Politik

Putin beendet Erdogans Großmacht-Pläne in Syrien

Lesezeit: 14 min
14.11.2017 00:42
Russlands Präsident Putin hat durch militärischen Einsatz, diplomatische Initiativen und wirtschaftliche Anreize die Großmacht-Pläne des türkischen Präsidenten Erdogan in Syrien beendet.

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Der russische Präsident Wladimir Putin hat bei einem Treffen mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan die veränderte Rolle der Türkei im Syrien-Krieg gewürdigt. Putin sagte: „Ich möchte mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, dass unsere gemeinsame Arbeit mit der Türkei und dem Iran als Garantiemächte des Astana-Prozesses weiterhin konkrete Ergebnisse liefert. Das Ausmaß der Gewalt hat sicherlich abgenommen und günstige Bedingungen für die Förderung des intersyrischen Dialogs geschaffen, der unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen stattfinden soll.“

Putin betonte das gemeinsame Statement von Russland und den USA zur Beendigung des Krieges in Syrien: In dem gehe es unter anderem darum, die Terrormiliz Islamischer Staat endgültig zu besiegen und die syrische Souveränität zu wahren, sagte Putin nach rund vierstündigen Gesprächen mit Erdogan am Montagabend in Sotschi. Im Astana-Prozess, der auch von der syrischen Regierung mitgetragen wurde, ist unter anderem vereinbart, dass neben dem IS auch die al-Nusra-Front von den weniger gewaltbereiten Gruppen getrennt und entwaffnet werden müsse. Vor allem gegen die Entwaffnung der al-Nusra hatte sich die US-Regierung lange gewehrt. Doch mit der Beendigung der Finanzierung islamistischer Söldner durch eine Verfügung von US-Präsident Trump hat sich das Blatt auch am Boden grundlegend gewendet. Zuvor hatten die Russen die Kontrolle über den Luftraum übernommen.

Russland und die USA hatten das Papier am Rande des Apec-Gipfels in Vietnam am Wochenende aufgesetzt. Erdogan hatte die Erklärung vor dem Treffen mit Putin zunächst kritisiert. Wenn es für Syrien keine militärische Lösung gebe, wie es in dem Papier heiße, dann sollten Russland und die USA auch ihre Truppen von dort abziehen. Nun sagte Erdogan jedoch lediglich, die Türkei halte die Erklärung für wichtig.

Die Türkei kann in der Region keine eigenmächtige Rolle mehr spielen, weil Russland und die USA kooperieren. Erdogan ist auch persönlich unter Druck, weil in den USA ein Prozess beginnt, der auch Erdogan wegen des Vorwurfs der Korruption in Schwierigkeiten bringen könnte.

Putin und Erdogan sprachen sich für weitere Bemühungen um eine politische Lösung des Syrien-Konflikts aus. Einen geplanten Kongress der Völker Syriens thematisierten die beiden Staatschefs in der Pressekonferenz nicht. Russland will auf diesem Kongress über eine Nachkriegsordnung für das in weiten Teilen zerstörte Land beraten lassen. Dazu soll allerdings auch die syrische Kurdenpartei PYD eingeladen werden, die von Ankara als Teil der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK bekämpft wird.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte der Agentur Anadolu zufolge am Rande des Treffens, die Türkei sei nicht gegen die Konferenz. „Allerdings ist die Qualität des Kongresses wichtig. Es darf keine Terrorgruppe eingeladen werden.“

Neben der Syrien-Krise nutzten Putin und Erdogan ihr Treffen für einen neuerlichen Schulterschluss vor allem in Handelsfragen. Nach der langen Eiszeit zwischen Russland und der Türkei betonte Erdogan mehrmals, dass er die Verbesserung der Beziehungen begrüße und dankte seinem „geehrten Freund“ Putin für die Gastfreundschaft.

