Politik

Türkei unter Druck: Erdogan gerät ins Fadenkreuz der US-Ermittler

Lesezeit: 5 min
05.11.2017 01:01
Die US-Regierung verschärft die Gangart gegen den türkischen Präsidenten Erdogan. Der Türkei drohen Sanktionen, die vor allem das Finanzsystem schwer treffen könnten.
Türkei unter Druck: Erdogan gerät ins Fadenkreuz der US-Ermittler

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die New Yorker Staatsanwaltschaft soll Audio-Aufzeichnungen besitzen, aus denen die Umgehung der Iran-Sanktionen durch den türkischen Staatspräsidenten Erdogan hervorgehen soll, berichtet Bloomberg. „Die Dokumente, die jetzt im Zusammenhang mit dem festgenommenen türkisch-iranischen Goldhändler Reza Zarrab im Fall der Geldwäsche- und Sanktions-Ermittlungen aufgetaucht sind, könnten die Beziehung der USA zur Türkei weiter verkomplizieren“, schreibt Bloomberg. Zarrab hatte über Jahre hinweg als Mittelsmann zwischen der türkischen Regierung und dem Iran fungiert. Bloomberg analysiert, dass sich Zarrab gezielt auf Erdogan berufen haben könnte, um den anstehenden Prozess gegen sich selbst zu beeinflussen – obwohl Erdogan vielleicht gar nicht involviert war. Die Anklageschrift gegen Zarrab wurde vom US-Justizministerium veröffentlicht.

Als Folge des Berichts über eine mögliche Verwicklung der Türkei in die Umgehung der Iran-Sanktionen ist am Freitag die Türkische Lira gegenüber dem Dollar  um 1,8 Prozent eingebrochen. Der türkische Bankenindex ging um 3,3 Prozent zurück.

Vorwürfe gegen die Halkbank

Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die US-Staatsanwaltschaft auch den Vertreter der halbstaatlichen türkischen Halkbank, Mehmet Hakan Atilla, anklagen wird. Atilla wurde im März 2017 am John F. Kennedy Flughafen in New York festgenommen. Der Bloomberg-Journalist Benjamin Harvey berichtet, dass Atilla Komplizenschaft mit Zarrab vorgeworfen wird.

Beide sollen im  Auftrag der türkischen Regierung und direkt im Auftrag Erdogans Geschäfte mit dem Iran durchgeführt haben, was aus US-Sicht als klarer Verstoß gegen die Iran-Sanktionen gewertet wird. Zarrab soll in Zusammenarbeit mit Atilla türkisches Gold in den Iran exportiert haben, um im Gegenzug Öl zu importieren, berichtet der englischsprachige Dienst von Reuters. Zarrab wickelte die Geschäfte vom Trump Tower in Istanbul aus ab, in dem er sein Büro unterhielt.

Druck auf Erdogan

Nach Angaben von Aydinlik wird im Zusammenhang mit dem Fall politischer Druck auf die Türkei und insbesondere auf Erdogan ausgeübt. Seit der Festnahme des Halkbank-Chefs ist Erdogan demnach auch das direkte Ziel der Staatsanwaltschaft von New York. Hinzu kommt, dass die Verteidiger von Zarrab kürzlich den ehemaligen Bürgermeister Rudolph Giuliani und Michael B. Mukasey als Berater angeheuert haben, so die New York Times. Guiliani ist einer der engsten Berater von US-Präsident Trump. Am 24. Februar 2017 hatten Guiliani und Mukasey sich mit US-Justizminister Jeff Sessions abgestimmt, um anschließend in die Türkei zu reisen. Ende Februar 2017 fand in Ankara ein Treffen zwischen Guiliani, Mukasey und Erdogan statt. Das Ziel des Treffens war es, eine diplomatische Lösung für den Fall zu finden. Der Zeitung Aydinlik liegen alle Dokumente vor, die diese Abläufe belegen könnten.

