Politik

Polizei und Gerichte in Deutschland überlastet

Das deutsche Justizsystem ist einer Umfrage zufolge vollkommen überlastet.
06.01.2019 18:03
Lesezeit: 3 min

Die Justiz arbeitet in vielen Teilen Deutschlands an der Belastungsgrenze. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur in den Bundesländern. Obwohl viele Länder das Justizpersonal demnach bereits kräftig aufstocken, mangelt es vielerorts weiter an Personal. Richter und Staatsanwälte ächzen zudem unter einer Klageflut etwa bei Asylverfahren.

Strafverfahren ziehen sich oft in die Länge oder müssen eingestellt werden. Haftanstalten sind in manchen Bundesländern überbelegt. Verdächtige müssen wegen der Überlastung der Justiz auf freien Fuß gesetzt werden.

Der Deutsche Richterbund schlägt Alarm. «Die Arbeitsbelastung insbesondere in der Strafjustiz ist enorm hoch», sagte Geschäftsführer Sven Rebehn der Deutschen Presse-Agentur. «Vor allem die Staatsanwaltschaften haben sich zum Nadelöhr bei der Strafverfolgung entwickelt.» Nach den Berechnungen des Verbandes braucht Deutschland 2000 zusätzliche Richter und Staatsanwälte.

Strafverfahren sind laut Rebehn häufig viel aufwendiger als noch vor 10 oder 20 Jahren. Häufig hätten Strafverfahren Auslandsbezüge und richteten sich gegen international verzweigte Tätergruppen. Die auszuwertenden Datenmengen hätten sich vervielfacht - nicht selten fallen in Strafverfahren Hunderte Stehordner und mehrere Terabyte Daten an. Verfahren werden eingestellt oder dauern länger. «Das sind deutliche Anhaltspunkte für eine überlastete Justiz», sagte Rebehn.

Die deutsche Justiz scheitert zudem immer wieder daran, mutmaßlichen Kriminellen fristgerecht den Prozess zu machen. Immer wieder müssen Untersuchungshäftlinge trotz schwerer Tatvorwürfe auf freien Fuß gesetzt werden, weil die Gerichte nicht hinterherkommen. Denn für die Anordnung von Untersuchungshaft gelten zeitliche Beschränkungen. Der Richterbund spricht von zuletzt 50 Fällen pro Jahr. Allein in Sachsen mussten 2018 laut Justizministerium bis Mitte Dezember 14 U-Häftlinge nach Überschreiten der Sechs-Monats-Frist freigelassen werden.

Viele Länder haben begonnen, die Justiz personell kräftig aufzustocken, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Allein in BADEN-WÜRTTEMBERG wurde die Justiz seit 2016 mit 700 neuen Stellen gestärkt. Seitdem gibt es 251 zusätzliche Richter und Staatsanwälte - dennoch fehlen noch Dutzende für eine volle Ausstattung. Zur Bewältigung der «aktuellen Flut» an Asylverfahren sind 2019 weitere 80 neue Stellen für Verwaltungsrichter sowie 48 Stellen für Servicekräfte vorgesehen.

In NORDRHEIN-WESTFALEN schuf das Land laut Justizministerium im Laufe des vergangenen Jahres 1135 zusätzliche Posten, 2019 sollen weitere 494 hinzukommen. In HESSEN wurden in der vergangenen Wahlperiode mehr als 500 neue Stellen in der Justiz eingerichtet. In HAMBURG kamen seit 2015 bei Staatsanwaltschaft und Gerichten 170 Stellen dazu, weitere 31 sind in der Planung.

In SACHSEN kamen in den vergangenen vier Jahren 120 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte hinzu. In RHEINLAND-PFALZ sind im Doppelhaushalt 2019/20 265 zusätzliche Stellen in der Justiz über alle Laufbahnen und Bereiche hinweg geplant. Auch die Länder NIEDERSACHSEN, BERLIN, BRANDENBURG und MECKLENBURG-VORPOMMERN und BREMEN stocken die Justizstellen auf.

Trotz massiver Anstrengungen fehlen in den meisten Ländern noch Richter und Staatsanwälte - in HESSEN laut Richterbund 300. In BAYERN fehlen mehr als 150 Staatsanwälte und Richter. «Der Personalbestand der bayerischen Justiz ist auf Kante genäht», sagte eine Ministeriumssprecherin. Allein 2018 seien 175 zusätzliche Planstellen für den Justizvollzug geschaffen worden. Doch damit sei das Defizit nur verringert, nicht behoben worden.

Die Justizbehörden kämpfen vielerorts um Nachwuchs - und konkurrieren häufig mit der freien Wirtschaft und deren lukrativen Jobs. «Der Arbeitsmarkt für Juristen ist hart umkämpft», sagt der Vorsitzende des niedersächsischen Richterbunds, Frank Bornemann. Viele Jurastudenten gingen nach einem Bachelor-Abschluss in die Wirtschaft. Die Richterbesoldung sei für Berufsanfänger oft nicht attraktiv.