Der türkische Präsident rief dazu auf, alle Sanktionen gegen die Türkei vollständig aufzuheben und die Visabeschränkungen für türkische Staatsbürger zu beenden. Wegen des Abschusses eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe 2015 hatte Russland etwa die Einfuhr von Tomaten aus der Türkei verboten und weitere Sanktionen gegen das Land verhängt. Zuletzt hatte Russland nach fast zwei Jahren den Import türkischer Tomaten wieder erlaubt.

Putin sagte, sie hätten darüber gesprochen, weitere Beschränkungen zu beenden. Zudem sprachen sie über das geplante Atomkraftwerk Akkuyu in der Türkei, an dessen Bau der russischen Konzern Rosatom beteiligt ist. Der erste Reaktor solle 2023 starten, sagte er.

Es war bereits das fünfte Treffen von Putin und Erdogan in diesem Jahr. Zuletzt hatte Putin Ende September Ankara besucht.

Mit dem neuerlichen Treffen scheint klar zu sein, dass es Russland gelungen sein dürfte, die Alleingänge der Türkei in Syrien zu beenden und eine territoriale Ausweitung der Türkei auf syrisches Staatsgebiet zu unterbinden. Noch zu Beginn des Krieges hatte die Türkei verlauten lassen, dass sie auf Nord-Syrien Anspruch erhebe. Neben dem Kampf gegen die Kurden der YPG, die die Türkei als Verbündete der PKK sieht und als „Terroristen“ einstuft, wollte Erdogan mit seinen Initiativen an eine alte osmanische Imperial-Idee anknüpfen.

Doch die Intervention der Russen machte die Pläne zunichte. Putin und vor allem sein Außenminister Sergej Lawrow setzten neben dem Militär auf Diplomatie und wirtschaftliche Kooperation, um eine Eskalation des gesamten Konflikts zu verhindern. Die Eindämmung der türkischen Ambitionen ist bemerkenswert, weil Putin ihn noch vor zwei Jahren des Islamismus bezichtigt hatte. Russland hatte unter anderen Belege vorgelegt, die zeigen sollten, dass die Erdogan-Familie von Öl-Geschäften mit dem IS profitiert hat.

Putins Türkei-Strategie

Obwohl die türkische Regierung gegen die Intervention Russlands in Syrien gewesen ist, machte der russische Präsident Wladimir Putin diplomatische, militärische und wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten auf die Türkei geltend, um die Regierung von Ankara von ihrem Kurs in Syrien abzubringen.

Militärisch/Strategisch:

Putin und die russischen Regierungsmitglieder haben sich bisher mit offenkundigen Unterstützungen für die Kurden-Milizen in Syrien zurückgehalten. Diese werden derzeit von den USA unterstützt. Russland hat sich bisher offiziell für die territoriale Integrität Syriens eingesetzt, was sowohl im Interesse der Türkei als auch Syriens ist. Denn die türkische Regierung befürchtet, dass durch die Spaltung Syriens im Norden des Landes ein Kurden-Staat entsteht, der die türkische Grenzregion destabilisieren könnte.

Die Türkei hat seit der Intervention der Russen in Syrien ihre Unterstützung für Gruppen in Syrien, die die Assad-Regierung bekämpfen, nach und nach zurückgezogen. Im Gegenzug durfte die Türkei die „Operation Euphrats Shield” im Norden Syriens durchführen, um einen kurdischen Korridor bis ans Mittelmeer zu verhindern. Auch hier deckten sich die Interessen Syriens und der Türkei.

Russland hat durch dieses politische Manöver erreicht, dass sich die Türkei von ihren Großmacht-Träumen distanziert. Ankara unternimmt auch mittlerweile keine Bestrebungen mehr, um Assad zu stürzen. Stattdessen konzentriert sich das Land auf die Sicherung der Peripherie entlang der türkischen Grenzen. Hinzu kommt, dass Russland der Türkei anbietet, das Luftabwehrsystem S-400 zu kaufen, damit die Türkei ihren Luftraum schützen kann. Die Türkei verfügt über kein Luftabwehrsystem. Ankara und Moskau haben sich zwar bereits auf eine Lieferung geeinigt, unklar bleibt jedoch, ob die Lieferung erfolgen wird, zumal sowohl die NATO als auch die USA gegen den Deal sind.

