Deutschland

Noch nie bezogen so viele Deutsche im Ausland Rente

Die Zahl der Rentner, welche im Alter im Ausland leben, hat einen neuen Höchststand erreicht.
10.09.2019 15:23
Aktualisiert: 10.09.2019 15:27
Lesezeit: 3 min

Die Nachrichtenagentur dpa berichtet:

Anna Holt zeigt auf ihre Fotos und schwärmt von ihrem Anwesen in einem kleinen Dorf in Bulgarien. In den vergangenen zehn Jahren hat sie das 6000 Quadratmeter große Grundstück in Malko Drjanowo unweit der diesjährigen Kulturhauptstadt Plowdiw in ihr Paradies verwandelt. Zwei Häuser, Weinstöcke, Obstbäume - viel Eigenarbeit und schätzungsweise um die 100 000 Euro haben Holt und ihr vor zwei Jahren gestorbener Ehemann in das Projekt gesteckt. Die 67 Jahre alte Friseurmeisterin aus Ingolstadt, die in Berlin mehrere Läden hatte, ist begeistert von ihrem Rentner-Dasein in dem sonnigen Teil Bulgariens. Vielfach intakte Natur macht in ihren Augen oft löchrige Straßen, viele kaputte Gehwege und renovierungsbedürftige Häuser wett. «Diese schöne Landschaft hat mich sprachlos gemacht», erinnert sie sich an die Entscheidung, in Bulgarien zu bleiben.

Die vergleichsweise günstigen Staaten Südosteuropas entwickeln für deutsche Rentner zunehmend Charme. In Ländern wie Ungarn, Rumänien, Kroatien, Bulgarien und Griechenland leben nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung inzwischen deutlich mehr als 10 000 deutsche Rentner, das sind etwa doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

Generell haben noch nie so viele deutsche Rentner ihren Lebensabend im Ausland verbracht. Die Rentenversicherung hat zuletzt weltweit rund 240 000 Renten an Deutsche mit ausländischem Wohnsitz überwiesen. «Dies ist ein neuer Rekord», so Dirk Manthey von der Deutschen Rentenversicherung Bund in Berlin.

In Bulgarien sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Lebenshaltungskosten europaweit am günstigsten. Hier müssen Verbraucher für die üblichen Produkte und Dienstleistungen nur rund halb so viel zahlen wie im Schnitt aller EU-Mitgliedstaaten. So kostet ein Kilogramm Äpfel umgerechnet 0,60 Euro. Beim Friseur reichen umgerechnet 15 Euro für einen Damenhaarschnitt samt Föhnen. Importwaren wie Pasta, Käse, Bekleidung oder Schuhe sind allerdings oft viel teurer als in Deutschland. Laut Eurostat kosten Lebensmittel auch in Rumänien und Ungarn teils deutlich weniger als in Deutschland oder gar in Hochpreisländern wie Dänemark und Österreich. In Griechenland wiederum sind Lebensmittel laut Statistik in etwa so teuer wie in Deutschland.

War es für Holt der Zauber eines Anfangs, hat sich Werner Christes für eine strategische Herangehensweise entschieden. Der 69-jährige hat sich in Plowdiw eine möblierte Drei-Zimmer-Wohnung für nur rund 300 Euro genommen und will ein Jahr testen, ob es ihm dort behagt. Seine ersten Erfahrungen sind positiv. «Die Leute sind hier sehr offen», sagt er über die Aufgeschlossenheit gegenüber Zuwanderern aus Mitteleuropa. Das Land hat Menschen dringend nötig. Nach einer UN-Prognose wird es wegen Abwanderung bis zum Ende des Jahrhundert fast die Hälfte seiner Bevölkerung verlieren.

Erste Brocken der Sprache und der gewöhnungsbedürftigen kyrillischen Schrift könne er schon, sagt der eine große innere Ruhe und Freundlichkeit ausstrahlende gebürtige Freiburger. «Sonst nehme ich Hände und Füße zur Verständigung. Ich habe noch immer bekommen, was ich wollte». Der Vermessungsingenieur hat 30 Jahre lang in der Schweiz gearbeitet und zuletzt am Bodensee gelebt. Aber ihm passe die gesellschaftliche Entwicklung nicht mehr. In Deutschland und der Schweiz sei das Leben überreguliert, meint er. Seine Frau werde nachkommen und auch eine Zeit lang testen, wie ihr das Leben behage. Er könne von seiner eher überschaubaren deutschen Rente in Bulgarien gut leben - die Schweizer Rente noch gar nicht eingerechnet.

