Politik

Volksparteien zertrümmert: Deutschland fast unregierbar

Die historischen Niederlagen der großen Volksparteien machen Deutschland unregierbar. Der Grund liegt in Bayern, wo die AfD die CSU in eine existentielle Krise gestürzt hat.
25.09.2017 02:04
Lesezeit: 3 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Bisher hat man der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel nach jeder Wahl vorgeworfen, dass sie ihren jeweiligen Koalitionspartner geschwächt hat. Mit dem Wahlergebnis zur Bundestagswahl zeigt sich: Nicht nur die SPD muss daran glauben, sondern auch die Union – und zwar sowohl die CDU als auch die CSU. Merkels Konzept, die jeweils zentralen Programmpunkte der anderen Parteien der Union einzuverleiben, hatte der Union bisher stets zum Vorteil gereicht.

Am Sonntag hat die Union fast neun Prozentpunkte verloren – eine historische Schlappe. Ebenfalls ein Debakel wurde aus Bayern gemeldet, wo die CSU unter 40 Prozent gefallen ist.

Merkel dürfte die AfD unterschätzt haben. Sie konzentrierte sich auf die Grünen und die SPD und versuchte, diesen Parteien mit rot-grünen Kernthemen wie der Ehe für alle das Wasser abzugraben. Die AfD, so war das Kalkül bei SPD und CDU, werde man geschlossen in die Nazi-Ecke schieben. Fast dankbar wurde jedes Stöckchen aufgegriffen, dass sich aus den Rülpsern vom rechten AfD-Rand bot.

Das Thema Flüchtlinge und Migration wollten die Union und die SPD dagegen mit den Argumenten der AfD abhandeln: Die Töne gegen Ausländer waren scharf und undifferenziert. Ohne Not attackierte Merkel beim TV-Duell sogar die Deutsch-Türken, auch Martin Schulz wetterte gegen die Deutsch-Türken los – obwohl diese Gruppe mit der jüngsten Migrationsbewegung nichts zu tun hat. Doch Merkel fuhr eine Doppelstrategie: Sie betonte zum Ende des Wahlkampfs, dass sie alles wieder so machen würde wie im Herbst 2015. Diese Botschaft war an die die rot-grünen Wähler gerichtet: Merkel hat in ihrer gesamten Amtszeit die CDU links von der Mitte positioniert und wollte bei dieser Wahl den Schlussstein zu ihrer langjährigen Strategie setzen.

Doch der Spagat ist nicht gelungen: Die rot-grünen Wähler haben, wie auch die konservativen Wähler, die Eiertänze der Großen Koalition durchschaut. Sie haben die FDP, die Grünen oder die Linkspartei gewählt, während die bürgerlich-konservativen Wähler zu AfD gewandert sind. Eine Million Wähler hat die Union an die AfD verloren. Das geht an die Substanz.

Am Wahlabend spielten sowohl Merkel als auch Ursula von der Leyen und Kanzleramtschef Peter Altmaier das Unions-Desaster herunter. Die offizielle Sprachregelung zu minus 9 Prozent: Klar wäre etwas mehr schön gewesen, aber die Schlappe ist nicht so schlimm. Wir haben unsere wichtigsten Wahlziele erreicht, nämlich wieder stärkste Fraktion zu werden und damit den Auftrag zur Regierungsbildung zu erhalten und zugleich sicherzustellen, dass gegen uns keine Regierung gebildet werden kann.

Das Problem: Merkels CDU ist nicht, wie von ihr erwartet, eine links-grün-konservative Volkspartei geworden. Merkel hat zwar die Inhalte der anderen Parteien abgesaugt – doch die Wähler sind zu den anderen Parteien gegangen – nicht zur CDU. Damit hat Merkel die Union nicht breiter gemacht, sondern extrem verengt, weil sie zugleich die klassischen Konservativen des früheren Berliner Kreises an die AfD verloren hat. Alexander Gauland ist das beste Beispiel dafür: Er war jahrzehntelang CDU-Mann – und wurde in der Union ausgegrenzt wie die Euro-Kritiker Willsch und Bosbach.

Merkels gescheiterte Strategie vom Aufbau einer links-grün-konservativen Volkspartei in der Mitte hat dazu geführt, dass Deutschland aktuell so gut wie unregierbar ist.

Nach der Ankündigung der SPD, in die Opposition gehen zu wollen – was angesichts der inhaltlichen Auszehrung der Partei eine richtige Entscheidung wäre – bleibt angeblich nur eine sogenannte Jamaica-Koalition aus Schwarz-Gelb-Grün. Das Problem in dieser Konstellation ist nicht die theoretische Unverträglichkeit von FDP und Grünen. Die Meinungsmacher in beiden Parteien sind radikale Opportunisten und könnten sich in jedweder Koalition einreihen.