Diplomatie:

Durch die Einbindung der Türkei in die Friedensgespräche von Astana erklärte sich Russland auch offiziell bereit, die Türkei als Macht in der Lösung des Syrien-Konflikts anzuerkennen. Im Gegenzug wurde der Türkei eine verantwortungsvolle Aufgabe aufgetragen: Das türkische Militär trifft Vorbereitungen für eine großangelegte Offensive auf die syrische Provinz Idlib, die von der radikalen Söldner-Truppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS) besetzt wird. HTS ist der Nachfolger der al-Nusra-Front. Nach einer Vereinbarung zwischen Ankara, Moskau und Teheran wird das türkische Militär die Provinz Idlib mit Bodentruppen säubern, während Russland Unterstützung mit seiner Luftwaffe leistet. Zudem sollen Russland und Syrien die Grenzen der Provinz Idlib sichern, um eine mögliche Flucht der HTS-Kämpfer zu verhindern.

HTS hatte zuvor bekannt gegeben, dass sie gegen Russland, die Türkei und den Iran ist und die Friedensgespräche von Astana nicht anerkennt. Nach Angaben des Middle East Monitors plant die Türkei, acht Militärstützpunkte im Norden von Idlib zu errichten. Russland, die Türkei und der Iran wollen syrische De-Eskalationszonen errichten. Eine De-Eskalationszone soll Idlib umfassen.

Wirtschaft:

In der türkischen Außenpolitik ist seit der russischen Intervention in Syrien ein klarer Richtungswechsel zu beobachten. Dies ist nicht zuletzt den russischen Sanktionen zu verdanken, die nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe am 24. November 2015 verhängt wurden. Nach einem Bericht von Bloomberg sind viele türkische Landwirtschaftsbetriebe aufgrund der russischen Importverbote in Bedrängnis geraten. Insbesondere türkische Tomatenzüchter leiden unter dem Ausfall ihres vormals größten Kunden.

Insgesamt sind im Zuge der russischen Sanktionen Verbote für die Einfuhr von Geflügel (Huhn und Pute), Tomaten, Gurken, Trauben, Äpfel, Birnen und Erdbeeren erlassen worden. Der russische Markt ist im Jahr 2015 mit einem jährlichen Volumen von etwa 260 Millionen Dollar der mit weitem Abstand wichtigste Absatzmarkt für türkische Tomaten gewesen. Dahinter folgte mit etwa 18 Millionen Dollar Rumänien. Im vergangenen Jahr sanken die Exporte nach Russland auf Null.

Russland hat der Türkei versprochen, die Agrarsanktionen nach und nach aufheben zu wollen. Im Juni 2017 begann Russland damit. Doch die Tomaten-Sanktionen werden weitgehend beibehalten, da Russland seine eigene Tomatenproduktion erhöhen will, berichtet The Daily Sabah. Der russische Vizepremier Arkady Dvorkovich sagte dazu, dass es durchaus Ausnahmegenehmigungen für den Import von türkischen Tomaten geben könnte. Allerdings stehe der Import von Tomaten in hohen Mengen nicht auf der Agenda Russlands, zitiert die Hürriyet den russischen Vize-Premier.

Türkisch-russische Geschichte

Der türkische Historiker Ilber Ortayli hatte kurz nach dem Abschuss des russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe im Jahr 2015 davor gewarnt, dass die westlichen Staaten Russland und die Türkei gegeneinander aufbringen wollen, um im Nahen Osten in Ruhe neue Grenzen zu ziehen, berichtet CNN Türk. Ortayli agierte nach dem Jet-Vorfall als Vermittler zwischen der Türkei und Russland.

