Finanzen

Brexit: Britische Regierung bereitet Rettungspakete für Insolvenzwelle vor

Lesezeit: 2 min
12.08.2019 10:52
Die britische Regierung rechnet offenbar mit zahlreichen Insolvenzen, wenn das Land die EU Ende Oktober verlassen wird. Der Außenwert des Pfundes gerät unter starken Abwertungsdruck. Aufhorchen lässt die Ankündigung von Premier Johnson, zehntausend neue Gefängnisplätze zu schaffen.
Brexit: Britische Regierung bereitet Rettungspakete für Insolvenzwelle vor
Die Kursentwicklung des Pfund zum Euro auf Sicht eines Jahres. (Grafik: ariva.de)
Foto: Nico D

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die britische Regierung arbeitet an einem Rettungspaket für Unternehmen im Falle eines Brexits ohne Abkommen am 31. Oktober. Das Rettungspaket mit dem Namen "Operation Kingfisher" soll Firmen helfen, die nach dem EU-Austritt vorübergehend mit veränderten Umständen zu kämpfen haben. Das sagte der britische No-Deal-Beauftragte Michael Gove am Freitag vor Journalisten.

Nach einem Bericht der "Times" vom Samstag geht es um einen Notfallfonds, der in Schieflage geratene Unternehmen vor der Insolvenz retten soll. Eine Liste gefährdeter Unternehmen sei bereits erstellt worden. Besonders die Baubranche und die Industrie gelten als anfällig. Eine Regierungssprecherin wollte den "Times"-Bericht auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur nicht kommentieren.

London legt Wert darauf, es mit der Drohung eines ungeregelten Austritts ernst zu meinen. "Großbritannien wird die EU am 31. Oktober verlassen, ohne wenn und aber, und es ist meine erste Priorität, sicherzustellen, dass jeder Teil des Vereinigten Königreichs bereit ist für den Austritt", sagte Gove am Samstag in Nordirland.

Auch Premierminister Boris Johnson betonte immer wieder, sein Land werde die EU am 31. Oktober verlassen "komme, was wolle". Er setzt darauf, dass sich Brüssel auf seine Forderung nach Änderungen an dem mit seiner Vorgängerin Theresa May ausgehandelten Austrittsabkommen einlässt. Dafür gibt es jedoch bisher keine Anzeichen. Damit wächst die Gefahr eines ungeregelten Austritts.

Bislang spielte die neue Regierung in London die Konsequenzen eines No-Deals für die britische Wirtschaft meist herunter. Er rechne nicht mit einer Rezession, hatte Finanzminister Sajid Javid am Freitag gesagt, nachdem das Statistikamt ONS erstmals seit 2012 einen Rückgang des britischen Bruttoinlandsprodukts vermeldet hatte.

Das britische Pfund bleibt wegen der Sorge über die Folgen eines ungeregelten Austritts Großbritanniens aus der EU auf Talfahrt. In der Nacht zum Montag wurden für ein Pfund zeitweise nur noch 1,0724 Euro gezahlt. Dies ist der niedrigste Kurs seit Herbst 2009. Das Rekordtief von 1,0200 Euro für ein Pfund wurde im Krisenjahr 2008 erreicht. Zuletzt kostete ein Pfund am Montag wieder 1,0800 Euro.

Auch zum US-Dollar bleibt die britische Währung auf Talfahrt. Hier wurde in der vergangenen Nacht bei 1,2015 Dollar für ein Pfund der tiefste Kurs seit Anfang 2017 erreicht.

