Finanzen

Die neue Geschäftspolitik der Deutschen Bank: „Wir sind jetzt brav und bieder!“

Lesezeit: 6 min
13.07.2019 10:09
Die Deutsche Bank verabschiedet sich aus dem Investmentbanking. Wie mit dem übrigbleibenden Geschäft der Kreditvergabe angesichts der absurd strengen EU-Regularien Geld verdient werden soll, bleibt jedoch unklar.

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Die Ankündigung des Generaldirektors der Deutschen Bank, Christian Sewing, bis 2022 18.000 Stellen zu streichen, wird von einer publikumswirksamen Ankündigung begleitet: Man ziehe sich aus dem Investment-Banking zurück, also jenem verschrienen Bereich, der die Finanzkrise 2008 ausgelöst hat, jenem Bereich, der einige Zeit Milliarden-Gewinne erzielte, aber in der Folge Milliarden-Verluste und auch noch satte Strafen von Behörden und Gerichten ausgelöst hat.

Unvergessen sind die Meldungen über Manager, die 100 Millionen Dollar im Jahr kassiert haben, aber wenig später im Gefängnis landeten, wo einige noch immer sitzen. Den Aktienhandel, also einen wichtigen Teil des Investment-Bankings, werde man reduzieren oder aufgeben, weil in dieser Sparte die gewünschten Gewinne nicht mehr zu holen sind. Kurzum: Die Deutsche Bank verabschiedet sich von diesem dubiosen Geschäft, werde künftig brav und bieder wieder Kredite an Unternehmen und an Privathaushalte vergeben und nicht mehr wie ein Hedge-Fonds agieren.

Das gebrannte Kind scheut das Feuer des Investment-Bankings

Die Reaktion nach dem Motto „Ein gebranntes Kind scheut das Feuer“ ist allerdings schwer nachvollziehbar. Warum soll die Deutsche Bank kein Investment-Banking betreiben. Schließlich geht es dabei

  • um die Entwicklung von Unternehmensfinanzierungen unter Nutzung aller Möglichkeiten und nicht nur über die Vergabe von Krediten,
  • um die Begleitung bei Firmenübernahmen und –fusionen,
  • um die Absicherung gegen Kursrisiken über Derivate und um
  • die Nutzung des Aktienhandels an der Börse.

Man muss nicht lange nach der Antwort suchen: Die Finanz-Analysten haben seit den achtziger Jahren eine beträchtliche Machtposition erobert und jede Kapitalverzinsung einer Bank unter 16 oder 17 Prozent als Versagen des Managements gegeißelt. Und 2002 übernahm Josef Ackermann die Leitung der Deutschen Bank und erklärte, man müsse eine Kapitalverzinsung von 25 Prozent erzielen, jedenfalls aber mehr als 20 Prozent.

Man träumte von 25 Prozent Kapitalverzinsung und freut sich heute über 4 Prozent. Alle diese Sätze sind an und für sich unrealistisch:

Im Schnitt erwirtschaftet eine Volkswirtschaft vielleicht einen Gewinn in der Größenordnung von 3 Prozent im Jahr. Also kann eine Großbank, die breit gestreut Unternehmen und Privathaushalte finanziert, nicht 16 oder 20 oder mehr Prozent erzielen.

Das ist bei einzelnen Geschäften und in manchen Jahren möglich: In einem Jahr wurden sogar 32 Prozent ausgewiesen. Das kann aber nicht als Generalregel gelten. Vor allem nicht, wenn ein Großteil des Geschäfts in der Hereinnahme von Einlagen und der Vergabe von Krediten besteht und aus der Spanne zwischen den Kredit- und den Einlagenzinsen die Kosten und der Gewinn der Bank zu finanzieren sind.

Also entwickeln Bankmanager die Hoffnung, mit Spekulationen die Phantasie-Sätze doch zu erreichen. Über die Bewegung von Milliarden im Handel mit Aktien und anderen Werten, in der Hoffnung, dass durch das schiere Volumen auch bei bescheidenen Spannen beträchtliche Gewinne zustande kommen. Phasenweise wurden sogar von der Deutschen Bank 35.000 Milliarden Euro bewegt, also das Zehnfache des deutschen BIP. Zuletzt wurden Summen in der Größenordnung von 700 Milliarden ausgewiesen.