Verständnis äußert Ortayli für die russischen Interventionen in Syrien und auf der Krim. Zur Krim sagte er im Januar 2017 auf einer Konferenz: „Russland ist eine Realität auf der Krim. Das muss akzeptiert werden (...). Da keiner von uns weder Sultan Mehmet II. oder Sultan Suleiman ist, muss man sich eben mit Putin einigen, um unserer kulturelle Minderheit auf der Krim zu schützen. Stattdessen verfallen sie (Anm. d. Red. die Regierung) in Träumereien und treffen sich mit Merkel, um die Ukraine-Krise zu besprechen. Was zur Hölle kann Merkel in der Ukraine tun?”

Ortayli ist auch der Ansicht, dass Russland niemals auf seine Stützpunkte in Syrien verzichten wird. „Wenn die Briten auf Zypern einen Stützpunkt haben, dann errichten die Russen auch in Syrien Stützpunkte”, so Ortayli.

Der türkische Historiker schreibt in einem Artikel der Zeitung Milliyet, dass die Türkei ihre Interessen in Syrien in jeglicher Hinsicht nur durch Absprachen mit Russland lösen könne. Der Westen sei in Bezug auf Syrien der falsche Ansprechpartner.

Der türkisch-amerikanische Analyst Soner Cagaptay vom Washington Institute for Near East Policy (WINEP) ist der Ansicht, dass eine türkisch-russische Zusammenarbeit auf Dauer nicht funktionieren könne. Während des 18. und 19. Jahrhunderts konnte Russland nicht nur den Eroberungen durch das Osmanische Reich ausweichen, sondern dieses auch mehrmals besiegen, wobei einige der Kriege von Russland selbst angestiftet wurden. Darüber hinaus trug die russische Politik in vielerlei Hinsicht zum Niedergang des Osmanischen Reiches seit dem 19. Jahrhundert bei, so Cagaptay. Infolge der Kriege nahm Russland von den Osmanen unter anderem das Krim-Khanat (einschließlich des heutigen Südrusslands und der Ukraine), weite Teile des nördlichen und südlichen Kaukasus und riesige und oftmals türkische sowie muslimische Gebiete rund um das Schwarze Meer ein. Auf dem Balkan unterstützten die russischen Zaren die nationalistischen Bewegungen unter den Griechen, Bulgaren, Serben und Rumänen. So trugen sie dazu bei, dass sie sich vom Osmanischen Reich abspalteten, was schließlich zu einem nahezu vollständigen osmanischen Rückzug aus Europa führte.

Cagaptay wörtlich: „All das erklärt die tief verwurzelte historische Angst der Türkei vor Russland – und auch die Geschwindigkeit, mit der Ankara zu Beginn des Kalten Krieges der NATO beigetreten ist, nachdem Joseph Stalin im Jahr 1946 türkische Territorien beansprucht hatte. Seit dem Beitritt der Türkei zur NATO im Jahr 1952 war die NATO das Fundament der türkischen Sicherheit gegen Russland. Die Angst vor Russland herrscht in der Türkei auch aus persönlichen und historischen Gründen. Als die Zaren osmanische Territorien eroberten, hatten sie oftmals die türkische und muslimische Bevölkerung ethnisch gesäubert. Die Überlebenden wurden über mehrere Jahrzehnte gezwungen, in die Türkei zu flüchten. Im 19. Jahrhundert, als die Russen die nördliche Kaukasusregion von den Osmanen eroberten, vertrieben sie die einheimische tscherkessische Bevölkerung – etwa eine Million Menschen – in Länder, die noch immer unter osmanischer Kontrolle standen. Zu dieser Zeit betrug die türkisch-muslimische Bevölkerung der modernen Türkei etwa zehn Millionen. Viele andere türkische und muslimische Gruppen wie Tschetschenen aus dem nördlichen Kaukasus und Tataren aus der Krim wurden von Russland gewaltsam in das Osmanische Reich getrieben.”