Nach der Rückreise Guilianis und Mukaseys wurde der New Yorker Staatsanwalt Preet Bharara, der die Anklage gegen Atilla und Zarrab führte, von US-Präsident Trump entlassen. Bharara wurde vom ehemaligen US-Präsidenten Obama eingesetzt und gilt als Unterstützer von Hillary Clinton. Nach Informationen der US-Medien bereitete Bharara auch eine Anklage gegen Trump vor. Die New York Times berichtet, dass Guiliani sich dafür einsetzt, den Platz von Bharara dem Sohn von Mukasey, Marc L. Mukasey zu übergeben.

Neue Anklagen gegen Erdogan-Vertraute

Im Zusammenhang mit Zarrabs Festnahme und dem gesamten Fall hatte der ehemalige Vize-Direktor des FBI, Diego Rodriguez, im März in einer Mitteilung gesagt: „Die Anklagen, die heute erhoben wurden, sind eine Botschaft an die wahren Geschäftspartner der Angeklagten, die versuchen sich zu verstecken.“

Im September meldete das US-Justizministerium in einer Mitteilung, dass auch eine Klage gegen den ehemaligen türkischen Wirtschaftsminister Zafer Caglayan und den ehemaligen Chef der Halkbank, Süleyman Aslan, den ehemaligen Generaldirektor der Halkbank, Levent Balkan, und dem Vertrauten von Zarrab, Abdullah Hapani, eingeleitet werde. Alle Angeklagten gehören zum engsten Kreis um Erdogan.

US-Unmut über türkische Außenpolitik

Nach Einschätzung des türkischen Nahost-Analysten Hüsnü Mahalli hat sich der iranische Angeklagte Zarrab mit einer hohen Wahrscheinlichkeit mit der US-Justiz geeinigt. Er werde – gleichsam als Kronzeuge – Erdogan und zahlreiche weitere AKP-Politiker schwer belasten, um ein mildes Urteil für sich verhandeln zu können. Die türkische Zeitung ABC Gazetesi zitiert Mahalli: "Der Fall Zarrab ist unvorstellbar groß. Es geht um die Türkei und den Iran. Der Fall ist aus Sicht der Außenpolitik sehr wichtig. Wenn die Türkei mit dem Iran zusammengearbeitet hat und sich eine Trumpfkarte wie Zarrab in den Händen der Amerikaner befindet, werden sie Erdogan zu sich bestellen und ihn fragen: Auf wessen Seite stehst du? Auf unserer oder auf der iranischen Seite? Es geht bei diesem Fall nicht nur um Geldwäsche. Es geht vor allem darum, die Türkei und den Iran auseinanderzubringen. Die US-Justiz verfügt über alle Informationen, was Erdogan und seine Familie angeht. Diese Informationen werden als Druckmittel auf den Tisch gelegt werden."

Stephen Bannon gegen die Türkei

Bemerkenswert: Auch hochrangige Personen aus dem Umkreis von US-Präsident Trump sprechen sich mittlerweile offen gegen die Türkei aus.

Stephen Bannon hat mit der Zeitung Asharq al-Awsat, die zum Verlag HH Saudi Research & Marketing gehört, ein Interview geführt. Bannon ist der Ansicht, dass es "keine militärische Lösung" für die Krise mit Nordkorea gebe. Stattdessen weist er auf mindestens zwei "gefährlichere Situationen hin, auf die die Welt achten sollte".

Bannon wörtlich: "Die Türkei ist die größte Gefahr für uns (Anm. der Red. die USA)! Der Iran ist nicht annähernd so gefährlich wie die Türkei. Wir beschäftigen uns viel zu wenig mit dem, was gerade in der Türkei unter Erdogan passiert. Dies ist ein Thema, das ich konsequent verfolgen werde”.

Als zweitgrößtes Problem der USA stuft Bannon Katar ein. "Ich finde (...) die Maßnahmen, die die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain, Ägypten und Saudi-Arabien gegen Katar ergriffen haben, richtig. Der Boykott fand kurz nach dem Besuch (Trumps) in Saudi-Arabien statt (...). Katar ist so gefährlich wie Nordkorea! Die Welt sollte auf diese wichtigen Entwicklungen achten", so Bannon.

