portugal:

Partido Socialista (PS)

Höhepunkt: Wahl 2005 mit 45 Prozent

Star: Jose Socrates

Tiefpunkt: Wahl 2011 mit 28,05 Prozent

Spanien:

Die sozialistische PSOE

Höhepunkt: 1982 mit 48,1 Prozent

Star: Felipe Gonzalez

Tiefpunkt: Wahl 2015 mit 22,0 Prozent

Griechenland:

PASOK

Höhepunkt: Wahl 1981 mit 48,07 Prozent

Star: Andreas Papandreou

Tiefpunkt: Wahl Januar 2015 mit 4,68 Prozent

Schweden:

Die schwedische Arbeiterpartei SAP

Höhepunkt: Wahl 1968 mit 50,1 Prozent

Stars: Olof Palme/Tage Erlander

Tiefpunkt: Wahl 2014 mit 32 Prozent

Dänemark:

Die dänische Partei Socialdemokrateren

Höhepunkt: Wahl 1960 mit 42,1 Prozent

Star: Viggo Kampmann

Tiefpunkt: Wahl Wahl 2011 mit 24,8 Prozent

Türkei:

Die sozialdemokratische CHP

Höhepunkt: Wahl 1977 mit 41,38 Prozent

Star: Bülent Ecevit

Tiefpunkt: Wahl 1999 mit 8,71 Prozent

Israel:

Die israelische Arbeiterpartei Avoda

Höhepunkt: Wahl 1969 mit 46,2 Prozent

Star: Jigal Allon

Tiefpunkt: Wahl 2009 mit 9,93 Prozent

Belgien:

Die Parti Socialiste (PS)

Höhepunkt: Wahl 1987 mit 15,66 Prozent

Star: Guy Spitaels

Tiefpunkt: Wahl 1999 mit 10,26 Prozent und Wahl 2014 mit 11,67 Prozent

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