Ideologischer Hintergrund:

Eine wichtige Rolle bei der Entspannungspolitik zwischen Russland und der Türkei hat der Vorsitzende der türkischen Heimatpartei (Vatan Partisi), Dogu Perincek, gespielt, berichtet Haberrus. Führende Köpfe der Heimatpartei sind ehemalige türkische Militärs, die eine enge Partnerschaft mit Russland als wichtige Komponente für die Sicherheit der Türkei einstufen. Die Heimatpartei vertritt die eurasische Idee, wonach der eurasische Raum nur stabilisiert werden könne, wenn Russland, die Türkei, Deutschland und China eine Achse bilden. Perincek meint, dass sich der türkische Staatspräsident Erdogan gezwungenermaßen aus der transatlantischen in die eurasische Ecke bewegen musste, da ihm keine Alternativen mehr blieben.

Doch auch die USA unterteilen die Gruppen in der Türkei in eurasische und transatlantische Lager. Dies geht aus einer Depesche des US-Konsulats in Istanbul aus dem Jahr 2003 hervor, die von Wikileaks veröffentlicht wurde. So gebe es innerhalb des türkischen Generalstabs drei Gruppen: Die erste Gruppe setze sich aus Transatlantikern zusammen, die der Ansicht seien, dass die strategischen Interessen der Türkei nur in einer Kooperation mit den USA und der NATO gesichert werden können. Die zweite Gruppe würde sich aus „rigiden Nationalisten” zusammensetzen, die sich der Notwendigkeit widersetzen, die Beziehungen zu den USA aufrechtzuerhalten. Diese Gruppe lehne eine EU-Kandidatur der Türkei ab und sei der festen Überzeugung, dass die USA die Gründung eines unabhängigen Staats im Nordirak unterstützen würden.

Die dritte Gruppe im Generalstab würde sich aus „Eurasiern” zusammensetzen, die eine Abwendung der Türkei von den USA hin zu Russland, dem Iran und China unterstützen. Die „Eurasier” würden die Macht-Ambitionen Russlands im eurasischen Raum unterschätzen. Diese Gruppe sei durch das „Rappallo-Syndrom” motiviert, wonach sowohl Russland als auch die Türkei „Opfer von Misshandlungen und Respektlosigkeit durch einen arroganten Westen” seien. Die „Eurasier” und „Nationalisten” seien verbündet.

Historisch betrachtet wurden die hochrangigen Militärs, die die USA als „Eurasier” und „Nationalisten” einstufen würde, ab dem Jahr 2007 im Rahmen diverser Putschisten-Prozesse gesäubert. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Beweise während der Prozesse gefälscht gewesen sind. Die Staatsanwälte, die die Prozesse geführt haben und als Mitglieder der Gülen-Bewegung gelten, sind weitgehend in die USA oder nach Deutschland geflohen. Die Staatsanwälte Celal Kara und Zekeriya Öz (Chefankläger im Putschisten-Prozess Ergenekon) befinden sich in Deutschland, berichtet die Zeitung Cumhuriyet. Dies wurde vom deutschen Justizministerium bestätigt.

Zeitachse des Syrien-Konflikts

Die Entwicklung des Syrien-Krieges zeigt, wie die Ansprüche der Türkei Schritt für Schritt zurückgefahren werden mussten.

Januar bis Ende April 2011

Ausbruch des Syrien-Konflikts durch anfängliche Demonstrationen gegen die syrische Regierung. Erste Gefechte zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppen in der Stadt Daraa und Homs. In Daraa sterben 33, in Homs 25 Personen bei Gefechten.

Der damalige türkische Außenminister Ahmet Davutoglu kam am 6. April 2011 nach Damaskus und stellt Forderungen an die syrische Regierung. Nach Angaben von Al Jazeera fordert er von Damaskus die Aufhebung des Ausnahmezustands, die Anerkennung der Identität der Kurden in Syrien und den sofortigen Stopp der Entsendung von Sicherheitskräften in die Konfliktgebiete. Assad weist Davutoglus Forderungen zurück. Am 15. August 2011 erklärt Davutoglu, dass es „nichts mehr mit der syrischen Regierung zu besprechen” gebe. Der türkische Außenminister kündigt Sanktionen gegen Syrien an. Alle wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zwischen der Türkei und Syrien sollen gekappt werden. Während der bilaterale Handel im Jahr 2010 noch bei 2,5 Milliarden Dollar lag, geht dieser nun drastisch zurück.