Das Beratungsunternehmen Solvecon kommentiert die Entwicklungen in Großbritannien im aktuellen Forex-Report folgendermaßen:

Das BIP sank im 2. Quartal im Quartalsvergleich überraschend um 0,2%. Es war der erste BIP-Rückgang seit Ende 2012. Marktbeobachter hatten eine Stagnation erwartet. Die Nervosität nimmt im UK auf allen Seiten zu. So hat Boris Johnson ein Gesprächsangebot Irlands wegen des Brexits angenommen. Die bisher gezeigte Arroganz gegenüber Irland trotz des Friday aber auch gegenüber der EU lässt sich nicht mehr aufrecht erhalten. Entwickelt sich in London Realitätssinn? EU-Kommissionschef Juncker hat sachlich darauf hingewiesen, dass die Briten bei einem hartem Brexit Verlierer wären. Das wurde lange Zeit von Seiten der Brexiteers und Populisten in der EU in Abrede gestellt. Milch und Honig für das UK wurden verkündet. Die normative Kraft des Faktischen beginnt wohl zu greifen.

Die Ankündigung Johnsons, 10.000 neue Gefängnisplätze zu schaffen hat hoffentlich nur mit den derzeit prekären Verhältnissen in den Anstalten im UK zu tun, nicht mit der Erwartung gesellschaftspolitischer Unruhe als Folge eines von Johnson gewünschten und bisher forcierten ungeregelten Brexits.

Darüber hinaus bereitet die UK-Regierung Brexit-Hilfen für Firmen vor. Auch das Gesundheitssystem NHS soll mit massiven Mitteln gestützt werden. Natürlich sollen auch noch die Steuern gesenkt werden. Das klingt nach Pippi Langstrumpf: mache mir die Welt, so wie sie mir gefällt. Woher will man sich die Mittel für alle diese Maßnahmen nehmen? Das gilt umso mehr, als dass das Land am internationalen Kapitaltropf hängt (hohe Leistungsbilanzdefizite). Politische Traumtänzerei hat immer einen Preis, der leider von der Bevölkerung und nicht den politischen Verursachern gezahlt wird.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Politik
Politik Deutsch-australische Rüstungskooperation: Mehr als Boote und Panzer?
05.05.2024

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock befürwortet eine engere Rüstungskooperation zwischen Deutschland und Australien, da sie betont,...

DWN
Immobilien
Immobilien Die Grunderwerbssteuer: Was Sie unbedingt wissen sollten!
05.05.2024

Jeder, der in Deutschland ein Grundstück erwerben will, zahlt darauf Steuern. Vorne mit dabei: Die Grund- und Grunderwerbssteuer. Doch was...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Eli Lilly, Merck und Biontech: Deutschland behauptet sich als Pharma-Standort
05.05.2024

Mehr als 250.000 Beschäftigte sind in Deutschland allein in der Pharma-Industrie beschäftigt. Dass die Branche auch in naher Zukunft...

DWN
Finanzen
Finanzen Dispozinsen: Wie sie funktionieren und wie man sie vermeidet
05.05.2024

Dispozinsen können eine teure Überraschung für Bankkunden sein, die ihr Konto überziehen. Dieser Artikel erklärt, wie Dispozinsen...

DWN
Technologie
Technologie EU-China-Beziehung: Droht ein Handelskrieg um Elektroautos?
05.05.2024

Vor Xi Jinpings Besuch in Paris bekräftigt Deutschland seine Haltung im EU-China-Streit um E-Autos. Doch wie wird die EU reagieren?

DWN
Unternehmen
Unternehmen Europameisterschaft 2024 am Arbeitsplatz streamen: Wie weit geht Arbeitgeber-Toleranz?
05.05.2024

Die Spiele der Europameisterschaft 2024 finden zu Zeiten statt, die nicht ideal für Arbeitnehmer sind. Einige Spiele starten bereits um 15...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Handwerksbetriebe in Not: Geschäftslage trübt sich ein
05.05.2024

Die aktuelle Lage im Handwerk bleibt düster, mit einer spürbaren Verschlechterung der Geschäftslage im ersten Quartal 2024 aufgrund...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Eine Welt ohne Europa?
04.05.2024

Der Krieg in der Ukraine und die Spannungen im Nahen Osten gefährden die Zukunftsfähigkeit der EU. Nun steht sie an einem Scheideweg:...