An eine Annäherung der USA mit China glaubt Bannon nicht. Er kritisiert, dass Trump diese Annäherung bisher forciert hat. "Zu China: Wir machen nicht einfach einen kleinen Fehler (...). Es ist ein großer strategischer Fehler (...). Wenn Sie sich die (jüngste) Rede von Präsident Xi anhören, geht es nicht darum, wie China und die USA gemeinsam Supermächte sind. Nein! Es ging um China, sie wollen die Vorherrschaft haben". Der Iran ist der engste Verbündete Chinas in Nahen Osten.

Deutschland gegen die Türkei

Die aktuellen Entwicklungen in den USA bezüglich der Türkei-Politik finden eine interessante Parallele mit der außenpolitischen Linie Deutschlands. Die Bundesregierung arbeitet hinter den Kulissen daran, die Zugänge der Türkei zu deutschen und europäischen Finanzinstitutionen zu kappen. Bloomberg berichtet, dass „Deutschland aktiv daran arbeitet, die Finanzierung der Türkei über die staatliche KfW, die Europäische Investment Bank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zu beschneiden“.

Auf Nachfrage der Deutschen Wirtschafts Nachrichten, ob die Bundesregierung tatsächlich internationale Institutionen davon überzeugen will, Finanzkredite für die Türkei zu beschneiden, sagte einer Sprecherin des Bundesfinanzministeriums: "Die Bundesregierung verfolgt die politische und rechtliche Entwicklung in der Türkei aufmerksam. Wir stimmen innerhalb der Bundesregierung unsere Positionen und mögliche Rückschlüsse für die Investitionspolitik von internationalen Entwicklungsbanken und Förderbanken ab."

Deutschland und die EU haben im Gegensatz zu den USA sehr enge wirtschafts- und handelspolitische Beziehungen mit der Türkei. Deutschland und die EU sind der größte Handelspartner der Türkei und die türkische Wirtschaft ist abhängig von Investitionen aus dem EU-Raum. Zudem ist die Türkei ein Mitglied der EU-Zollunion. Sollten sich die Bundesregierung oder/und die EU tatsächlich dazu entscheiden, Sanktionen gegen die Türkei einzuleiten, hätte dies in Verbindung mit dem Fall Zarrab in den USA gravierende wirtschaftliche Folgen für die Türkei.

Russland stützt Erdogan – aber nicht bedingungslos

Der russische Präsident Wladimir Putin stützt Erdogan – allerdings nicht, weil er ihn für einen guten Präsidenten hält. Noch vor wenigen Jahren hatte Putin Erdogan unverblümt einen Islamisten genannt. Die Russen hatten auf dem Höhepunkt des Syrien-Krieges Belege vorgelegt, dass Erdogan und sein Netzwerk vom Öl-Handel mit dem IS profitierten. Später hat Putin allerdings die Strategie gewechselt – vor allem, um die Türkei als unkontrollierbaren Akteur in Syrien unter Kontrolle zu bringen. Außerdem haben die Russen Erdogan während des Putschs unterstützt. So soll der türkische Geheimdienst MIT von den Russen gewarnt worden sein, weshalb Erdogan den Attentätern entkommen konnte. Allerdings weilte während des Putschs US-Außenminister John Kerry bei seinem Kollegen Sergej Lawrow in Moskau. Es ist gut möglich, dass Russen und Amerikaner ihre Türkei-Politik koordinieren – ähnlich wie ihre Nahost-Politik gegenüber den Israelis und den Palästinensern, wo es laut Einschätzung des früheren Mossad-Chefs Efraim Halevy eine gemeinsame Roadmap der Amerikaner und Russen geben soll. Es könnte daher eine Frage der Zeit sein, wie lange Erdogan noch zwischen den Großmächten lavieren kann, wenn diese beiden möglicherweise eine gemeinsame Sicht auf den weltweit umstrittenen türkischen Präsidenten entwickelt haben sollten.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...