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Papst-Experte zum Rücktritt: „Ratzinger war im Vatikan völlig isoliert“

Lesezeit: 3 min
14.02.2013 23:44
Der italienische Star-Journalist Gianluigi Nuzzi ist überzeugt: Papst Benedikt XVI. ist zurückgetreten, um ein Zeichen gegen die Missstände im Vatikan zu setzen. Als Theologe habe er sich überfordert gefühlt, die wirtschaftlichen Probleme des Kirchenstaats zu lösen. Er habe in der Kurie keine Freunde gehabt. Sein Nachfolger müsse nun vor allem die von Skandalen erschütterte Vatikan-Bank reformieren.
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Für Gianluigi Nuzzi steht fest: Der Papst ist nicht aus Alters- oder Krankheitsgründen zurückgetreten, wie dies die offizielle Formulierung vorgibt. Der Papst aus Deutschland ist an den verheerenden Zuständen im Vatikan gescheitert (hier). Nuzzi sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: „Der Papst hat sich vollkommen überfordert gefühlt. Ratzinger hat erkannt, dass die römische Kurie vollkommen deformiert ist. Er hat gesehen, dass es nur mit einer enormen Kraftanstrengung gelingen kann, den Vatikan zu reformieren. Und er war der Überzeugung, dass die Reform von höchster Dringlichkeit ist. Mit seinem Rücktritt hat er ein sehr starkes Zeichen gesetzt: Es muss einen kompletten Neuanfang geben.“

Der Papst aus Oberbayern hat mit seinem spektakulären Schritt einen Weg gewählt, der ihm innerhalb der römischen Intriganten-Fraktion auch süffisant vorgeworfen wird. Der ehemalige Sekretär von Papst Johannes Paul II. und heutige Kardinal von Krakau, Stanislaw Dziwisz, sagte, dass der Papst aus Polen bis zum bitteren Ende durchgehalten habe, „weil man nicht vom Kreuz herabsteigt“ (mehr zum Machtkampf im Vatikan - hier).

Viele der wirtschaftlichen Probleme im Vatikan gehen auf das Feudal-Regime von Karol Wojtyla zurück. Die desaströse Lage der kirchlichen Finanzen haben Ratzinger am Ende am meisten zu schaffen gemacht. Nuzzi: „Ratzinger ist ein Theologe. Er versteht im Grunde nichts vor Wirtschaft.“ Gegen Ende seiner Regentschaft scheinen die aus den Fugen geratenen Finanzen den Papst schließlich in die Resignation getrieben zu haben. Nuzzi: „Das größte Problem ist die Vatikan-Bank IOR. Die EU fordert Transparenz, weil die Geldwäsche-Praktiken gegen jedes internationale Recht verstoßen. Bei der IOR sind Konten aufgetaucht, die keinen Priestern oder Ordensschwestern zugeordnet werden können. Das IOR ist eigentlich nur für diese Personen da. Solche Geheimkonten stellen ein enormes Risiko für den Vatikan dar, weil man nicht weiß, ob da Geldwäsche betrieben wird.“ Der Sprecher des Vatikan, Federico Lombardi, bestätigte am Donnerstag, dass ein neuer Chef der Vatikan-Bank noch vor dem endgültigen Ausscheiden von Benedikt XVI. ernannt werden soll. Die Position ist seit acht Monaten unbesetzt. Als Kandidaten werden Norditaliener und Schweizer Banker kolportiert (mehr zum Desaster der Vatikan-Bank - hier).

Ein weiterer Problembereich besteht darin, dass es keine einheitlichen Bilanzierungs-Regeln in der Kirche gibt. Nuzzi: „De facto kann im Moment niemand einen Überblick haben, es gibt keine Transparenz. Die Bilanzierungs-Regeln müssen weltweit vereinheitlicht werden. Da ist Ärger programmiert, weil das ein gewaltiges Unterfangen ist.“

Insgesamt hat sich die Situation um die Vatikan-Finanzen durch die Krise verschlechtert: „Die reichen katholischen Länder, vor allem Spanien und Italien, spenden weniger. Die Einnahmen gehen zurück, weshalb auch die Ausgaben gekürzt werden müssen.“ Nuzzi glaubt nicht, dass die Kirche finanziell in ihrer Existenz bedroht ist: „Die katholische Kirche ist immer noch sehr reich. Sie wird nicht pleitegehen. Aber sie kann nicht mehr so weiter wirtschaften wie bisher.“

Papst Benedikt XVI. sei vor allem resigniert, weil in der Kurie brutale Machtkämpfe toben. Es sei dem Papst nicht gelungen, die streitenden Kirchenfürsten zu trennen. Vor allem sein Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone habe ein Netzwerk von Seilschaften aufgebaut und betreibe undurchsichtige Geschäfte mit „zweifelhaften Figuren“. Der Papst habe Bertone nicht gestoppt, „weil er ein alter Weggefährte von Ratzinger ist“. Die Treue des Papstes zu einem Mann, der ihm offenkundig schadet, hat Nuzzi erstaunt: „Die beiden passen eigentlich nicht zusammen. Ratzinger ist ein feinsinniger Intellektueller, ein Hirte. Bertone kennt die Kurie in- und auswendig, ist mit allen Wassern gewaschen. Er hat es immer wieder geschafft, dass der Papst seine schützende Hand nicht über ihm wegzieht.“

Ratzingers Hauptproblem sei jedoch gewesen, dass er völlig auf sich gestellt gewesen sei. Nuzzi, der in seinem Buch „Seine Heiligkeit“ anschaulich beschreibt, wie der Papst seine privaten Mahlzeiten stets mit dem kleinen Team von engen Mitarbeitern abhält, glaubt, dass Ratzinger „in der Kurie völlig isoliert“ war: „Er war sehr einsam. Er hatte keine Freunde im Vatikan.“

Der Nachfolger von Benedikt XVI. müsse nun ein Pragmatiker sein, der endlich die Reformen in der Finanzverwaltung umsetzt. Nuzzi ist sich zwar nicht sicher, ob das Konklave den richtigen wählen wird: „Eine Zwei-Drittel-Mehrheit, wie sie für den neuen Papst nötig ist, ist immer unberechenbar.“ Aber der Journalist, der in seinem ersten Buch „Die Vatikan AG“ den wirtschaftlichen Apparat der katholischen Kirche durchleuchtet hat, glaubt, dass die Kirche auch diese Krise überstehen wird.

Gianluigi Nuzzi arbeitet als investigativer Journalist bei der italienischen Zeitschrift „Panorama“, zuvor war er für die Tageszeitungen „Corriere della Sera“ und „Il Giornale“ tätig. Seit 1994 verfolgt er die Polit- und Finanzskandale Italiens. Im Frühjahr 2008 erhielt er Zugang zum Geheimarchiv Monsignor Dardozzis.

Bücher:

Vatikan AG - Ein Geheimarchiv enthüllt die Wahrheit über die Finanz- und Politskandale der Kirche, 360 Seiten, Ecowin-Verlag, 22,50 Euro

Seine Heiligkeit - Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI., 416 Seiten, Piper-Verlag, 22,99 Euro

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