März bis Ende Dezember 2012

Anfang März 2012 finden erstmals Kämpfe zwischen den Söldnern der Freien Syrischen Armee (FSA) und der syrischen Armee statt, so die Jerusalem Post.

Die al-Nusra-Front verübt am 10. Mai 2017 Bombenanschläge in Damaskus. Dabei kommen 55 Menschen ums Leben. 372 weitere Personen werden verletzt, so die New York Times.

Am 22. Juni wird im türkisch-syrischen Grenzgebiet ein türkisches Flugzeug der Klasse F-4 Phantom abgeschossen. Die USA und die Türkei werfen Syrien den Abschuss des Flugzeugs vor. Der syrische Außenministeriums-Sprecher Dschihad Makdisi sagte dem Sender AHaber, dass das Flugzeug fälschlicherweise von der syrischen Luftwaffe abgeschossen wurde. Die Radare hatten das Flugzeug nicht als türkisches Flugzeug identifiziert, zitiert Habername Makdisi.

Die FSA, die al-Nusra-Front und weitere Söldner-Truppen führen landesweite Angriffe gegen Stellungen der syrischen Armee durch. Dabei sterben hunderte Soldaten und Söldner.

März bis Ende Dezember 2013

Im März stellt die syrische Regierung eine Anfrage an den russischen Rüstungskonzern Rosoboronexport, um 20.000 Gewehre der Klasse AK-47 mit 15 Millionen Stück Munition, Nachtsichtgeräte und 40mm Granatwerfer zu erhalten. In Bezug auf Waffenlieferungen an die Assad-Regierung erklärt der stellvertretende Außenminister Sergej Rjabkow, dass russische Waffen, wie etwa die S-300-Bodenabwehrraketen, tatsächlich helfen könnten, einige „Hitzköpfe“ zurückzuhalten, die diesem Konflikt eine internationale Dimension verleihen wollen, berichtet die Washington Post.

Im Juli beschießt Israel erstmals Syrien und zerstört ein Waffen-Depot der syrischen Armee. Es kommen israelische U-Boote der Klasse Dolphin zum Einsatz. Der Angriff wird gemeinsam mit den USA koordiniert, so die Jerusalem Post.

Die USA entsenden im September zwei weitere Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer, wodurch die Präsenz von US-Kriegsschiffen im östlichen Mittelmeer auf acht ansteigt. Der Konflikt erreicht eine offenkundig internationale Dimension.

März bis Ende Dezember 2014

Die USA weisen im März alle syrischen Diplomaten aus und schließen die US-Botschaft in Damaskus, so die New York Times. Einen Tag später beschießt die israelische Armee mehrere Einrichtungen des syrischen Militärs. Es kommen Panzer und Artillerie zum Einsatz. Beim Angriff kommt ein syrischer Soldat ums Leben. Sieben weitere werden verletzt, so CNN. Am 23. März schießt die türkische Luftwaffe einen syrischen Kampfjet der Klasse Mig-23 ab. „Ein syrisches Flugzeug verletzte unseren Luftraum. Unsere F-16-Jets starteten und trafen dieses Flugzeug. Warum? Denn wenn du meinen Luftraum verletzt, musst du mit einem harten Schlag unsererseits rechnen”, zitiert The Telegraph Erdogan.

Die USA, die EU, die Türkei und Israel werfen der syrischen Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Am 23. Mai legen Russland und China im UN-Sicherheitsrat ein Veto gegen einen Beschluss ein, der den Weg zur Untersuchung von „Kriegsverbrechen” in Syrien öffnen soll. Alle anderen 13 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats fordern eine Untersuchung, so die New York Times.

Am 10. September kündigt US-Präsident Obama eine großangelegte Militärkampagne gegen die Terror-Miliz ISIS an, berichtet CNN. Die Kampagne umfasst die Bewaffnung von Söldner-Truppen, die gegen die syrische Regierung kämpfen.

