Prinz Ahmad bin Abdulaziz, der jüngere Bruder von König Salman, ist nach längerer Abwesenheit in London nach Saudi-Arabien zurückgekehrt, um Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) herauszufordern. Das berichtet das Middle East Eye (MEE).
Der Prinz, ein offener Kritiker von MBS, reiste mit Sicherheitsgarantien von amerikanischen und britischen Behörden nach Saudi-Arabien.
„Er und andere in der Familie haben erkannt, dass MBS schädlich geworden ist. Der Prinz möchte bei diesen Änderungen (Machtwechsel in Saudi-Arabien, Anm. d. Red.) eine Rolle spielen, das heißt, er wird entweder bei jeder neuen Vereinbarung eine wichtige Rolle spielen oder bei der Wahl einer Alternative zu MBS helfen“, sagte eine saudische Quelle aus dem Umfeld von Prinz Ahmad gegenüber Middle East Eye.
Abgesehen von den westlichen Garantien ist Ahmad auch durch seinen Rang geschützt.
Im vergangenen November führte MBS eine umfassende Säuberung von Dissidenten durch, doch er konnte nicht gegen die Söhne von König Abdulaziz, dem Gründer des saudischen Staates, vorgehen, da sie in der Hierarchie des Königshauses zu weit oben stehen.
MBS geriet nach dem Verschwinden und der angeblichen Ermordung des saudischen Staatsbürgers Jamal Khashoggi am 2. Oktober international unter Druck. Die Zeitung Le Figaro berichtete, dass MBS ersetzt werden soll. Prinz Ahmad hatte kurz vor seiner Abreise nach Saudi-Arabien mit anderen Mitgliedern der saudischen Königsfamilie Gespräche geführt, die derzeit außerhalb des Königreichs leben.
Die ehemalige US-amerikanische Sicherheitsberaterin der Obama-Regierung und US-Botschafterin bei der UN, Susan Rice, sagte der New York Times: „Wenn wir nach vorne schauen, muss Washington handeln, um die Risiken für unsere eigenen Interessen zu mindern. Wir sollten unsere wichtige Beziehung zum Königreich nicht abbrechen, aber wir müssen klarstellen, dass dies nicht wie üblich laufen kann, solange Prinz Mohammed weiterhin uneingeschränkte Macht ausübt. Es sollte die Politik der USA sein, gemeinsam mit unseren Verbündeten, den Kronprinzen kaltzustellen, um den Druck auf die königliche Familie zu erhöhen und einen stabileren Ersatz zu finden“, fügte sie hinzu.
Die Rückkehr von Prinz Ahmad wird den Druck auf bin Salman, der sich im Zentrum einer Auseinandersetzung zwischen Saudi-Arabien und der Türkei befindet, nur erhöhen, nachdem Khashoggi im Konsulat seines Landes in Istanbul ermordet wurde. Die türkischen Behörden fordern, dass die Saudis ihnen sagen, wo sich Khashoggis Leiche befindet, und die Saudis bestehen darauf, dass die Türkei die Tonbänder der Hinrichtung übergibt.
Der saudische Chefankläger Saud al-Mujeb hat in den vergangenen Tagen zweimal den Istanbuler Staatsanwalt Irfan Fidan getroffen. Es wurden jedoch keine Fortschritte gemeldet. Die Saudis verweigern den türkischen Ermittlern weiterhin den Zugang zum Brunnen auf dem Grundstück des Generalkonsuls, der 500 Meter vom Konsulat entfernt ist.
Nachdem sie zuvor bestritten hatten, dass Khashoggi im Konsulat ermordet worden war, sagen die Saudis, sie hätten 18 Verdächtige festgenommen, von denen 15 Mitglieder eines Todeskommandos sind. Am vergangenen Montag bot Mujeb Fidan die Aussage der Verdächtigen an. Die Türkei fordert jedoch ihre Auslieferung, damit sie vor ein türkisches Gericht kommen. Riad lehnt dies ab.
Vor der Khashoggi-Affäre war der Widerstand von Prinz Ahmad gegen MBS eine öffentliche Angelegenheit. Er hat ihn dreimal öffentlich herausgefordert:
Erstens, im Sommer 2017, als Prinz Ahmad Mitglied der Treuhänderkommission, die für die Thronfolge in Saudi-Arabien verantwortlich ist, war. Prinz Ahmad war gegen die Ernennung von MBS zum Kronprinzen.
Zweitens, als Prinz Ahmad und König Salmans Bruder Abdelrahman bin Abdulaziz im vergangenen Jahr starb. Beim Empfang von Prinz Ahmad wurden nur zwei Bilder gehängt: die von König Abdulaziz und dem derzeitigen Monarchen. Das Porträt des Kronprinzen MBS fehlte.
Drittens, im vergangenen Monat, als Prinz Ahmad vor seinem Londoner Haus jemenitische und bahrainische Demonstranten, die die al-Sauds als kriminelle Familie bezeichneten, kontaktierte und ansprach.
Er sagte ihnen, dass die Familie als Ganzes keine Verantwortung für den Krieg im Jemen trägt, sondern nur der König und der Kronprinz.
„Sie sind für Verbrechen im Jemen verantwortlich. Sagen Sie Mohammed bin Salman, dass er den Krieg beenden soll", sagte Prinz Ahmad.
Die Rückkehr von Prinz Ahmad nach Riad könnte mit Risiken behaftet sein. Es wird vermutet, dass er die Unterstützung bedeutender Persönlichkeiten der Familie hat, die nach der Khashoggi-Affäre davon überzeugt sind, dass der Kronprinz im Westen dauerhaft „befleckt“ ist und den Ruf der Familie insgesamt schädigt.
Ein saudischer Dissident, Prinz Khaled bin Farhan, sagte im Mai gegenüber MEE, die beiden Prinzen Ahmad und Muqrin bin Abdulaziz könnten das Ansehen der Familie wiederherstellen, das durch die „irrationale, unberechenbare und dumme“ Regierung von König Salman zerstört wurde.
Unter anderen saudischen Exilanten in London und Istanbul unterscheiden sich die Meinungen. Einige nennen Prinz Ahmad eine zu schwache Figur, um im Königreich eine Veränderung herbeizuführen. Andere sagen, er habe persönliche Motive.
Die entscheidende Frage ist, ob er die gleiche Rolle spielen kann wie König Faisal, der 1964 seinen einzigen Bruder Saoud beim einzigen Familienputsch verdrängt hatte.