Eine entscheidende Rolle spielen Termingeschäfte, bei denen gigantisch hohe Beträge gesetzt werden, in der Hoffnung, dass Aktien, Rohstoffe oder andere Werte an einem bestimmten Tag in der Zukunft einen für den Spekulanten günstigen Kurs aufweisen. Wenn die Spekulation nicht aufgeht, ist der eingesetzte Betrag verloren und das sind nicht selten Milliarden. In vielen Fällen werden mehrere Spekulationen kombiniert, die einander absichern sollen, aber in der Praxis nicht selten zu noch größeren Verlusten kumulieren. Dabei ist keiner der Beteiligten im Besitz des Spekulationsobjekts oder hat ein Interesse am Kauf. Für diese Luftgeschäfte wurden weltweit Börsen errichtet, die eigentlich Kasinos heißen müssten.

Untergegangen ist in dem Rausch, in dem abwechselnd Milliarden gewonnen und verloren wurden und immer noch werden, das eigentliche Ziel eines Termingeschäfts, die Absicherung vor Verlusten. Ein Beispiel: Eine Fluggesellschaft braucht an bestimmten Tagen im Jahr Öllieferungen und will die Kosten in den Preisen der Flugtickets kalkulieren können. Die Bank organisiert Lieferanten, die bereit sind an den betreffenden Tagen zu vereinbarten Konditionen zu liefern, unabhängig von den jeweils aktuellen Ölpreisen an den Börsen.

Aber der vereinbarte Preis für einen bestimmten Tag kann verführerisch sein:

  • Ist an diesem Tag das Öl vielleicht billiger, warum soll man also den Vertrag einhalten und nicht anderswo kaufen.
  • Oder aus der Sicht des Verkäufers: Ist der Preis vielleicht höher, also könnte man anderswo mehr bekommen.
  • So wird ein solides Termingeschäft zur Spekulation, wenn die Vereinbarung nicht fix vertraglich abgesichert ist.

Wenn man nicht der Illusion aufsitzt, dass in diesem Bereich enorme Kapitalrenditen zu erwirtschaften sind, dann ist das Investment-Banking ein kontinuierlich attraktiver Geschäftszweig, allerdings mit, wie überall, wechselnden Ergebnissen.

Die Prozentsätze der Kapitalverzinsung haben für Vorstände den Charakter eines Traumas. Die Deutsche Bank erwirtschaftet derzeit eine bescheidene Kapitalverzinsung von weniger als 4 Prozent und bringt in ihren Berichten die Hoffnung zum Ausdruck im gesamten Jahr 2019 4 Prozent zu erreichen und nach der nun eingeleiteten Neuorientierung 8 Prozent vorweisen zu können. 8 Prozent bilden naturgemäß eine bescheidenere Vorgabe als 25 Prozent, doch ist auch dieser Satz ambitioniert, vor allem angesichts der weiterhin von der EZB erzwungenen Niedrigzinspolitik und dem aktuellen Abschwung der Konjunktur.

Die Deutsche Bank ist heute das Opfer ihres Lobby-Erfolgs von gestern

Die Rückkehr zum biederen, alten Bankgeschäft ist zudem durch die in den vergangenen Jahren geschaffenen Regularien erschwert, allen voran durch Basel III, das gerade zu Basel IV ausgebaut wird. Und an dieser Entwicklung ist die Deutsche Bank mit schuld.

Nach dem Schock im Herbst 2008 machte sich die US-Regierung an die Schaffung einer Bankenregelung, die den Eigenhandel der Banken einschränken und letztlich unterbinden sollte. Dies wurde auch mit dem Dodd-Frank-Act umgesetzt, der bis heute gilt. Auch die 2018 vorgenommene Korrektur öffnete keineswegs die von den Banken heftig geforderte Wiederöffnung der Schleusen. Der US-Finanzminister in der Krise, Timothy Geithner, im Amt von 2009 bis 2013, bemühte sich um eine koordinierte Vorgangsweise mit der EU, die ebenfalls den Eigenhandel der Banken mit Milliarden unterbinden sollte. Es gelang Josef Ackermann dies mit dem Hinweis zu verhindern, die europäischen Institute sollten als Universalbanken keinem amerikanischen Diktat unterworfen werden.

Diese Aktion trug nicht unwesentlich zum grotesken Ergebnis der mittlerweile aus vielen Elementen bestehenden, europäischen Bankenregelung bei, die die Milliarden-Spekulationen nicht unterbindet, aber die Vergabe von Krediten an Unternehmen und an Privathaushalte extrem erschwert.

Im Vordergrund steht die Verhinderung von Risiken, obwohl die Übernahme von Risiken das Wesen des Kreditgeschäfts darstellt. Das führt zur absurden Situation, dass die Finanzierung einer neuen Maschine um 50.000 Euro bei einem Handwerker außerordentlich problematisch ist, aber die Platzierung von einer Milliarde in einem unsicheren Termingeschäft ohne weiteres erfolgt.