Am 29. September entsendet die Türkei erstmals Truppen an die türkisch-syrische Grenze. Das Grenzgebiet wurde aufgrund des Syrien-Konflikts mittlerweile komplett destabilisiert. Das türkische Parlament debattiert über einen möglichen Einmarsch in Syrien, berichtet die Hürriyet.

Am 1. Dezember setzt das United Nations World Food Program seine Nahrungs-Hilfen für 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge ein, so CBC News. Als Begründung wird genannt, dass die Geberländer ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen seien. Das United Nations World Food Program versorgte die syrischen Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syriens geflohen waren. Alleine im Dezember wurden 64 Millionen Dollar gebraucht, die allerdings nicht aufgebracht werden konnten.

Der US-Top-Diplomat Brett McGurk verkündet im Dezember, dass die Söldner in Syrien, die von den USA finanziell und militärisch unterstützt wurden, die syrische Regierung nicht militärisch besiegen können, so das Magazin Foreign Policy. Im selben Monat kündigt der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu an, „moderate syrische Rebellen” trainieren zu wollen, berichtet France24.

August bis Ende Dezember 2015

Söldner-Truppen beginnen im August damit, erfolgreiche Offensiven in Idlib und Hama (Nordwest-Syrien) durchzuführen, berichtet der Business Insider. Sie nähern sich damit der Provinz Latakia an der syrischen Küste, die als Hochburg der syrischen Regierung gilt. In Latakia befindet sich der russische Luftwaffenstützpunkt Hmeimim. In Tartus, ebenfalls an der Westküste, befindet sich ein russischer Marinehafen.

Am 30. September verkündet Moskau den Kriegseintritt in den Syrien-Konflikt und beginnt mit Luftschlägen gegen Söldner-Truppen und ISIS-Stellungen. Iranische Milizen und Verbände der Hisbollah machen aus ihrer Präsenz in Syrien auch kein Geheimnis mehr.

Diversen türkischen Medienberichten zufolge habe Russland durch seine Intervention in Syrien einen türkischen Einmarsch gegen Baschar al-Assad unmöglich gemacht. Der türkische Geopolitiker Cengiz Tomar bestätigt gegenüber dem Sender BBC, dass Russland nicht nur Assads Stellung gesichert habe, sondern auch über die Möglichkeit verfüge, die Türkei vom Iran und Syrien aus einzudämmen. Der türkische Journalist Fehim Tastekin meint, die Türkei habe kaum Möglichkeiten, um gegen Russland in Syrien vorzugehen. Ankara werde auch auf der internationalen Ebene keinen Partner finden, der gegen Russland aufbegehren möchte. Der türkische Analyst Ali Serdar Erdurmaz sagte der Nachrichtenagentur Anadolu, dass Russland von nun an stärker als die USA militärisch vertreten sein werde. Russland verfüge über eine ernste militärische Präsenz in der Region.

Am 24. November schießt die türkische Luftwaffe im türkisch-syrischen Grenzraum einen russischen Kampfjet der Klasse Su-24 ab. Der Kampfjet soll gezielt den türkischen Luftraum verletzt haben. Russland weist den Vorwurf zurück. Drei Tage später verhängt Russland Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei. Der türkische Import von Agrarprodukten wird gestoppt. Russischen Reiseanbietern wird es untersagt, Urlaub in der Türkei anzubieten. Russische Unternehmen dürfen keine türkischen Staatsbürger mehr einstellen. Doch russisches Gas wird weiterhin in die Türkei verkauft. Die Türkei steuert in Syrien auf eine Isolation hin.

Russland legt im Dezember angebliche Beweise vor, wonach die Familie Erdogan in illegale Öl-Geschäfte mit ISIS verwickelt sein soll. Satellitenbilder sollen die Verwicklung Erdogans in die Öl-Geschäfte nachweisen.

Januar bis Dezember 2016

Nachdem es zu großen Einbußen im türkischen Agarsektor und in der Tourismusbranche gekommen ist, entschuldigt sich der türkische Staatspräsident Erdogan am 27. Juni in einem Schreiben an Putin.

