Deutschland

Noch nie bezogen so viele Deutsche im Ausland Rente

Lesezeit: 3 min
10.09.2019 15:23  Aktualisiert: 10.09.2019 15:27
Die Zahl der Rentner, welche im Alter im Ausland leben, hat einen neuen Höchststand erreicht.
Noch nie bezogen so viele Deutsche im Ausland Rente
Foto: Patrick Pleul

Mehr zum Thema:  
Rente >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Rente  

Die Nachrichtenagentur dpa berichtet:

Anna Holt zeigt auf ihre Fotos und schwärmt von ihrem Anwesen in einem kleinen Dorf in Bulgarien. In den vergangenen zehn Jahren hat sie das 6000 Quadratmeter große Grundstück in Malko Drjanowo unweit der diesjährigen Kulturhauptstadt Plowdiw in ihr Paradies verwandelt. Zwei Häuser, Weinstöcke, Obstbäume - viel Eigenarbeit und schätzungsweise um die 100 000 Euro haben Holt und ihr vor zwei Jahren gestorbener Ehemann in das Projekt gesteckt. Die 67 Jahre alte Friseurmeisterin aus Ingolstadt, die in Berlin mehrere Läden hatte, ist begeistert von ihrem Rentner-Dasein in dem sonnigen Teil Bulgariens. Vielfach intakte Natur macht in ihren Augen oft löchrige Straßen, viele kaputte Gehwege und renovierungsbedürftige Häuser wett. «Diese schöne Landschaft hat mich sprachlos gemacht», erinnert sie sich an die Entscheidung, in Bulgarien zu bleiben.

Die vergleichsweise günstigen Staaten Südosteuropas entwickeln für deutsche Rentner zunehmend Charme. In Ländern wie Ungarn, Rumänien, Kroatien, Bulgarien und Griechenland leben nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung inzwischen deutlich mehr als 10 000 deutsche Rentner, das sind etwa doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

Generell haben noch nie so viele deutsche Rentner ihren Lebensabend im Ausland verbracht. Die Rentenversicherung hat zuletzt weltweit rund 240 000 Renten an Deutsche mit ausländischem Wohnsitz überwiesen. «Dies ist ein neuer Rekord», so Dirk Manthey von der Deutschen Rentenversicherung Bund in Berlin.

In Bulgarien sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Lebenshaltungskosten europaweit am günstigsten. Hier müssen Verbraucher für die üblichen Produkte und Dienstleistungen nur rund halb so viel zahlen wie im Schnitt aller EU-Mitgliedstaaten. So kostet ein Kilogramm Äpfel umgerechnet 0,60 Euro. Beim Friseur reichen umgerechnet 15 Euro für einen Damenhaarschnitt samt Föhnen. Importwaren wie Pasta, Käse, Bekleidung oder Schuhe sind allerdings oft viel teurer als in Deutschland. Laut Eurostat kosten Lebensmittel auch in Rumänien und Ungarn teils deutlich weniger als in Deutschland oder gar in Hochpreisländern wie Dänemark und Österreich. In Griechenland wiederum sind Lebensmittel laut Statistik in etwa so teuer wie in Deutschland.

War es für Holt der Zauber eines Anfangs, hat sich Werner Christes für eine strategische Herangehensweise entschieden. Der 69-jährige hat sich in Plowdiw eine möblierte Drei-Zimmer-Wohnung für nur rund 300 Euro genommen und will ein Jahr testen, ob es ihm dort behagt. Seine ersten Erfahrungen sind positiv. «Die Leute sind hier sehr offen», sagt er über die Aufgeschlossenheit gegenüber Zuwanderern aus Mitteleuropa. Das Land hat Menschen dringend nötig. Nach einer UN-Prognose wird es wegen Abwanderung bis zum Ende des Jahrhundert fast die Hälfte seiner Bevölkerung verlieren.

Erste Brocken der Sprache und der gewöhnungsbedürftigen kyrillischen Schrift könne er schon, sagt der eine große innere Ruhe und Freundlichkeit ausstrahlende gebürtige Freiburger. «Sonst nehme ich Hände und Füße zur Verständigung. Ich habe noch immer bekommen, was ich wollte». Der Vermessungsingenieur hat 30 Jahre lang in der Schweiz gearbeitet und zuletzt am Bodensee gelebt. Aber ihm passe die gesellschaftliche Entwicklung nicht mehr. In Deutschland und der Schweiz sei das Leben überreguliert, meint er. Seine Frau werde nachkommen und auch eine Zeit lang testen, wie ihr das Leben behage. Er könne von seiner eher überschaubaren deutschen Rente in Bulgarien gut leben - die Schweizer Rente noch gar nicht eingerechnet.