Christes warnt aber vor zu viel Naivität. «Das hier ist nicht für jeden geeignet». Auch bei Experten in Sofia sind Fälle bekannt, wo deutsche Rentner sich verkalkuliert haben. Sie seien ohne Sprachkenntnisse und ohne Vorstellung von der medizinischen Versorgung. «Je älter sie werden, umso schlechter wird's», heißt es. Auch ein Domizil an der beliebten Schwarzmeerküste könne sich als Eigentor erweisen. Viele Orte dort seien im Winter wie ausgestorben, also kein Terrain für alte Menschen. Beim Immobilienkauf heiße es ebenfalls aufgepasst, um nicht an die falschen Notare zu geraten.

Lange vor den Deutschen haben die Briten das Land für sich entdeckt. In den Jahren vor Bulgariens EU-Beitritt 2007 und unmittelbar danach kauften Briten nach Angaben der Tourismusbranche Tausende Immobilien in dem Balkanland.

In benachbarten Rumänien gibt es pittoreske Dörfer in Siebenbürgen, wo Rentner aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden sich Häuser gekauft haben und nach dem Motto «Zurück zur Natur» leben. Dies gilt aber eher als mittel- bis langfristiger Trend - wenn Rumänien die Infrastruktur und vor allem die medizinische Versorgung instand setzt. Denn in Rumänien einen Herzinfarkt oder einen Oberschenkelhalsbruch zu erleiden, ist wegen der manchmal schwierigen ärztlichen Versorgung nicht unproblematisch.

Bulgarien kann nach Überzeugung von Holt viel mehr als einen Lebensabend bei günstigen Preisen bieten: «Hier habe ich wieder meine Kraft und Ruhe gefunden, wieder zu mir selbst zu kommen.» Nicht zuletzt bringt sie das bulgarische Obst und Gemüse mit seinem Aroma ins Schwärmen - und auch der hausgemachte Wein (domaschno vino) und Schnaps (rakija). Dank vieler Reisen habe sie Abwechslung und müsse nicht tagein tagaus in ihrem geliebten 100-Einwohner-Dorf leben. Ihr nächstes Projekt? «Gerne eine Alters-WG.»

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Nato-Chef Rutte: Wie sich ein Angriff Russlands verhindern lässt
23.12.2025

Ein Nato-Generalsekretär, der von Gefahr spricht, wählt seine Worte nicht leichtfertig. Mark Rutte zeichnet das Bild eines Russland, das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft DIHK: Wirtschaftlicher Abstieg Deutschlands rückt näher
23.12.2025

Deutschlands Wirtschaft kommt nicht vom Fleck, die Ungeduld wächst. Während Investitionen einbrechen und Arbeitsplätze verschwinden,...

DWN
Panorama
Panorama Kartoffelsalat und Würstchen: So teuer wird der Weihnachtsklassiker 2025
23.12.2025

Kartoffelsalat mit Würstchen bleibt zum Fest günstiger als im Vorjahr. Vor allem die Essig-Öl-Variante spart Geld, während regionale...

DWN
Finanzen
Finanzen Wie die Geldentwertung Gold und Bitcoin in den Vordergrund rückt
23.12.2025

Ersparnisse verlieren Jahr für Jahr an Wert. Nicht durch Zufall, sondern durch System. Warum Geldentwertung Gold und Bitcoin immer...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: US-Aktien steuern mit Gewinnen auf das Jahresende zu, Goldpreis erreicht neues Rekordhoch
22.12.2025

Die US-Aktien legten am Montag zu, wobei die drei großen Indizes den dritten Tag in Folge Gewinne verzeichneten. Gold setzte seine Rallye...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Globale Wirtschaft: Fed-Zurückhaltung bremst Wachstum und Aktienmärkte weltweit
22.12.2025

Nach der starken Rally an den Aktienmärkten mehren sich die Zweifel, ob das globale Wachstum ohne neue geldpolitische Impulse tragfähig...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundeskartellamt verhängt zehn Millionen Euro Bußgeld
22.12.2025

Zehn Millionen Euro Bußgeld – das klingt nach wenig für Deutschlands oberste Wettbewerbshüter. Tatsächlich ist es ein deutlicher...

DWN
Finanzen
Finanzen Persönliche Daten bei Banken: Was Sie preisgeben müssen - und was nicht
22.12.2025

Bevor Banken Konten, Kredite oder Depots freigeben, sammeln sie umfangreiche Daten. Doch nicht jede Auskunft ist verpflichtend – viele...