In der Union regt sich Widerstand gegen eine möglicherweise bevorstehende tiefere Finanz-Integration Deutschlands in der EU. Eine als unklar empfundene Passage in der Sondierungsvereinbarung mit der SPD bringt Bundeskanzlerin Angela Merkel in Erklärungsnot.
Wie die Frankfurter Allgemeine berichtet, habe die CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker Aufklärung hinsichtlich einer entsprechenden Passage zur Europapolitik einer möglichen neuen Großen Koalition gefordert. Diese habe zu Unruhe bei der Parteibasis und bei Wählern geführt, weil sie unklar formuliert worden sei.
In der Union fürchten offenbar viele, dass sich Merkel künftig nicht energisch genug gegen eine weitere Abgabe von finanzpolitischen Kompetenzen nach Brüssel stemmen könnte. In der entsprechenden Passage heißt es:
Um diese Ziele zu erreichen, wollen wir die EU in ihrer Handlungsfähigkeit stärken, insbesondere auch das Europäische Parlament. Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann: Dafür werden wir bei der Erstellung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens Sorge tragen. Dabei befürworten wir auch spezifische Haushaltsmittel für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz und für die Unterstützung von Strukturreformen in der Eurozone, die Ausgangspunkt für einen künftigen Investivhaushalt für die Eurozone sein können.
Wir sind auch zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit. Wir wollen in diesem Sinne und insbesondere auch in enger Partnerschaft mit Frankreich die Eurozone nachhaltig stärken und reformieren, sodass der Euro globalen Krisen besser standhalten kann. Wir wollen fiskalische Kontrolle, wirtschaftliche Koordinierung in der EU und der Eurozone sowie den Kampf gegen Steuerbetrug und aggressive Steuervermeidung vorantreiben. Die dazu aus den Mitgliedstaaten und von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge werden wir prüfen. Den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wollen wir zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln, der im Unionrecht verankert sein sollte.
Insgesamt lassen wir uns davon leiten, dass die EU für Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten ebenso wie für ihre Bürgerinnen und Bürger stehen muss. Das Prinzip der wechselseitigen Solidarität muss auch für den EU-Haushalt gelten. Zugleich muss auch künftig das Prinzip gelten, dass Risiko und Haftungsverantwortung verbunden sind.
Zuvor hatte der Wirtschaftsrat der CDU in einem Positionspapier dringend gefordert, dass die Union in der Europapolitik der SPD nicht zu stark entgegenkommen dürfe.
Konkret hegen zahlreiche Unionspolitiker Befürchtungen hinsichtlich zweier Fragen.
Zum einen vermuten sie, dass die Mitsprache des deutschen Bundestages bei Finanzangelegenheiten in der EU künftig beschnitten werden könnte. Insbesondere geht es hier um Umverteilungen innerhalb der EU, mögliche neue Bankenrettungen sowie die Einführung eines europäischen Einlagensicherungssystems.
Zum Zweiten geht es um die seit einiger Zeit im Raum stehende Frage, ob der Finanzmechanismus ESM zu einem gesamteuropäischen Währungsfonds umgebaut werden soll.
Der Ökonom Achim Dübel kritisiert die Bestrebung, den ESM in einen Währungsfonds umzuwandeln. Zu den Deutschen Wirtschafts Nachrichten sagt er:
Eine Vergemeinschaftung des ESM über seine Transformation in einen ‚Währungsfonds‘ unter Kontrolle des EU-Parlaments ist derzeit weder dringlich noch sachdienlich.
Schon das Etikett ‚Währungsfonds‘ ist ein Schwindel, denn es handelt sich bei den Planungen nicht um ein Währungstauschinstrument, sondern um einen Versicherungsfonds gegen den Totalverlust von Anlegern in Banken- und Staatspapiere der Eurozone, dh. einen Bondversicherer. Bondversicherer sind ein Instrument der Fiskal- und nicht der Währungspolitik.
Prioritär wäre es, das Gläubigerbeteiligungsprinzip in beiden Bereichen unter geltendem Unionsrecht fest zu etablieren. Bei den Banken sind wir mit Abwicklungsdirektive und Abwickler SRB einige Schritte weitergekommen, aber noch lange nicht am Ziel. Beispiele italienische Banken, deren Seniorgläubiger vom italienischen Staat gerettet wurden.
Bei den Staaten stehen wir dank der Blockade der Finanzminister, einschließlich des deutschen, noch am Anfang. Hier müsste vor jedweder neuen Intervention des bereits bestehenden ESM erst einmal Gläubigerbeteiligung etabliert werden, so wie es Schäuble doch in seinen letzten Amtswochen bei Macron versuchte. Bekanntermaßen gab es diese in Griechenland aufgrund des Lobbyismus der Banken erst 2 Jahren nach Erstintervention durch Rettungskredite, und auch beim folgenden Schuldenschnitt wurden viele Gläubigergruppen von Belastungen ausgenommen. Das Ergebnis sind uneinholbare Forderungen im hoch zwei-, wenn nicht dreistelligen Milliardenbereich.
Was den Aufbau von Versicherungsfonds auf Unionsebene betrifft, so sollten diese politikfern unter versicherungsmathematischen Bedingungen etabliert werden. Externe Kreditlinien etwa an den im Aufbau befindlichen und viel zu kleinen Bankenfonds des SRB machen erst dann Sinn, wenn neben Gläubigerbeteiligung ein Abbau der Altlasten, eine ausreichend konservative Definition der Versicherungsleistung – z.B. Einlagen, aber bis zu welcher Höhe pro Haushalt – und eine ausreichend hohe Kapitalisierung des Fonds erreicht sind. Solche Linien können im Krisenfall durch den ESM auch jetzt unter seinen bisherigen Kontrollregeln durch die nationalen Parlamente bereitgestellt werden, mit der Einschränkung, dass die Staaten weiter für sie haften.
Eine Versicherungslösung für Staatsanleihen, die die ad-hoc-Interventionen des ESM ersetzt und die Kaufprogramme der EZB überflüssig macht, ist langfristig ebenfalls wünschenswert, bedarf aber derselben Vorarbeiten. Diese werden aufgrund der Verschleppung einer sinnvollen Gläubigerbeteiligungslösung – z.B. der Schaffung nachrangiger Staatsbonds – und der ungelösten Schuldenprobleme vieler Mitglieder der Eurozone, die einen Schuldenschnitt notwendig machen, den besseren Teil des kommenden Jahrzehnts in Anspruch nehmen. Das gilt übrigens auch für den Bereich der Schulden der Regionen bzw. Länder und Kommunen.
Was die Kontrolle dieser Versicherungslösungen betrifft, so sollte gelten ‚wer zahlt schafft an‘. Im Gegensatz zum Rooseveltschen Konzept der Entmachtung der Banken bei der US-amerikanischen Einlagensicherung in den 30er Jahren befürworte ich ein Mitspracherecht der Banken, die in den Fonds einzahlen. Ebenso muss natürlich das Kontrollrecht an Versicherungs- oder Fondslösungen der Eurozone im Staatskredits-Bereich bei den nationalen Parlamenten bleiben, solange diese Fiskalhoheit haben.