Die italienische Regierung zeigt sich im Haushaltsstreit unbeeindruckt von Strafandrohungen aus der EU-Kommission. Finanzminister Giovanni Tria sagte am Freitag, es wäre "wirtschaftlicher Selbstmord", an den Plänen der Vorgängerregierung zur Verringerung des Defizits festzuhalten. "Ich glaube nicht, dass die EU das erwartet." Deutschland und Frankreich hätten die EU-Regeln gebrochen, jedoch sei immer eine politische Lösung gefunden worden.
Unter Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hatte Deutschland nach Brüssel gemeldet, dass das Etatdefizit 2003 voraussichtlich 3,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausmachen werde. Für 2002 wurde ein Defizit von 3,5 Prozent festgestellt. Die EU-Kommission hatte auf Strafmaßnahmen verzichtet. Frankreich hat in den vergangenen Jahren mehrmals hintereinander ein höheres Defizit gemacht, als die Maastricht-Verträge erlauben.
Das italienische Defizit soll mit 2,4 Prozent eindeutig im Rahmen von Maastricht liegen.
Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio äußerte die Erwartung, dass die EU-Kommission am Ende auf Sanktionen verzichtet, weil sein Land ausreichend Unterstützung aus dem Kreis der EU-Partner erhalten werde. Inzwischen habe Italien eine Stimme in Europa, sagte er.
Italiens Koalition aus Fünf Sternen und Lega rechnet für 2019 mit einem Haushaltsdefizit von 2,4 Prozent. Die Vorgängerregierung hatte 0,8 Prozent in Aussicht gestellt. Daher verlangt die EU-Kommission eine Änderung der Pläne bis Dienstag. EU-Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis sagte in Helsinki, seine Behörde prüfe die Eröffnung eines Defizitverfahrens, sollte Italien den Haushaltsentwurf nicht überarbeiten. Am Ende eines solchen Verfahrens können Geldstrafen in Höhe von bis zu 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) stehen. Zuletzt hatte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici mit Sanktionen gedroht, sollte keine Einigung in dem Zwist erreicht werden.
Di Maio, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, sieht dagegen genug Rückhalt für sein Land in der EU. Er verwies auf einen Wandel der politischen Großwetterlage in Europa, der sich nach der Wahl des EU-Parlaments im Mai noch verstärken werde. Deswegen habe seine Partei ihre Anti-Euro-Haltung aufgegeben, sagte er auf einer Pressekonferenz mit internationalen Journalisten. Auf die Frage, ob Italien etwaige Strafen der Brüsseler Kommission denn zahlen würde, entgegnete er: "Verträge müssen befolgt werden."
Das neue Defizitziel werde in keinem Fall überschritten, sagte Di Mario weiter. Dazu würden zusätzliche Einsparungen beitragen. Die Abschaffung von 200 "unnötigen" Gesetzen werde zu einem Bürokratieabbau und damit zu einer erheblichen Senkung der Staatsausgaben führen. Doch die EU-Kommission hält diese Prognosen für "übertrieben optimistisch", wie Dombrovskis unterstrich. Sie geht vielmehr davon aus, dass Italiens Haushaltslücke bei 2,9 Prozent des BIP liegen wird.
Wegen seiner Politik steht Italien auch an den Finanzmärkten unter Druck. Die Kurse der heimischen Staatsanleihen haben deutlich eingebüßt, was tendenziell die Refinanzierungskosten der Regierung erhöht. Auch am Freitag sanken die italienischen Bonds. Die Wertverluste belasten zugleich die heimischen Banken, die große Mengen an Staatstiteln in ihren Bilanzen haben.
Aus der Branche wurden Überlegungen bekannt, die Krisenvorbeugung zu forcieren. Nach Auskunft von mehreren mit der Angelegenheit vertrauten Personen erwägen die fünf größten Banken des Landes einen Kredit über 2,7 Milliarden Euro für den Einlagensicherungsfonds (FITD). Ziel sei es, das Vertrauen in das Finanzsystem zu stärken. In die Pläne involviert seien die Institute Intesa Sanpaolo, UniCredit, Banco BPM, UBI Banca und Banca Monte dei Paschi di Siena. Italiens Bankenindustrie gilt ohnehin als angeschlagen wegen immenser Bestände an faulen Krediten.
Ifo-Chef Clemens Fuest warnt davor, die Lage in Italien zu unterschätzen. Eine Staatsverschuldung von über 130 Prozent samt wirtschaftlicher Stagnation könne sich kein Land auf Dauer leisten, sagte er laut Reuters in einem Internet-Interview. "Das größte Risiko liegt kurzfristig in einer Kapitalmarktpanik, die schnell in einen Staatsbankrott führen kann." Die Folge könne eine Finanzmarktkrise sein, die zu "schwersten Auseinandersetzungen in der Euro-Zone" führen könne.