Das Personalproblem wird von einer anrollenden Pensionierungswelle verschärft. In THÜRINGEN etwa gehen bis 2031 nach Angaben des Justizministeriums zwei Drittel der Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand. Der Landesrichterbund glaubt nicht daran, dass die Stellen im nötigen Umfang neu besetzt werden können. «Die Politik hat dieses Problem lange verdrängt», kritisiert der Vorsitzende Holger Pröbstel.

Bis zum Jahr 2030 gehen bundesweit laut Deutschem Richterbund etwa 40 Prozent aller Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand. «Umso wichtiger ist es, dass die Politik jetzt reagiert und den versprochenen Bund-Länder-Pakt für den Rechtsstaat im Januar 2019 endlich in die Tat umsetzt», sagt Geschäftsführer Rebehn.

In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD einen «Pakt für den Rechtsstaat» vereinbart. Darin heißt es, dass 2000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte sowie für entsprechendes Folgepersonal geschaffen werden sollen. «Wer den Rechtsstaat durchsetzen will, muss ihn entsprechend ausstatten», sagte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) der dpa. Einige Länder stellten vermehrt Personal ein. Und der Bund gehe mit dem «Pakt für den Rechtsstaat» mit sehr gutem Beispiel voran. Damit kämen in Bund und Ländern 2000 Richter und 15 000 Polizisten dazu. «Damit unterstützen wir die Länder, die Leistungsfähigkeit der Justiz noch weiter zu verbessern.»

Die Länder pochen nun auf eine rasche Umsetzung. Zwischen den Ländern und Barley brach zuletzt offener Streit über die Finanzierung aus. Die Justizminister der Länder forderten auf ihrer Konferenz im November, der Bund müsse sich nicht nur einmalig an den Kosten für die 2000 neue Posten beteiligen, sondern langfristig.

Mehr Polizisten produzieren zudem noch mehr Arbeit für Staatsanwälte und Richter. Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne), 2018 Vorsitzender der Justizministerkonferenz, sagte, Polizei-Arbeit habe nur einen Effekt, wenn es genug Staatsanwälte und Richter gebe.

Der Vizevorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, forderte, nicht länger am Rechtsstaat zu sparen. Die Bundesregierung müsse die Mittel endlich aufstocken. Unionsfraktions-Vize Thorsten Frei betonte: «Für das Sicherheitsversprechen des Staates braucht es auch ein starke Justiz.» Neben zusätzlichen Stellen gebe es Verbesserungsbedarf bei den Gerichtsverfahren. So müssten die Verfahren verschlankt werden, wenn dies rechtsstaatlich möglich ist.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Thyssenkrupp-Umbau betrifft Tausende – Betriebsräte fordern Klarheit
01.07.2025

Angesichts weitreichender Umbaupläne bei Thyssenkrupp fordern die Beschäftigten klare Zusagen zur Zukunftssicherung. Betriebsräte pochen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neues Werk für NATO-Kampfjet: Rheinmetall startet Produktion in NRW
01.07.2025

Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat in Weeze (Nordrhein-Westfalen) eine hochmoderne Fertigungsanlage für Bauteile des Tarnkappenbombers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Investitionsstau: Kaputte Straßen, marode Schulen – Kommunen am Limit
01.07.2025

Viele Städte und Gemeinden stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand: Allein die Instandhaltung von Straßen, Schulen und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Alt gegen Jung: Wie die Generation Z das Arbeitsleben umkrempelt – und was zu tun ist
01.07.2025

Alt gegen Jung – und keiner will nachgeben? Die Generationen Z und Babyboomer prallen aufeinander. Doch hinter den Vorurteilen liegen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeitsmarkt ohne Erholung im Juni: Warten auf den Aufschwung
01.07.2025

Die erhoffte Belebung des Arbeitsmarkts bleibt auch im Sommer aus: Im Juni ist die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland nur minimal um...

DWN
Politik
Politik Schlachtfeld der Zukunft: Die Ukraine schickt ihre Kampfroboter ins Gefecht
01.07.2025

Die Ukraine setzt erstmals schwere Kampfroboter an der Front ein. Während Kiew auf automatisierte Kriegsführung setzt, treiben auch...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnen bleibt Luxus: Immobilienpreise steigen weiter deutlich
01.07.2025

Die Preise für Wohnimmobilien in Deutschland sind erneut gestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt lagen die Kaufpreise für Häuser und...

DWN
Politik
Politik Trump und Musk im Schlagabtausch: Streit um Steuerpläne und neue Partei eskaliert
01.07.2025

Die Auseinandersetzung zwischen US-Präsident Donald Trump und dem Tech-Milliardär Elon Musk geht in die nächste Runde. Am Montag und in...