Am 15. Juli führt ein Teil des türkischen Militärs einen Putsch gegen Erdogan durch. Der Putsch scheitert. Er erfolgte kurz vor Umsetzung einer türkischen Militäroffensive im Norden Syriens. Russland und der Iran solidarisieren sich offen mit der türkischen Regierung.

Am 24. August führt die Türkei eine Militäroffensive in Nordsyrien unter dem Namen “Euphrats Shield” durch. Die Operation richtet sich gegen die Terror-Miliz ISIS und gegen die Kurden-Milizen, die sich im türkisch-syrischen Grenzgebiet befinden.

Am 3. September sagt Putin auf einer Pressekonferenz auf dem G20-Gipfel in China: “Die Operation der Türkei in Syrien kam für uns nicht unerwartet. Wir haben verstanden, was vor sich ging und wohin die Dinge führen würden.”

Am 11. Oktober reist Erdogan nach Moskau, um sich mit Putin zu treffen. Es werden Verträge zur Weiterführung des Baus des türkischen AKWs in Akkuyu durch ROSATOM, zur schrittweisen Aufhebung der Sanktionen und zum Bau der russisch-türkischen Pipeline Turkish Stream unterzeichnet, so der türkische Sender NTV. Es steht eine Normalisierung der türkisch-russischen Beziehungen an.

Im Dezember findet die erste Runde der syrischen Friedensgespräche von Astana statt. Die Gespräche wurde von Russland, der Türkei und dem Iran angesetzt, um eine Lösung für den Syrien-Konflikt zu finden.

Januar bis November 2017

Im März und im Mai einigen sich Russland, die Türkei und der Iran darauf, Deeskalationszonen in Syrien zu errichten. Die Zonen sollen die Provinz Idlib, Ost-Ghouta, den Norden der Provinz Homs und die jordanisch-syrische Grenzregion umfassen. Die USA schicken erstmals einen Sondergesandten zu den Gesprächen, so Al-Monitor. Die USA nehmen die Vereinbarung zwischen Russland, der Türkei und den Iran billigend in Kauf.

Im Juli findet eine neue Runde der Astana-Gespräche statt. Es wird ein Waffenstillstand vereinbart, der weitgehend hält. Die UN unterstützt die Gespräche. Die Türkei und Russland einigen sich darauf, die Provinz Idlib von der radikal-islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al Scham (HTS) zu säubern. HTS hatte zuvor angekündigt, gegen die Astana-Gespräche und gegen eine politische Lösung des Syrien-Konflikts zu sein.

Der US-Top-Diplomat Michael Ratney sagt, dass die Präsenz von HTS in Idlib eine “große Gefahr für die Zukunft Syriens” sei, so der englischsprachige Dienst von Reuters. “Im Falle der Hegemonie der al-Nusra-Front (Anm. d. Red. alter Name von HTS) in Idlib wäre es für die USA schwierig, die internationalen Parteien davon zu überzeugen, nicht die notwendigen militärischen Maßnahmen zu ergreifen”, so Ratney.

Im September trifft die Türkei Vorkehrungen für eine Bodenoffensive auf Idlib. Nach Angaben von Stratfor wird Russland die Offensive mit seiner Luftwaffe unterstützen. Der Kampf um Idlib ist eine der ungelösten Fragen im Syrien-Krieg, eine Entscheidung dürfte in den kommenden Wochen fallen. Durch die militärische Übermacht der Russen ist die Türkei gezwungen, gegen die Söldner vorzugehen, die sie noch vor wenigen Jahren tatkräftig unterstützt hatte. Nun muss Erdogan sicherstellen, dass die Söldner sich nicht in die Türkei absetzen und das Land destabilisieren. Er hat kaum eine Wahl als sich den russischen Plänen zu beugen und kann sich, seit Trump an der Macht ist, auch nicht mehr nach Washington orientieren, um die Russen auszutricksen.


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