Doch Merkel wird von dem eingeholt, was viele für ihren Sündenfall halten: Der Marginalisierung der Konservativen. Diese sind in Gestalt der CSU plötzlich unter massivem Druck. Im kommenden Jahr ist in Bayern Landtagswahl. Horst Seehofer hat längst seinen Zenit überschritten und mit seiner taktisch unausgereiften Obergrenzen-Diskussion die AfD in Bayern stark gemacht.

Der CSU ist aber klar geworden, dass sie sich, um die AfD wieder aus Bayern zu vertreiben, klar rechts von der Mitte positionieren muss. Das ist vollkommen unvereinbar in einer Koalition mit den Grünen. Es ist so gut wie unvereinbar mit einer FDP. Das bezieht sich nicht nur auf die Frage der Zuwanderung. Auch in den Fragen der Familienpolitik, der Energiepolitik oder des Verhältnisses zu Russland können sich CSU und Grüne nicht einigen, ohne dass die CSU an die AfD verliert. Die CSU wird überdies einen Spitzenkandidaten brauchen, der, wie Österreichs Sebastian Kurz, die AfD beim Thema Migration entzaubern kann. Karl Theodor zu Guttenberg ist dieser Charakter eher nicht.

Merkels bisherige politische Strategie hat auf Entideologisierung durch eine Art des politischen Synkretismus geführt. Das ist an sich kein schlechtes Konzept. Doch 12 Jahre an der Macht haben die CDU korrumpiert. Die Parteileute können nicht mehr erkennen, wo die eigene Beliebigkeit die Kernwähler vertreibt. Die AfD hat diesen „deplorables“ eine Alternative geboten, weil die CSU nicht in der Lage war, sich in der Union durchzusetzen.

Nun sind die Wähler weg. Merkel hat zwar mit dem ersten Platz den Anspruch erworben, Kanzlerin zu werden. Weil aber die Volksparteien in Trümmern liegen, stellt sich die Frage, ob dieser Anspruch nicht nur ein Muster ohne Wert ist. Es ist denkbar, dass Deutschland den Weg der Niederlande oder Spaniens gehen wird: Dieser bedeutet, dass das Land monatelang provisorisch regiert wird, bis am Ende eine Neuwahl unausweichlich ist.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Putins Parade: Moskau feiert "Tag des Sieges" – Europas Spaltung auf dem Roten Platz sichtbar
09.05.2025

Während Putin mit Pomp den „Tag des Sieges“ feiert, marschieren zwei europäische Regierungschefs an seiner Seite – trotz Warnungen...

DWN
Panorama
Panorama Der stille Anti-Trump? Internationale Reaktionen auf Papst Leo XIV.
09.05.2025

Mit der Wahl von Robert Francis Prevost zum neuen Oberhaupt der katholischen Kirche übernimmt erstmals ein Amerikaner das Papstamt. Welche...

DWN
Finanzen
Finanzen Allianz-Aktie nach Dividendenabschlag im Minus – Chance für Anleger?
09.05.2025

Die Allianz-Aktie zählt 2025 zu den Top-Performern im DAX – doch am Freitagmorgen sorgt ein deutlicher Kursrückgang für Stirnrunzeln...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch zur Eröffnung am Freitag
09.05.2025

Zum Handelsbeginn am Freitag hat der DAX ein frisches DAX-Rekordhoch erreicht. Die im April gestartete Erholungswelle nach dem ersten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Insolvenzen in Deutschland steigen nur noch geringfügig an - ist das die Trendwende?
09.05.2025

Der Anstieg der Insolvenzen in Deutschland hat sich im April deutlich verlangsamt. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Monatsvergleich...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie profitiert von starkem Jahresauftakt - und nun?
09.05.2025

Die Commerzbank-Aktie hat zum Start in den Börsenhandel am Freitag leicht zugelegt. Das deutsche Geldhaus überraschte mit einem...

DWN
Politik
Politik Zweite Kanzlerreise: Erwartungen an Merz in Brüssel steigen
09.05.2025

Nur drei Tage nach seinem Amtsantritt ist Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu seiner zweiten Kanzlerreise aufgebrochen – Ziel ist...

DWN
Technologie
Technologie Meta trainiert KI mit Ihren Daten – ohne Ihre Zustimmung. So stoppen Sie das jetzt!
09.05.2025

Ab dem 27. Mai analysiert Meta öffentlich sichtbare Inhalte von Facebook- und Instagram-Nutzern in Europa – zur Schulung seiner...