Die gesamte Regulierung stellt auf eine hohe Eigenkapitalausstattung und große Liquiditätsreserven ab, die beide nur schwer darstellbar sind und Mittel blockieren. In den Hintergrund getreten ist die bankwirtschaftlich viel wirksamere Vorgabe einer breiten Streuung der Finanzierungen und die Definition einer Höchstkreditgrenze bei einem einzelnen Schuldner. Auf dieser Basis halten sich die Ausfälle in Grenzen und sind daher auch in der Regel ohne größere Probleme aus den Erträgen des gesamten Kreditgeschäfts zu verkraften.

Dieses wie eine Versicherung wirkende Prinzip kann nicht funktionieren, wenn ein einzelnes Risiko hunderte Millionen oder gar Milliarden umfasst und in diesem Bereich die Erträge in den einzelnen Transaktionen oft extrem niedrig sind. Durch die geringen Margen zahlen sich die Spekulationen nur aus, wenn große Beträge eingesetzt werden. Dadurch entsteht eine Falle, die zu den hohen Verlusten führen, die eine Bank in ihrer Gesamtheit gefährden.

Der Begriff Universalbank klingt nicht weiter bedenklich, verdeckt aber eine Tücke. Wenn in einer universell, also in allen Sparten tätigen Bank ein größerer Verlust auftritt, so ist nicht nur der betreffende Geschäftszweig gefährdet, sondern die ganze Bank und somit sind auch die Einlagen der zahllosen Sparer und sonstigen Kunden bedroht. In der Folge sind die öffentlichen Stellen gezwungen, aus sozialpolitischen Gründen die Krisenbank zu retten. Die Politik ist gleichsam in der Geiselhaft der Universalbank. Somit ergibt sich die nahe liegende, aber in Europa nicht umgesetzte Forderung, dass eine Bank selbst keine Milliardenrisiken eingehen dürfte.

Die Wertpapier-Beratung der Kunden ist heute ein Art Himmelfahrtskommando

Die Regulierung durch die EU behindert nicht nur das traditionelle Kreditgeschäft, zu dem sich die Deutsche Bank nun bekennt. Eine wesentliche Ertragsquelle bilden im traditionellen Bankgeschäft neben den Zinserträgen aus der Kreditvergabe die Provisionen aus dem Wertpapiergeschäft, das im Auftrag der Kunden erfolgt. Und diese Sparte unterliegt nun einem weiteren Regelwerk, das das Kürzel MiFID trägt.

In diesem Bereich wird zwar im Auftrag und für Rechnung der Kunden agiert, doch bürdet MiFID den Banken eine Verantwortung auf, die die Mitarbeiter überfordert. Die selbstverständliche Auflage, dass die Kunden über Risiken zu informieren sind, wurde zur Verpflichtung ausgebaut, künftige Entwicklungen vorhersehen zu müssen. Letztlich hätten Berater wissen müssen, dass Griechenland-Anleihen, die lange als sicher galten, mit Verlusten enden werden. Auch ergibt sich dann die groteske Auflage, dass der Kurs einer Aktie absehbar sein soll: Wer weiß, ob Apple nächstes Jahr ein sensationelles I-Phone schafft oder mit einem uninteressanten Produkt einen Kurssturz auslöst? Die Gerichte neigen schon seit längerem dazu, Banken den Ersatz von Verlusten aufzubürden, weil sie die Kunden nicht entsprechend beraten hätten. Die Kombination aus MiFID und der Judikatur stellt die Wertpapierberatung der Kunden in Frage.

Fazit: Der Abschied vom Investment-Banking und die Rückkehr zum traditionellen Bankgeschäft sind für sich allein keine überzeugenden Elemente einer Neuorientierung der Deutschen Bank. Auch der Abbau von 18.000 Mitarbeitern, die Schließung von Außenstellen und Abteilungen bilden keine befriedigende Lösung. Notwendig ist ein umfassendes Konzept, das alle Bereiche des vielfältigen Bankgeschäfts umfasst. Notwendig ist auch eine Korrektur der fehlgeleiteten Regulierungen: Da könnte die Deutsche Bank wieder als Lobbyist auftreten, diesmal nicht als Verteidiger des Universalbank, sondern als Vorkämpfer für die Beseitigung grotesker Vorschriften und für die Schaffung einer praxisnahen Regulierung.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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