Christes warnt aber vor zu viel Naivität. «Das hier ist nicht für jeden geeignet». Auch bei Experten in Sofia sind Fälle bekannt, wo deutsche Rentner sich verkalkuliert haben. Sie seien ohne Sprachkenntnisse und ohne Vorstellung von der medizinischen Versorgung. «Je älter sie werden, umso schlechter wird's», heißt es. Auch ein Domizil an der beliebten Schwarzmeerküste könne sich als Eigentor erweisen. Viele Orte dort seien im Winter wie ausgestorben, also kein Terrain für alte Menschen. Beim Immobilienkauf heiße es ebenfalls aufgepasst, um nicht an die falschen Notare zu geraten.

Lange vor den Deutschen haben die Briten das Land für sich entdeckt. In den Jahren vor Bulgariens EU-Beitritt 2007 und unmittelbar danach kauften Briten nach Angaben der Tourismusbranche Tausende Immobilien in dem Balkanland.

In benachbarten Rumänien gibt es pittoreske Dörfer in Siebenbürgen, wo Rentner aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden sich Häuser gekauft haben und nach dem Motto «Zurück zur Natur» leben. Dies gilt aber eher als mittel- bis langfristiger Trend - wenn Rumänien die Infrastruktur und vor allem die medizinische Versorgung instand setzt. Denn in Rumänien einen Herzinfarkt oder einen Oberschenkelhalsbruch zu erleiden, ist wegen der manchmal schwierigen ärztlichen Versorgung nicht unproblematisch.

Bulgarien kann nach Überzeugung von Holt viel mehr als einen Lebensabend bei günstigen Preisen bieten: «Hier habe ich wieder meine Kraft und Ruhe gefunden, wieder zu mir selbst zu kommen.» Nicht zuletzt bringt sie das bulgarische Obst und Gemüse mit seinem Aroma ins Schwärmen - und auch der hausgemachte Wein (domaschno vino) und Schnaps (rakija). Dank vieler Reisen habe sie Abwechslung und müsse nicht tagein tagaus in ihrem geliebten 100-Einwohner-Dorf leben. Ihr nächstes Projekt? «Gerne eine Alters-WG.»


Mehr zum Thema:  
Rente >

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Menge sichergestellten Kokains im Hamburger Hafen verdreifacht
06.05.2024

Im Hamburger Hafen werden alle nur erdenklichen Waren umgeschlagen - auch Drogen. Immer mehr Kokain findet durch das Tor zur Welt seinen...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Der internationale Handel und Kriege im Fokus bei Xi-Besuch in Frankreich
06.05.2024

Auf gute Stimmung machen in Europa: Chinas Staatspräsident Xi besucht seit fünf Jahren mal wieder Frankreich und lächelt, als ihn...

DWN
Politik
Politik Neues Gesicht in der CDU: Helmut Kohl-Enkel will in Bundesvorstand gewählt werden
06.05.2024

Die Kinder von Helmut Kohl haben auf eine Karriere in der Politik verzichtet. Jetzt versucht der Enkel des früheren Bundeskanzlers,...

DWN
Politik
Politik Friedrich Merz bleibt Parteichef: CDU zur sofortigen Regierungsübernahme bereit
06.05.2024

Die CDU trifft sich zum dreitägigen Bundesparteitag in Berlin. Es geht um die Verabschiedung des neuen Parteiprogramms der Union und auch...

DWN
Politik
Politik Scholz zu Besuch in Litauen: „Jeden Zentimeter ihres Territoriums verteidigen"
06.05.2024

Mit der anlaufenden Stationierung einer gefechtsbereiten Brigade an der Nato-Ostflanke geht Deutschland im Bündnis voran. Der...

DWN
Politik
Politik Über Fidschi nach Down under: Annalena Baerbock an der Frontlinie der Klimakrise
06.05.2024

Sie zählen zu den kleinsten Klimasündern, haben aber am stärksten unter den Folgen der Erderwärmung zu leiden. Baerbock ist um die...

DWN
Technologie
Technologie Sprunginnovation: In der Lausitz wird das größte Höhenwindrad der Welt errichtet
06.05.2024

Die Sache klingt zunächst irgendwie tragisch. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen versucht, in der Lausitz in 365 Metern Höhenwinde...

DWN
Politik
Politik Verstöße gegen EU-Werte: Kommission will Verfahren gegen Polen beenden
06.05.2024

Die EU-Kommission will das Artikel-7-Verfahren gegen Polen beenden. Es war wegen etwaiger Verstöße gegen die Werte der Europäischen...